Das Casino brennt
Wer heutzutage den Wirtschaftsteil einer Tageszeitung aufschlägt, dem kann angst und bange werden. Von Milliarden-Verlusten großer Banken ist dort zu lesen und von den Gefahren einer neuen Weltwirtschaft-skrise. Viele dieser Meldungen geben wenig Aufschluss darüber, was auf den Finanzmärkten wirklich pas-siert ist und wie groß die Probleme tatsächlich sind. Die Krise begann mit dem Verfall der Häuserpreise in den USA. Zuvor hatten unseriöse Finanzvermittler einkommensschwache Familien – z.T. per Drückerkolonne an der Haustür – überredet, Häuser zu 100 Prozent auf Kredit zu kaufen. Diese Kredite waren sehr verlockend, denn sie hatten zu Beginn der Laufzeit nur niedrige Zinsen und Tilgungen. Bei diesen riskanten Immobilienkrediten an Schuldner mit geringer Zahlungsfähigkeit – auch »Subprime-Darlehen« genannt – rechneten sich die Hypothekenbanken trotzdem gute Gewinne aus. Sie gingen von weiter steigenden Hauspreisen in den USA aus. Für den Fall, dass die Schuldner ihre Raten nicht zahlen können, hätten die kreditgebenden Banken die Immobilien mit Gewinn zwangsversteigern können. Das System war also von vornherein darauf angelegt, dass ein erheblicher Teil der einkommensschwachen Familien ihre Häuser und ihre dort hineingesteckten Ersparnisse wieder verlieren würden.
Aus Sicht der Banken wurde dieses rabiate Modell erst dann zum Problem, als die US-Häuserpreise in der zweiten Jahreshälfte 2006 aufhörten zu steigen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die US-Hypothekenbanken diese Kredite bereits zum großen Teil an sogenannte Zweckgesellschaften weiterverkauft. Diese
Zweckgesellschaften wiederum waren zuvor von anderen Banken gegründet worden, um darüber Geschäfte zu ver-stecken, die in den Bilanzen der Gründerbanken nicht auftauchen sollten.
Risiken wurden verschleiert
Die Zweckgesellschaften kauften eine Vielzahl guter und »Subprime«-Immobilienkredite (aber auch z.B. Autokredite und Kreditkarten-Schulden) auf, warfen sie in einen gemeinsamen Topf und vermischten dadurch die Kreditrisiken. Die Risiken wurden so bis zur Unkenntlichkeit verschleiert. Um die Kredite aufzukaufen, haben sich die Zweckgesellschaften ihrerseits kurzfristig, z.B. für 90 Tage, Geld geliehen. Die Zinsen für dieses geliehene Geld waren niedriger als die Zinsen der Immobilienkredite. Solange die Häuserpreise stiegen, war dies also ein Bombengeschäft. Als nun die Häuserpreise fielen, kamen die Zweckgesellschaften in Schieflage, denn mit den Hauspreisen schmolzen auch ihre Kreditsicherheiten dahin. In der Konsequenz mussten die Gründerbanken für diese Risiken geradestehen und sie wieder in ihre Bilanzen aufnehmen.
Bis heute können die Gründerbanken nicht genau rekonstruieren, welche Kredite mit welchen Risiken ihre Zweckgesellschaften damals in einen Topf geworfen haben. Da die Ausfallrisiken der Kredite nicht kalkulierbar sind, müssen die Banken sie quasi auf Verdacht erst einmal weitgehend abschreiben. Daraus resultieren die Milliarden-Verluste, die sich nach jüngsten Schätzungen des Internationalen Währungsfonds insgesamt auf bis zu 1.000 Mrd. US-Dollar summieren können.
Die Folge: Die Banken sind kaum mehr bereit, sich gegenseitig Geld zu leihen. Diese Vertrauenskrise hat sich inzwischen quer durch die ganze Finanzwelt ausgebreitet. Bei vielen hat dies das Horrorszenario einer Weltwirtschaftskrise heraufbeschworen.
Man sollte sich hüten, das Ausmaß der Krise schon jetzt abschätzen zu wollen. Niemand kann ausschließen, dass es zu Serienzusammenbrüchen großer Banken und Unternehmen kommen kann. Die Wahrscheinlichkeit scheint eher gering zu sein. Die Krise hat in den USA angefangen und wird dort auch die schwerwiegendsten Folgen haben. Viele Menschen haben ihre Wohnungen und Häuser verloren, viele werden folgen.
Mit fallenden Hauspreisen stottert der Antrieb des US-Wachstums, nämlich der private Konsum. Die US-Amerikaner haben viele Jahre Hypothekenkredite aufgenommen, um mehr zu konsumieren. Mit steigenden Häuserpreisen haben sie auch die Hypotheken auf ihre Häuser ständig erhöht. Nun, da der inländische Konsum in den USA – immerhin 70 Prozent des Sozialprodukts – nachgibt, kommt es dort fast zwangsläufig zur Rezession.
Die Menschen in Deutschland wird dies insofern treffen, als dass die US-Amerikaner weniger Produkte aus Deutschland kaufen werden. Wie weit der gewaltige deutsche Exportüberschuss dadurch sinken wird und Arbeitsplätze in der Exportindustrie gefährdet werden, ist schwer zu sagen. Sollte es dort zu Arbeitsplatzver-lusten kommen, darf man die Schuld dafür aber nicht bei den USA zu suchen.
Die Verantwortung tragen vielmehr diejenigen Arbeitgeber und Politiker, die den »Standort Deutschland« mit ihrer Ideologie der
»Lohnzurückhaltung« in den vergangenen 15 Jahren auf Kosten der Binnennachfrage so abhängig vom Export gemacht haben. Insofern zwingt die Krise dazu, das Wachstumsmodell »Exportweltmeister« endlich in Frage zu stellen und stattdessen auf Lohnsteigerungen im Interesse des Binnenmarkts zu drängen.
Auch wenn die große Weltwirtschaftskrise ausbleibt, so darf sich DIE LINKE nicht erleichtert zurücklehnen. Die Krise hat die weitreichenden Gefahren mangelhaft regulierter Finanzmärkte sehr deutlich gemacht. Die globale Finanzelite und ihre neoliberalen Helfer in der Politik sind dadurch in große Bedrängnis geraten. Diese Schwäche muss genutzt und zugleich verhindert werden, dass die Banker und Spekulanten ihre Verluste auf die Allgemeinheit abwälzen. Jetzt ist der richtige Moment, um grundlegend neue Spielregeln für die Finanzmärkte zu fordern. Mit dem Aktionsplan »Finanzmärkte demokratisch kontrollieren, Konjunktur und Beschäftigung stärken« hat die Bundestagsfraktion DIE LINKE schon Signale gesetzt.
Neue Regeln für Finanzmärkte
Sie fordert z.B. eine Stärkung der Bankenaufsicht, Einschränkungen bei Kreditverkäufen, eine Rückbesin-nung der Landesbanken auf regionale Wirtschaftsstrukturen und eine verschärfte Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten. Darüber hinaus steht eine Beweislastumkehr an: Heute sind auf den Finanzmärkten alle Instrumente und Produkte – auch wenn sie noch so unberechenbar sind – erlaubt, solange sie nicht ausdrücklich verboten sind. Im Sinne eines Finanz-TÜV sollen komplizierte Finanzprodukte in Zukunft stattdessen einer Zulassungspflicht durch die Finanzaufsicht unterliegen. Eine noch so weit gehende Finanzregulierung bleibt aber unzureichend, solange wir die ungerechte Verteilung nicht in den Griff bekommen. Die Finanzmärkte quellen über vom Geld der Reichen und Superreichen.
Nur eine radikale Umverteilung kann die ohnehin im Kapitalismus unausweichlichen Krisen dämpfen. Um dies durchzusetzen, braucht es kampffähige Gewerkschaften. Und gerade deswegen braucht es Instrumente wie z.B. das auch in der Bundestagsfraktion diskutierte Zukunftsinvestitionsprogramm, um die Massenarbeitslosigkeit zurückzudrängen und so die Kampfkraft der Beschäftigten zu erhöhen.
Das Finanz-Casino brennt, und es gilt zu verhindern, dass die Flammen auf die angrenzenden Gebäude übergreifen. Wenn das Feuer verloschen ist, darf sich DIE LINKE nicht damit zufriedengeben, dass in einem renovierten Casino bessere Feuermelder eingebaut werden. Am Ort der Casino-Ruine sollte man lieber eine Kneipe namens Real-Wirtschaft eröffnen.