In Bochum wächst die Wut
Schließungsbeschluss von Nokia stößt auf breite Ablehnung
Nach dem ersten Schock über den Schließungsbeschluss wächst bei den Mitarbeitern des Bochumer Nokia-Werks die Wut. Die Politik gibt sich derweil hilfsbereit.
Wären da nicht die vielen Kameras, Mikrofone und Übertragungswagen, dann könnte man meinen, es sei ein normaler Arbeitstag bei Nokia in Bochum. Keine Fahnen, keine Transparente – nichts weist auf Proteste gegen das verkündete Aus für die Handyfabrik im Ruhrgebiet hin. Für einen ersten leisen Protest sorgt dann Timo Tisch. Auf selbst bemalten Pappen fragt der 28-jährige Arbeitslose nach dem Warum der Werksschließung. Er habe sich gerade bei Nokia beworben. »Das kann ich jetzt wohl vergessen«, sagt er. Nun will er Solidarität zeigen und erinnert an den Arbeitskampf vor rund drei Jahren beim Bochumer Autobauer Opel.
Doch kämpferische Töne werden vorerst kaum angeschlagen – bei Nokia geht die Angst um. »Schlecht und sehr gedrückt ist die Stimmung«, sagt eine Mitarbeiterin. »Aber das kann anders werden, und wir wehren uns.« Eine Kollegin berichtet von »brutalem Arbeitsdruck« und vorgegebenen Stückzahlen bei Speicherkarten, die kaum zu erreichen waren.
Als die Betriebsratsvorsitzende Gisela Achenbach kurz vor das Werkstor kommt, ist sie rasch von Journalisten umringt. Hinter verschlossenen Türen beraten ihr Gremium und die IG Metall die weitere Strategie. Nach dem ersten Schock wachse die Wut. »Doch wir setzen erstmal auf Gespräche und wollen nicht voreilig Porzellan zerschlagen«, sagt Achenbach. Man werde prüfen, wo man noch flexibler und produktiver werden könne, um möglichst viele Arbeitsplätze zu retten. Große Hoffnung setze sie auf die Gespräche mit Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU).
Michael Gerber hat dafür Verständnis. Der ehemalige Betriebsrat des längst geschlossenen BenQ-Handywerks in Kamp-Linfort ist gekommen, um mit seinen Erfahrungen zu helfen. »Diese Auseinandersetzung wird nicht in einer Woche entschieden. Der Widerstand wird noch wachsen«, weiß er aus Erfahrung und warnt vor allzu vielen Hoffnungen auf Rüttgers. »Er war auch bei uns. Aber schon bald hat sich die Landesregierung wieder zurückgezogen.«
Diesmal schlägt der Ministerpräsident schärfere Töne an, will eine Rückforderung der Subventionen – von 1995 bis 1999 knapp 60 Millionen Euro vom Land und 28 Millionen vom Bund – prüfen lassen. Rüttgers warnte Nokia davor, sich ein Image als »Subventions-Heuschrecke« zu verschaffen. »Wir werden uns damit nicht einfach abfinden«, beteuerte er. Nokia müsse sich überlegen, dass das Unternehmen weiter auf dem deutschen Markt präsent sein wolle. SPD-Chef Kurt Beck warf der Konzernleitung eine hemmungslose Gewinnmaximierung vor. Und aus dem Bundeswirtschaftsministerium verlautete, die Regierung sei zu »intensiven Gesprächen« bereit, sollte der Konzern seine geplante Firmenschließung überdenken.
Die EU-Kommission teilte indes mit, sie habe für die Verlagerung des Bochumer Werks nach Rumänien kein Geld aus EU-Strukturfonds gezahlt. Möglich sei aber, dass der Aufbau der Infrastruktur am neuen Standort von Hilfen vor Rumäniens EU-Beitritt profitiert habe.
Für Rüdiger Sagel, der nach seinem Wechsel von den Grünen für die LINKE als Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag sitzt, gehört die gesamte Subventionspolitik auf den Prüfstand. »Im Zeitalter der Globalisierung nehmen die Konzerne, die sich sonst gern auf die freie Marktwirtschaft berufen, jeden Fördertopf mit. Aber eine Garantie für sichere Arbeitsplätze ist das nicht«, kritisiert Sagel. Er fordert strenge Auflagen bei Subventionen und, das Wandern der Firmen von Fördertopf zu Fördertopf zu unterbinden. Was bei Nokia jetzt noch helfen kann, sei nur ein harter Arbeitskampf.
Davon ist auch Kaveh Pour-Imani überzeugt. Ihm wurde 2001 gekündigt, als immer mehr Jobs mit Leiharbeiterinnen – weit über 80 Prozent der Belegschaft sind Frauen – besetzt wurden. Viele kennen Pour-Imani noch, da er sich 2001 gegen die Entwicklungen bei Nokia zur Wehr setzte. »Ihr müsst kämpfen wie die Opelaner«, rät er den Kolleginnen und Kollegen, die ihn umarmen oder die Hand schütteln.
Dies scheint zu fruchten: Aus Wut über die Schließungspläne verweigerten am Nachmittag zahlreiche Beschäftigte die Arbeit. Gewerkschafter versperrten Ein- und Ausgänge des Werkes.