Essen und schlafen kannst du hier, sonst nichts
KALTE VERTREIBUNG - In einem Berliner Heim wird Asylbewerbern nur das Nötigste zugebilligt
Es ist ein schmuckloser, enger Raum mit Wänden aus Pressspan, in dem die junge Migrantin aus Afrika lebt. Als sie kürzlich ihr Kind bekam, erhielt sie im Berliner Flüchtlingsheim Motardstraße (Bezirk Spandau) ein Zimmer für sich und das Baby. Auf sechs Quadratmeter Wohnraum hat in solchen Einrichtungen eine Person laut Gesetz Anspruch.
Das Baby liegt im Kinderbett, ein Fernseher läuft. Der Vater des Kindes? "Er ist in Afrika." Ist sie schwanger geflohen? "Ja, und es war die Hölle". Die grelle Leuchtröhre an der Decke stört den Säugling, er schreit, die Mutter schaltet das Licht aus, nur der flackernde Fernseher, ein Geschenk von Bekannten, erleuchtet noch das Zimmer. Die Frau wohnt hier seit drei Monaten. Sie hofft, dass irgendwann ihr Asylantrag angenommen wird.
Zuerst kommt der Mensch
Das Heim in der Motardstraße liegt im Spandauer Industrierevier am Rand von Berlin. Ein Vattenfall-Kraftwerk produziert direkt nebenan Strom, eine Kläranlage liegt im Süden, die Stadtreinigung entsorgt ganz in der Nähe ihren Sondermüll. Kein Bürger verirrt sich hierher - nur Autos rasen vorbei. Berliner Menschenrechtsgruppen bezeichnen das Heim als "schlimmstes Lager der Hauptstadt". Wer hier landet, erhält nur noch Sachleistungen.
Seit 1998 dient das Heim als Unterkunft für neu angekommene Flüchtlinge im Asylverfahren, wie es in der Beamtensprache heißt. Hinter Stacheldraht wohnen die Flüchtlinge in fünf Containerklötzen aus grauem Blech, drei Stockwerke hoch. Auch nur als vorübergehende Unterkunft für Arbeiter auf Montage wäre eine solche Behausung unzumutbar. In der Motardstraße aber leben mehr als 400 Menschen.
Drei Monate sollen sie laut Gesetz aushalten, nicht länger. Doch seit 2006 werden immer mehr langjährige Flüchtlinge einquartiert, die zuvor eine Wohnung hatten. Sie müssen bleiben, bis "Sachverhalte geklärt" sind. Einige wohnen in der Motardstraße schon seit einem Jahr.
Die Sozialämter der Bezirke können dabei nach eigenem Ermessen gemäß Paragraph 1a des Asylbewerberleistungsgesetzes vorgehen. Ist ein Sachbearbeiter der Ansicht, ein Flüchtling wirke nicht genug an der Klärung eines Sachverhaltes mit - für geduldete Migranten bedeutet das alles von der Beschaffung der Papiere bis zur Abschiebung -, kann er den Flüchtling in die Motardstraße schicken.
"Essen und schlafen kannst du hier, sonst nichts; mit der Zeit verlierst du die Lebensenergie", sagt ein Bewohner aus dem Sudan, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Statt Bargeld erhalten die Flüchtlinge Sachleistungen, "medizinisch unabweisbar gebotene Hilfe" und ein Bett in einem der engen Zimmer. Man könne zwar vor die Tür gehen. Aber wohin? Ins Industrieviertel? Geld für U-Bahn-Tickets bekomme man nur in Ausnahmefällen.
"Zuerst kommt der Mensch", heißt das Motto des AWO-Verbandes, der das Heim betreibt und offenbar Mühe hat, gesetzliche Minimal-Standards einzuhalten: Viele Schränke sind nicht abschließbar. Nötige Reparaturen sollen "unverzüglich" geschehen, schreibt das Landesamt vor, was jedoch nicht immer den Gepflogenheiten der AWO entspricht. Die Reparatur eines Küchenherdes etwa wurde mehrere Wochen hinausgeschoben, sagen die Bewohner.
Die Duschräume sind ohne Schloss, nur mit einem Haken abschließbar. Rost und Kalk zieren Wasserhähne in Bädern und Küchen. Es ist wenig, was der gesetzliche Standard Flüchtlingen hier noch zugesteht: So sind für die Küchen weder Tisch noch Stuhl vorgesehen - die AWO hält sich dran.
Die Verpflegung der Menschen aus Asien, Nahost oder Afrika hat der Konzern Dussmann übernommen und liefert Fertigessen in Aluminiumpackungen. Ob es sich aber um "vitaminreiche Mahlzeiten" handelt, wie der Mindeststandard vorschreibt, bezweifeln Kritiker. Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Die Linke) versichert, bei der Zubereitung der Mahlzeiten würden "persönliche und kulturelle Besonderheiten" beachtet. Doch scheint sich die Rücksicht auf Kultur und Mentalität darauf zu beschränken, Muslimen kein Schweinefleisch anzubieten. Bewohner erzählen, oft wüssten sie nicht, ob es Fleisch oder Fisch ist, was man ihnen vorsetze. Ein Migrant sagt: "Dieses Essen macht krank - wer kann, versucht, an etwas Geld zu gelangen, um einzukaufen."
Draußen schwebt über den Dächern der Container derweil die riesige Wolke des Kraftwerks. Nach Anfragen des Flüchtlingsrates Berlin und des Abgeordneten der Linken, Giyasettin Sayan, ließ Senatorin Knake-Werner im Sommer 2007 die Luftbelastung messen. Die Werte wurden nicht veröffentlicht. Bewohner erzählen, morgens plagten sie Nasenbluten und Kopfschmerzen.
Hinter Sachleistungen verschanzt
Niemand zwingt die Sozialämter, Flüchtlinge in die Motardstraße zu dirigieren, dennoch schickt der Bezirk Pankow besonders viele. Sozialstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) beschwichtigt zwar: "Kranke werden nicht in die Motardstraße eingewiesen", doch kam aus ihrem Bezirk ein Herzpatient nach einem Infarkt in das bewusste Heim. Seit zwei Jahren lebt er nun in einem Doppelzimmer und muss mit dem Dussmann-Essen plus 20 Euro in bar leben. Dieter Ziebarth, ehrenamtlicher Betreuer und Pfarrer im Ruhestand, ist fassungslos: "Die Ärzte haben oft gesagt, dass dieser Mann eine Diät und Geld für Verpflegung brauche. Aber das Sozialamt schaltet auf stur, verschanzt sich hinter dem Sachleistungsgebot." Wenn Ziebarth von der Motardstraße spricht, wird er wütend: "Da ist eine kalte Vertreibung von Flüchtlingen am Werk, indem man die Lebensbedingungen unnötig verschlechtert." Wer hier Schutz suche, erhalte kaum das Nötigste zum Leben. In den trostlosen Containern beging in der letzten Oktoberwoche 2007 ein Mensch Selbstmord. Die junge Migrantin aus Afrika wartet derweil jeden Tag auf Post von der Behörde: Sie hofft weiter, endlich als Asylantin anerkannt zu werden und das Industrieviertel um die Motardstraße hinter sich zu lassen.
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