Was ist Armut, wer ist heutzutage eigentlich arm?

Der Versuch einer Definition

27.02.2008

Der Begriff Armut lässt sich nicht eindeutig definieren. Wirtschaftlich betrachtet ist Armut eine "Mangelversorgung mit materiellen Gütern und Dienstleistungen". Generell gibt es eine Unterscheidung zwischen "absoluter Armut" und "relativer Armut". "Absolute Armut" bedroht die physische Existenz.

Als "absolut arm" gelten Menschen, die pro Tag weniger als einen US-Dollar ausgeben können. In Wohlstandsgesellschaften wie in Deutschland wird Armut meist als "relative Armut" definiert. Die "relative Armutsgrenze" bezieht sich auf statistische Zahlenwerte, wie das durchschnittliche Einkommen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO bezeichnet als arm, wer monatlich weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens seines Landes zur Verfügung hat. In Deutschland liegt demnach die Armutsrisikogrenze bei etwa 600 Euro. Die OECD-Skala der "Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung" geht dagegen von 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens aus.

Diese Armutsgrenzen sind jedoch umstritten. Weil die so genannte "Einkommensarmut" den gesellschaftlichen Status nicht genügend wiedergibt, versucht man mit dem "Lebenslagenkonzept" eine weitere Beschreibung. Dieses Konzept interpretiert Armut als Unterversorgung in verschiedenen Bereichen, zum Beispiel in den Bereichen Wohnen, Bildung, Gesundheit, Arbeit, Einkommen und Versorgung mit technischer und sozialer Infrastruktur.

Ähnlich beschreibt eine Studie der Arbeiterwohlfahrt (AWO) verschiedene "Armutsdimensionen": Dazu gehören materielle Armut, Bildungsbenachteiligung, kulturelle Armut, soziale Armut, fehlende Werte, emotionale Armut, Vernachlässigung, falsche Versorgung und ausländerspezifische Benachteiligung.

Eins ist fast allen Versuchen, das Problem "Armut" zu beschreiben, gemeinsam: Es geht um die ungleiche Verteilung von Chancen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen

Armut in Deutschland

Laut aktuellem "Armuts- und Reichtumsbericht" der Bundesregierung galten im Jahr 2003 ganze 13,5 Prozent der Bevölkerung als arm, das sind rund 11 Millionen Menschen. Die Tendenz ist steigend: 2002 waren es noch 12,7 Prozent, 1998 noch 12,1 Prozent.

Konkret ist nach einer Studie des Statistischen Bundesamtes vom Dezember vergangenen Jahres relativ arm, wer im Jahr 2004 in Deutschland als Single nicht über 856 Euro verfügbares Einkommen im Monat hinauskam. Bei einer Familie mit zwei Kindern liegt die Grenze bei 1798 Euro im Monat. Insgesamt waren laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Jahr 2005 etwa 17 Prozent der Menschen in Deutschland armutsgefährdet, vier Prozentpunkte mehr als im Jahr 2000.

Besonders alarmierend: Mehr als ein Drittel der Armen oder von Armut bedrohten sind allein Erziehende und ihre Kinder. Fast jedes siebte Kind ist von Armut betroffen und beinahe jeder fünfte Jugendliche. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef wächst die Armut von Kindern in Deutschland sogar stärker als in den meisten anderen Industrieländern. Dagegen ist die Altersarmut in Deutschland rückläufig: von 13,3 Prozent 1998 auf 11,4 Prozent im Jahr 2003. Auf lange Sicht wird jedoch auch hier ein Wiederanstieg erwartet, weil Arbeitslose, Teilzeitbeschäftigte, Minijobber und Geringverdiener geringere Renten bekommen werden und allgemein das Rentenniveau gesenkt wurde.

Wen trifft Armut am häufigsten?

Vor etwa 10 Jahren waren in besonderem Maß ältere Frauen von Armut betroffen. Es hieß, "Armut ist alt und weiblich". Heute ist Armut jung. Wer viele Kinder hat oder allein erziehend ist, trägt ein größeres Armutsrisiko als kinderlose Menschen oder Ehepaare, die gemeinsam ihre Kinder aufziehen können.

Wesentliche Ursache für ein erhöhtes Armutsrisiko bleibt die Arbeitslosigkeit. Nach dem 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung leben erschreckende 41 Prozent der Arbeitslosen im Jahr 2003 in Armut oder an der Armutsgrenze. Der derzeitige Sozialabbau wirkt sich auf die Situation der Arbeitslosen zusätzlich negativ aus: Durch die Einführung von Arbeitslosengeld II und die gekürzte staatliche Unterstützung werden arbeitslose Menschen seit Januar 2005 noch schneller in die Armut gedrängt.

Eine weitere entscheidende Rolle für die Situation spielt das Bildungsniveau des Einzelnen: Wer über einen niedrigen Bildungsstand verfügt, ist stärker gefährdet in die Armut abzugleiten. Denn gute Bildung und Ausbildung sind noch immer die besten Garanten für einen Arbeitsplatz.

Sehr gefährdet sind zudem wohnungslose Menschen, Ausländer und in Zukunft – durch die Gesundheitsreform und die Anpassung der Renten – wieder verstärkt alte Menschen, chronisch Kranke und Behinderte. Häufig kommen gleich mehrere Belastungen zusammen, wie geringes Einkommen, ungesicherte oder schlechte Wohnverhältnisse, Verschuldung, chronische Erkrankungen, psychische Probleme und soziale Ausgrenzung.