Politische Ökonomie jenseits gestanzter Formeln
Nachruf von Jörg Goldberg
Am 5. Dezember ist Jörg Huffschmid im 69. Lebensjahr gestorben. Mit ihm verliert die für eine friedlichere und gerechtere Welt eintretende Wissenschaft einen ihrer besten Köpfe. Mit seinem Tod geht aber auch den sozialen Bewegungen in Deutschland, in Europa und in globalem Maßstab eine Persönlichkeit verloren, die es immer verstanden hatte, die nüchterne wissenschaftliche Analyse mit den praktischen politischen und sozialen Kämpfen zu verbinden.
Politische Ökonomie jenseits gestanzter Formeln Zum Tod von Jörg Huffschmid
Es gibt nur wenige Wissenschaftler, die so wie er in der Lage waren, komplizierte empirische und theoretische Sachverhalte klar und verständlich auszudrücken und zugleich entsprechende Handlungsorientierungen vorzuschlagen. Jörg Huffschmid hat den Marxismus als praxisorientierte Wissenschaft, der er Zeit seines Lebens verpflichtet war, mit Leben erfüllt und gezeigt, wie eine engagierte Parteinahme in sozialen und politischen Auseinandersetzungen mit objektiver wissenschaftlicher Arbeit verbunden werden kann.Seine erste größere Arbeit, mit der er sogleich einer breiten deutschen Öffentlichkeit bekannt wurde, erschien 1969 in einem der regenbogenfarbigen Bände der Edition Suhrkamp. „Die Politik des Kapitals. Konzentration und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik“ umriss das Themenfeld, mit dem er sich in der Folge über Jahrzehnte hinweg wissenschaftlich und politisch beschäftigt hat: die Beziehungen zwischen Ökonomie und Politik im Kapitalismus. Ökonomische Gesetzmäßigkeiten einerseits und soziale und politische Kämpfe andererseits waren für ihn keine Gegensätze, sondern untrennbar miteinander verbunden. Diese Auffassung von Politischer Ökonomie – so lautete auch seine Lehrstuhlbeschreibung an der Universität Bremen - prägt alle seine Analysen ebenso wie seine wissenschaftliche und politische Praxis: Der Kapitalismus in seiner jeweils konkreten historischen und kulturellen Gestalt ist kein ‚eisernes Gehäuse der Hörigkeit`, produziert keine politischen Sachzwänge, sondern ist Ergebnis der ihm immanenten sozialen Kämpfe.
Dieser Grundgedanke der Veränderbarkeit des Kapitalismus liegt auch den Analysen und Vorschlägen der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ zugrunde, die Jörg Huffschmid zusammen mit anderen Wissenschaftlern und Gewerkschaftern unterschiedlicher politischer und wissenschaftlicher ‚Schulen’ 1975 gründete, konzipiert zunächst als Gegenpol zum regierungsamtlichen „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“. In der lose organisierten „Memorandumsgruppe“, in der marxistisch und keynesianisch orientierte Ökonomen und Sozialwissenschaftler gemeinsam konkrete Alternativen zur kapitalorientierten Wirtschaftpolitik erarbeiten, hat er bis zuletzt eine zentrale Rolle gespielt, nicht zuletzt als Autor der Kurzfassungen der jährlichen Memoranden. Wie kaum ein anderer konnte er komplizierte Analysen, Sachverhalte und daraus resultierende politische Konzepte auf den Punkt bringen, ohne sie zu platten Politikformeln zu verflachen.
* Selbstkritisches Streben nach Erneuerung
In den 1970er und 1980er Jahren hat Jörg Huffschmid eng mit dem Frankfurter Institut für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF) zusammengearbeitet, zu dessen Beirat er gehörte und wo er viele seiner Forschungsergebnisse veröffentlicht hat. Im Mittelpunkt seines Interesses standen Themen wie Konjunktur- und Strukturkrisen, wirtschaftliche Konzentrationsprozesse, die Verflechtung von Ökonomie und Politik in Form „staatsmonopolistischer Komplexe“, Rüstungsökonomie und immer wieder die Frage der Entwicklungsvarianten des Kapitalismus. Zusammen mit Heinz Jung, dem späteren Leiter des IMSF, gehörte er bis 1988/89 dem Parteivorstand der DKP an und entwickelte das programmatische Konzept einer marxistischen Reformalternative als Transformationsstrategie für die Bundesrepublik Deutschland.
Die Arbeit an der „Reformalternative“ ging selbstkritisch von der Erkenntnis aus, dass der Marxismus unter dem Einfluss der realsozialistischen Staaten und einiger kommunistischer Parteien – denen gegenüber Jörg Huffschmid stets eine solidarische Haltung eingenommen hatte – an kritischem Potential eingebüßt hatte. Eine grundlegende Erneuerung des Marxismus und die Offenlegung und Überprüfung von Erstarrungen und Stereotypen erschien ihm notwendig.
In den 1990er Jahren rückten internationale Prozesse in den Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen und auch praktisch-politischen Arbeit. Dabei gehörte er zu jenen Autoren, die die Bedeutung der Nationalstaaten und der nationalstaatlich verfassten Politik in den zu beobachtenden Internationalisierungsprozessen hervorhoben. Die Globalisierung, wie wir sie heute erleben, war für ihn kein quasi naturwüchsiger Prozess, sondern Ergebnis bewusster politischer Entscheidungen von kapitalnahen Regierungen und damit aber auch politisch gestaltbar. 1995 war er Mitbegründer und treibende Kraft der „Europäischen Arbeitsgruppe für Alternative Wirtschaftspolitik“, dessen „EuroMemoranden“ wichtige konzeptionelle Vorlagen für die Europäische Linke und deren EU-Politik beinhalteten (das EuroMemo 2009 erscheint in diesen Tagen). Fünf Jahre später fand er in Attac Deutschland, dessen Gründung er vorantrieb und dessen wissenschaftlichem Beirat er angehörte, ein weiteres Aktivitätsfeld.
* Finanzmärkte im Fokus
Seine besondere Aufmerksamkeit galt dabei den Finanzmärkten und den sich seit den 1990er Jahren häufenden Finanzkrisen. Seine „Politische Ökonomie der Finanzmärkte“ (VSA-Verlag, 1999), kann heute als Klassiker gelten. Früh erkannte er die Dominanz der Finanzmärkte über die Bereiche der Produktion von Gütern und Dienstleistungen als Kernproblem und wichtigsten Krisenfaktor im modernen Kapitalismus. Und doch mahnte er zur Vorsicht, als nach Ausbruch der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise Beobachter aus allen politischen Lagern Katastrophen- und Untergangsstimmung verbreiteten. In einem seiner letzten größeren wissenschaftlichen Artikel zur Finanzmarktkrise (Z-Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Juni 2009) urteilt er nüchtern, dass der tiefste wirtschaftliche Einbruch seit Ende des Zweiten Weltkriegs die vorherrschende neoliberale Variante des Finanzmarktgetriebenen Kapitalismus (FMK) nicht beenden würde: Entscheidend sei die Tatsache, dass die politischen Machtstrukturen des FMK kaum geschwächt wurden und dass soziale Bewegungen und deren Forderungen im Bewusstsein der Bevölkerungsmehrheit wenig verankert sind.
Mit seiner Nüchternheit, seiner wissenschaftlichen Redlichkeit und seinem politischen Engagement war Jörg Huffschmid Vorbild und Anreger für Alle, die sich in ihrer gesellschaftlichen Praxis dem Ziel einer gerechten Gesellschaft verpflichtet fühlen. Unempfänglich gegenüber kurzlebigen Moden und faulen Kompromissen war er offen für Kritik und bereit, Fehlurteile zuzugeben und zu revidieren. Wer ihn kannte, der weiß, dass er es nicht liebte, als Person in den Mittelpunkt gerückt zu werden. So ehren wir ihn am meisten, wenn wir uns für das einsetzen, für das er sein Leben lang gekämpft hat: Eine Gesellschaft, die Arbeit für alle, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit gewährleistet.
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(RF) Mit Jörg Huffschmid verliert auch W&E einen seiner profiliertesten Autoren. Mitte der 1990er Jahre erschien in einem Sonderdienst (W&E-SD 8/1995) eine der ersten ausführlichen Analysen des Konzepts der Tobin-Steuer im deutschen Sprachraum. Drei Jahre später wies Huffschmid darauf hin, dass Kapitalverkehrskontrollen als wirtschaftspolitisches Schutzinstrument gegenüber Finanzkrisen nach wie vor legitim und notwendig sind (W&E 09/1998). Seit Anfang des neuen Jahrhunderts verfasste Jörg Huffschmid regelmäßig aktuelle Analysen zur weltwirtschaftlichen Entwicklung für W&E, in denen er vor neuen Finanzkrisen warnte. In einem seiner letzten Artikel (>>> W&E-Hintergrund Mai 2007) kritisierte er die Halbherzigkeit der Vorschläge zur Kontrolle der Hedgefonds. Leider ist er in dieser Hinsicht bis heute nicht widerlegt worden.