Je billiger die Arbeit, desto besser
VORBETER - Horst Köhler hat sich zum wiederholten Male eher als Wirtschaftsideologe denn als Bundespräsident zu erkennen gegeben
VORBETERHorst Köhler hat sich zum wiederholten Male eher als Wirtschaftsideologe denn als Bundespräsident zu erkennen gegeben
"Deutschland muss sich für seine Wettbewerbsfähigkeit noch stärker ins Zeug legen. Am Konjunkturhimmel ziehen Wolken auf. Deshalb wünschte ich mir mehr Reformehrgeiz", sagte Bundespräsident Köhler im Gespräch mit der FAZ vom 29. Dezember. Köhlers Weltbild ist das einer "Standortkonkurrenz" - da konkurrieren nicht einzelne Unternehmen auf dem Weltmarkt miteinander wie Daimler gegen Peugeot oder General Motors, sondern die "Holding Deutschland" steht im Wettbewerb mit der "Holding China" oder dem "Multi USA".Wie alle neoliberalen Dogmatiker weigert sich Horst Köhler, eine ehrliche Bilanz über die Auswirkungen der bisherigen "Reformen" zu ziehen. Wie für alle Parteigänger der "Agenda 2010" gilt auch für ihn: Wenn die Rezepte nicht wirken, gilt es, die Reform-Dosis zu erhöhen, "und Aushaltenkönnen, bis Reformen wirken". Köhler sieht schon im geringfügig verlängerten Bezug von Arbeitslosengeld für Ältere "offensichtlich" einen Paradigmenwechsel, der "die Beschäftigungsschwelle des Wachstums wieder" anhebt. (s. FAZ)
Hinter dieser ökonomischen Phraseologie steckt ein Menschenbild, wonach man auf die (angeblich lieber Freizeit statt Arbeit wählenden) Erwerbslosen nur ausreichend existenziellen Druck ausüben müsse, damit sie Arbeit zu jedem Preis und unter allen Bedingungen annehmen. Kurz: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. "Vorfahrt für Arbeit" um jeden Preis! Köhler ist "offensichtlich" ein Anhänger der These: Eine längere Bezugsdauer von Arbeitslosengeld führe zu dauerhafter Verlängerung der Arbeitslosigkeit.
Wie auf dem Kartoffelmarkt
Doch Ursache und Folge waren genau umgekehrt: Die Arbeitslosengeldregelung wurde Anfang 1985 erstmals geändert - wer damals 49 war und arbeitslos wurde, bekam 18 Monate Unterstützung. Von Mitte 1987 an bezogen Jobsuchende über 55 die Unterstützung bis zu maximal 32 Monate. Durchgesetzt wurde dies seinerzeit von Arbeitsminister Blüm (CDU), weil von 1980 bis 1985 die Arbeitslosenzahl bedrohlich schnell von knapp 900.000 (3,8 Prozent) auf über 2,3 Millionen (9,3 Prozent) angestiegen war.
Die Arbeitslosigkeit ist dann in den frühen neunziger Jahren durch den Einigungsboom zunächst gefallen und erst nach dem unsinnigen Abbremsen der Konjunktur durch eine drastische Diskontsatzerhöhung der Bundesbank von 2,9 auf 8,75 Prozent wieder gestiegen. Die Arbeitslosenstatistik korrespondierte eindeutig mit dem Konjunkturverlauf, was sich um die Jahrtausendwende zeigte und beim leichten Aufschwung 2006/07, als bei höherem Wirtschaftswachstum die Arbeitslosenquote wieder nach unten ging.
Köhler hängt dem schlichten Bild vom Arbeitsmarkt als einem Kartoffelmarkt an. Motto: Preis (Lohn) runter und das Angebot (Arbeit) auf dem Markt (Arbeitsmarkt) wird geräumt! Ein solcher "Preismechanismus" trifft jedoch noch nicht einmal für den "Gütermarkt" zu, denn dieser besteht aus einer Vielzahl von Märkten mit ganz unterschiedlichen Produkten, vom Brötchen bis zum Rolls Royce. Noch weniger passt dieses gedankliche Konstrukt für den Arbeitsmarkt, wo ja auch ganz unterschiedliche Fähigkeiten nachgefragt werden.
Der ziemlich einfältige "Preismechanismus" beherrscht auch Köhlers Argumentation gegen den Mindestlohn: "Ein Mindestlohn, der von den Arbeitgebern im Wettbewerb nicht bezahlt werden kann, vernichtet Arbeitsplätze." Da ist der Bundespräsident ganz auf der Seite von Hans-Werner Sinn (Ifo-Institut München), eines der radikalsten Verfechter des Preisfetischs auf dem Arbeitsmarkt, der unlängst beklagte: "Auch die CDU hat für staatliche Preiskontrollen beim wichtigsten Preis gestimmt, den die Volkswirtschaft hat, nämlich dem Preis für die menschliche Arbeit." (SZ)
Weder "der Ökonom" Köhler, noch Professor Sinn noch irgendeiner der neoklassisch inspirierten so genannten Wirtschaftsexperten hat außer in der Welt ihrer Grenzprodukt-Modelle jemals auch nur annähernd ausrechnen können, was jeder einzelne im jeweiligen Produktionsprozess erwirtschaftet. Die Anhänger solcher Denkkonstrukte müssten doch bestimmen können, wie viel mehr der millionenschwere Manager gegenüber dem Portier "im Wettbewerb" (Grenzprodukt) "erwirtschaftet". Lohnverhandlungen oder Aufsichtsratsbeschlüsse über Managerbezüge könnte man sich ersparen: Vom Hoffegen bis zum Design-Entwurf - ja, bis zur strategischen Meinungsfindung eines Topmanagers - müsste danach exakt ausgerechnet werden können, was ihre letzte in der Produktion eingesetzte "Arbeitseinheit" erwirtschaftet.
Im Übrigen sollte man sich darüber im klaren sein, wer gegen Mindestlöhne votiert und damit für ein weiteres Sinken der Bezüge in den untersten Lohngruppen, der "fordert implizit auch eine Senkung des durchschnittlichen Lohnniveaus, wenn er nicht gleichzeitig eine entsprechende Anhebung der Löhne in höheren Verdienstgruppen ausdrücklich anmahnt". (s. Flassbeck/ Spiecker)
Vorindustrielle Muster
Der schlichte Zusammenhang "Löhne runter - Beschäftigung rauf!" mag das Denken eines einzelnen Unternehmers prägen und einzelwirtschaftlich tendenziell eine gewisse Plausibilität haben, in der Gesamtwirtschaft hängen jedoch Angebot und Nachfrage insgesamt voneinander ab, weshalb es ziemlich einfältig ist, den Arbeitsmarkt mit dem Kartoffelmarkt gleichzusetzen. Ein Unternehmer stellt doch nicht allein deshalb einen Mitarbeiter ein, weil der billig ist, sondern weil er dessen Arbeitskraft braucht, um ein Produkt herzustellen, das auf dem Gütermarkt verkauft werden kann, wo eine entsprechende Nachfrage besteht und der Absatz einen Gewinn erwarten lässt.
Köhler kann oder will nicht verstehen, dass Löhne nicht allein der Preis für das Gut Arbeit sind, sondern in der Summe das Einkommen der abhängig Beschäftigten, eine Summe, die immerhin die Hälfte das gesamten Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Sicher nimmt mit steigendem (gesamtwirtschaftlichen) Lohn die Kostenbelastung der Unternehmen zu, was ihre (gesamtwirtschaftliche) Nachfrage nach Arbeitskräften dämpfen mag, aber andererseits wächst mit steigenden Löhnen die (gesamtwirtschaftliche) Güternachfrage, was wiederum die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften steigert.
Der Bundespräsident kann es noch so salbungsvoll verkünden, er vertritt eine ökonomische Lehre, die den Weg zurück in die Steinzeit weist. Er unterstellt die so genannte Substitutionsthese. Will sagen, je billiger der Faktor Arbeit im Verhältnis zum eingesetzten Faktor Kapital (Investitionen) wird, desto mehr Arbeit wird eingesetzt und desto weniger Anreiz besteht für den Unternehmer, Kapital zu investieren, also kapitalintensiver zu produzieren. Denkt man diesen Weg zu Ende, dann gerät man ins vorindustrielle Zeitalter, denn billige Arbeit lohnt die Investition in Maschinen ja nicht mehr - das heißt, es besteht kein Anreiz zu Innovation und zur Steigerung der Produktivität.
Dementsprechend lautet das neoklassische Rezept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Steigerung der Reallöhne möglichst gering zu halten. Nach dem Motto, wächst die Produktivität langsamer, werden auch weniger Arbeitsplätze wegrationalisiert. Wettbewerb findet nicht über innovative Produkte und mehr Produktivität statt, sondern vorzugsweise über die Angleichung der Löhne an die Wettbewerber in Asien.
Heiner Flassbeck und Friedericke Spiecker haben in ihrem neuen Buch Das Ende der Massenarbeitslosigkeit empirisch genau das Gegenteil nachgewiesen: Die Länder mit vergleichsweise guter Reallohnentwicklung (USA oder Großbritannien) haben eine vergleichsweise bessere Beschäftigungslage, als diejenigen mit stagnierenden Löhnen wie Deutschland und Japan. Und anders als die Neoklassiker in ihrem Denkmodell annehmen, hat etwa Japan mit der schlechtesten Beschäftigungskurve zugleich die niedrigste Produktivitätsrate.
Die FAZ (s. o.) macht den uralten Spruch liberaler Traditionalisten zur Schlagzeile: Zur Freiheit gehört Ungleichheit. Ungleichheit stärke die schöpferischen Kräfte, meint Horst Köhler. Leider deutet er mit keinem Wort an, wie viel mehr Ungleichheit als die jetzt schon vorhandene er für unsere Gesellschaft als hinnehmbar betrachtet. Geht es angesichts der immer extremeren Spaltung unserer Gesellschaft in Arm und Reich nicht viel mehr darum, endlich politische Schritte einzuleiten, wachsende Ungleichheiten abzumildern, die ihren Ursprung nicht in unbestreitbaren individuellen Unterschieden, sondern in sozialen Verhältnissen haben, die zu ungleicher Verteilung der individuellen Chancen in der Gesellschaft führen? Hat Köhler noch nie etwas davon gehört, dass zu einer freien Gesellschaft auch die materiellen Voraussetzungen für den einzelnen gehören, seine Freiheit wahrnehmen zu können?
Der Bundespräsident sollte das ganze Volk repräsentieren - weder Parteigänger einer nicht zur Macht gelangten schwarz-gelben Koalition, schon gar nicht der Vorbeter einer bestimmten Wirtschaftsideologie sein. Leider ist Köhler in seinem Amt bisher nicht über den früheren Sparkassendirektor hinausgewachsen.