Wird das Saarland kommunistisch?
RüCKEROBERUNG SOZIALER SOUVERäNITäT (1) - Weshalb Oskar Lafontaine demnächst Ministerpräsident Peter Müller beerben könnte
2009 wird im Saarland ein neuer Landtag gewählt, was mit einer interessanten Konstellation verbunden sein könnte. Sollte Oskar Lafontaine als Spitzenkandidat der Linken antreten, womit zu rechnen ist, wird es die Wahl zwischen zwei wirklichen Alternativen geben. Lafontaine unterscheidet von Amtsinhaber Peter Müller (CDU) und SPD-Landeschef Heiko Maas, dass er eine konsequente Verteidigung der öffentlichen Daseinsvorsorge und damit eine radikale Umkehr bei der Privatisierung öffentlichen Eigentums will.
Peter Müller hat seine Sache im Großen und Ganzen gut gemacht, es überwiegen eindeutig die Verdienste, die er sich um diesen Landstrich erworben hat. Der CDU-Ministerpräsident hat im Saarland grosso modo alles so gelassen, wie er es vorgefunden hat. Das hört sich nach nicht viel an, doch ist das in diesen Turbozeiten durchaus eine Leistung. Müller hat in den vergangenen sechs Jahren nicht am Schwungrad der radikalen Ökonomisierung gedreht. Das Land nicht den Heuschrecken zum Fraß vorgeworfen zu haben - den Saarländern ihre Immobilität und notorische Gemütlichkeit nicht ausgetrieben, also die Dinge unterlassen zu haben, die der Zeitgeist gebieterisch fordert, das verdient Respekt.
Gemütlichkeit als Markenzeichen einer Region
Womöglich wird Peter Müller solche Komplimente nicht gern hören, sie vielleicht sogar als Danaergeschenke beargwöhnen. Lieber wäre ihm vermutlich, man würde sein imaginäres Modernisierungswerk, die Verwandlung der saarländischen Industrie- in eine Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, in ein High-Tech-Laboratorium, gebührend herausstreichen, ganz nach dem Motto des letzten Innovationskongresses Empower Deutschland. Mit Innovation zu neuer Stärke.
In der Tat, da ist unter Müller einiges vollbracht - genauer gesagt fortgeführt worden, was Oskar Lafontaine schon angebahnt hat: eine leistungsfähige Forschungsinfrastruktur, eine Informatiklandschaft, eine Nano-Vorzeigeregion. Damit ist die industrielle Struktur des Saarlandes aufgelockert, aber nicht so überwunden worden, wie es die Innovationsberater der Regierung gern hätten. Ohne Maschinen und Stahl, ohne die traditionellen industriellen Kernbranchen hätten weder die Oberflächenveredler aus der Nano-Szene noch die unternehmensnahen Dienstleister den Stoff für ihre Arbeit. Die Besonderheit des Saarlands besteht gerade darin, dass es das Bundesland mit dem höchsten Industriebesatz und noch lebendiger Montanvergangenheit ist - und dass ihm trotzdem die dröhnende Härte anderer Stahlreviere wie des Ruhrpotts oder des Siegerlands abgeht.
Auch die dissoziierenden Wirkungen des Zerfalls der proletarischen Kultur sind nur sehr gedämpft zu spüren. Im Soziologen-Englisch würde man der saarländischen Ökonomie eine hohe soziale Embeddedness attestieren, eine Einbettung der Ökonomie in die Region und ihre Kultur, wozu ganz elementar das altindustrielle Erbe zählt, das der Atomisierung der Gesellschaft in Grenzen Einhalt gebietet.
Gemütlichkeit als Markenzeichen einer Region zu verkünden, dazu gehört heute großer Mut. Die Ideologen der Marktradikalisierung fürchten nichts mehr als Menschen, die sich einrichten, sich selbst genug sind und ihren Wert nicht aus ihrer Produktivität ableiten, sondern aus ihrem Menschsein. Ihr Projekt ist gerade die Austreibung der Gemütlichkeit; alle sollen möglichst zu Soldaten im Produktivitätskrieg der Nationen werden. Deshalb spricht auch Peter Müller lieber vom Aufsteigerland, das die industrielle Altlast abschütteln will. Er ist zwar kein Neoliberaler, aber er möchte es sich mit denen auch nicht verderben.
Um es zu wiederholen - Müller hat seine Sache im Großen und Ganzen gut gemacht, dennoch wird er in knapp zwei Jahren abgewählt werden. Es wird nicht der Riesenstaatsmann Maas sein, der ihn stürzt, sondern sein Erblasser Lafontaine. Dem kommen bei diesem Unterfangen nicht nur sein politisches Talent und seine Verdienste, die er sich um das Saarland erworben hat, zugute, sondern auch das Glück: Er reitet auf dem Ticket des Weltgeistes, der wie er ein Wiedergänger ist.
Mit dem Wort Sozialismus nicht mehr zu erschrecken
Es ist noch keine 20 Jahre her, da war der Kommunismus als alternatives Gesellschaftsmodell restlos desavouiert und sein größter Denker ein toter Hund. Für den Kapitalismus hätte mit der unerwarteten Abdankung des indisponierten Systemrivalen ein Goldenes Zeitalter beginnen können. Die ganze Welt lag ihm zu Füßen, bereit, seine Segnungen in Empfang zu nehmen. Bessere Zeiten gab es für die Kapitalisten dieser Welt und ihre politischen Vor- und Hintermänner nie. Sie besaßen die Gelegenheit, den Beweis ihrer zivilisatorischen Mission, die ihnen Marx im Kommunistischen Manifest so emphatisch attestiert hat, anzutreten und die Welt ein klein wenig besser zu machen. Sie haben sie - das kann man bereits nach einem Herzschlag der Geschichte sagen - erbärmlich verspielt. In seiner Maßlosigkeit hat der Kapitalismus keine Anstalten gemacht, die Welt zu entwickeln, sondern ihr eine Ordnung oktroyiert, die er in seinen Stammlanden nicht zu praktizieren wagte. Wo die Welt störrisch war, hat er sie mit Krieg überzogen und wundert sich, dass eine der Antworten auf seine imperiale Anmaßung der Terror ist.
Die Welt hat dem ungezügelten Treiben des Kapitalismus lange wie in einer Schockstarre zugeschaut. Doch damit scheint Schluss zu sein. Die Deutschen sind mit dem Wort Sozialismus nicht mehr wie ehedem zu erschrecken, die Gewerkschaften beginnen sich zu erinnern, dass sie zuvorderst die Interessen der Abhängigen und nicht des Standorts zu vertreten haben. Ganz viele sind bedient von Flexibilisierung und Deregulierung, von "Reformen", von Politikern, Beratern und Professoren, die keinen blassen Schimmer von der Wirklichkeit in Betrieben, Schulen, Universitäten oder Wohnquartieren haben, sondern die gleichsam in einem Paralleluniversum diese Welt in lauter betriebswirtschaftliche Planquadrate zerlegen und der Kosten-Nutzen-Rechnung anheim stellen.
Der Kapitalismus wird zwar noch lange real die Geschicke großer Teile der Welt bestimmen, aber die kulturelle Hegemonie hat er bereits eingebüßt. Ein Gewinner dieses Diskursschwenks ist der Kommunismus, freilich weniger als nostalgisches Erinnerungsstück, sondern als Aufgabe, die der Menschheit noch gestellt ist. Das kommunistische Projekt, das man fast nirgendwo so tabuisiert wie in Deutschland, ist die Rückeroberung der menschlichen und gesellschaftlichen Souveränität. Es will die Ökonomie der Politik unterstellen, um die Politik frei und selbstbewusst agieren zu lassen.
Die Republik beobachtet Lafontaines Linksdrall mit Erstaunen
Das kommunistische Projekt darf keine historische Notwendigkeit reklamieren, was viele Kommunisten fälschlicherweise getan haben. Es basiert schlichtweg auf der Entscheidung von Menschen, souverän ihr soziales Leben gestalten und nicht zum Spielball anonymer Kräfte werden zu wollen. Damit hat es mehr Verwandtschaft mit dem Projekt des Sozialstaats und dem Projekt der Autonomie, als den Sozialdemokraten lieb sein dürfte.
Oskar Lafontaine, der "unverbesserliche Sozialdemokrat", hat das verstanden, und gerade darauf beruht sein Erfolg, der weit über das Erstarken der Linkspartei hinausgeht. Er hat sich in erfreulicher Weise radikalisiert seit dem endgültigen Bruch mit der SPD. Radikal zu sein, das heißt, die Sache an der Wurzel packen - aufhören, die Misere durch bloße "Realpolitik" zu verlängern. Heute schlägt nicht mehr nur sein Herz links, sondern sein Verstand arbeitet sich an eine konsequent antikapitalistische Perspektive heran. Er ist das linke Gewissen der Linkspartei. Seine Vision geht über die Linkspartei hinaus, sie zielt auf die Überwindung des sozialdemokratischen Schismas ab, das in Deutschland SPD und KPD auseinandergetrieben hat.
Die Republik beobachtet Lafontaines Linksdrall mit Erstaunen und in Teilen mit heimlicher Sympathie. Natürlich wird er angefeindet und niederer Motive (Rache) bezichtigt, doch das ist eher hilflose Polemik und wirkt defensiv. Abgrundtiefe Abneigung, ja richtiggehender Hass schlägt ihm nur aus einer Schicht entgegen: der so genannten "kulturellen Linken", jenen Medienintellektuellen, gewendeten ehemaligen Linksradikalen und Grünen, die heute die Feuilletons der großen Zeitungen bevölkern und sich zu den Tugendwächtern über den herrschenden Diskurs aufgeschwungen haben. Lafontaine ist für sie der Populist schlechthin, der Verführer des Pöbels, einer, der dem Volk nach dem Mund redet. Sie merken es gar nicht, dass sie zu den letzten gehören, die das neoliberale Elitenprojekt noch hochhalten. Sie wollen bis heute die Agenda 2010 als einen unvermeidlichen Sachzwang verkaufen, der keinem Diskurs mit den Leidtragenden unterzogen, sondern wenn überhaupt nur von den Eliten verhandelt werden darf.
Lafontaine hat dieses perfide Spiel durchkreuzt und kriegt deshalb den Populismusvorwurf ab. Damit ist er übrigens in guter Gesellschaft: Jeder, der sich heute im Namen der Benachteiligten und Ausgebeuteten gegen den Kapitalismus auflehnt, dem wird das Etikett Populist angehängt. Bald wird es eine Ehrenbezeichnung sein. Die "kulturelle Linke" hat sich nie die Mühe gemacht, sich mit Lafontaines programmatischen Aussagen, die zu großen Teilen Eingang in die Politik der Linkspartei gefunden haben, auseinander zu setzen. Das rührt unter anderem daher, dass sie sich weit mehr für die soziale Konstruktion von Ethnie, Gender und Sex interessiert als für die soziale Frage. Das Los der einfachen Menschen lässt sie ziemlich kalt, während das Los des Selbstverwirklichungsmilieus ihren Erregungspegel steigert.
(wird fortgesetzt)
Josef Reindl ist Soziologe und arbeitet am Institut für Sozialforschung (iso) Saarbrücken. Er befasst sich dort mit Fragen der Entwicklung der Arbeitswelt (Rationalisierung, Reorganisation, Unternehmenskultur, Sozialordnung und Gesundheitspolitik).