Harry Nick: Monopolmacht heute
»Was wäre geschehen, hätte es Global Players gegeben, als das Alphabet erfunden wurde oder die Notenschrift?«
Hinter der Schwärmerei über die Segnungen des freien Marktes bleibt verborgen, dass deren Akteure, ohne Ausnahme, gern das direkte Gegenteil hätten: das Monopol. Kaufleute könnten sich nicht treffen, ohne Verschwörungen gegen die Allgemeinheit anzuzetteln oder etwa Preise abzusprechen, bemerkte schon Adam Smith. Bis Ende des 19. Jahrhunderts vermochte das einzelwirtschaftliche Monopolstreben die freie Konkurrenz allerdings nicht auszuhebeln. Lenin sah in den sich herausbildenden marktbeherrschenden Trusts, Konzernen und Kartellen Monopole, eine neue Qualität des Kapitalismus.
Der Wandel, den wir heute mit dem Übergang zu einer wissensbasierten Wirtschaftsweise erleben, ist weitreichender, tiefer, zugleich weniger sichtbar. Wissen wird zur oft wichtigsten Substanz von Monopolen. Produktmonopole basieren auf der wirtschaftlichen Macht der jeweiligen Unternehmen, sind selten ein Monopol im Sinne eines Alleinanbieters. Wissensmonopole hingegen sind total, universell, gesichert durch die Macht des Staates. Der versucht, wenn auch halbherzig und vergeblich, diese zu verhindern, bei der Monopolisierung von Wissen aber war und ist er immer dabei. Das erste 1623 in England verabschiedete Patentgesetz nannte sich folgerichtig und offenherzig »Statute of Monopolies«.
Die Monopolisierung von Wissen ist im Vergleich zur Monopolisierung anderer Ressourcen besonders leicht, lohnend und gemeingefährlich. Der für den Zugang zu diesem Wissen, seine wirtschaftliche Nutzung zu entrichtende Preis, soweit er über die Erstattung des Aufwands und eine angemessene Prämie für den Erfinder hinausgeht, ist nichts anderes als ein Tribut, wie ihn in grauen Vorzeiten die Herrscher von Unterworfenen verlangten. Was als »Schutz des geistigen Eigentums« der Erfinder ausgegeben wird, ist vor allem Schutz der Monopolmacht der Konzerne, der Vermarkter. Die Erfinder werden oft billig abgespeist.
Wie gelähmt sollen Besucher der letzten Documenta in Kassel vor den »Siegesgärten« der Künstlerin Ines Doujak gestanden haben, in welchen ungeheuerliche Botschaften über die Biopiraterie der Konzerne vorgeführt wurden. Sie stehlen Geninformationen in der Tier- und Pflanzenwelt der armen Länder, monopolisieren sie. Am Ende müssen Bauern für das Saatgut der Pflanzen, die sie seit Jahrhunderten anbauen, Lizenzen an diese Piraten zahlen. Die heutige Art von Globalisierung des Patentrechts ist eher Verhinderung realer Globalisierung. Sie dient vor allem den Global Players und be- und verhindert wirtschaftliches, technologisches Aufholen der ärmeren Länder. Sie ist mitunter geradezu mörderisch, wie im Falle der Patente an Medikamenten gegen Aids.
Zu Recht wird der neoliberalen Monopolisierungswut entgegengehalten, dass zumindest Lebewesen und Geninformationen nicht wie tote Gegenstände behandelt, nicht patentiert werden dürften, dass nur vom Menschen Erfundenes, nicht von ihm in der Natur Entdecktes patentiert werden dürfte.
Das Gemeinste an der Monopolisierung von Wissen ist wohl die Privatisierung des Gemeinguts an »geistigen Schlüsseln«, wozu vor allem die Software gehört. Es ist keineswegs abwegig, zu fragen: Was wäre geschehen, hätte es solche Global Players gegeben, als das Alphabet erfunden wurde oder die Notenschrift oder das dekadische Zahlensystem. Die Patentierung von Genen ist eine Monopolisierung eben solcher Dimension. Es ist Zeit, dass man diesem Treiben, bedient durch die neoliberalen Hardliner der EU-Kommission und des Europäischen Patentamtes, auch der deutschen Regierung, laut widerspricht. Wie Ines Doujak.
Immer freitags: In der ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.