Sicherer Lebensabend?

Die gesetzliche Rentenversicherung ist seit Jahren im Visier neoliberaler Politiker. Um Altersarmut ­entschieden entgegenzutreten, entwickelt Die Linke ein Programm zur Wende weg von der Privatisierung hin zu einer Lebensstandardsicherung

22.07.2008 / Von Michael Schlecht, junge Welt

Heute ist Altersarmut noch sehr begrenzt. Gerade einmal zwei Prozent der Rentnerinnen und Rentner sind auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen – also auf Alterssozialhilfe. Deren Höhe liegt einschließlich der Hilfen für die Unterkunft bei rund 650 Euro im Monat. Für die Zukunft droht jedoch ein massiver Anstieg der Altersarmut in Deutschland. Alle Beschäftigten, die in den nächsten 20 Jahren weniger als drei Viertel eines Durchschnittsverdienstes – nach heutigem Geldwert knapp 1900 Euro brutto im Monat – erhalten, droht 2030 eine Rente, die nur der Grundsicherung entspricht. Der Paritätische Wohlfahrtsverband geht davon aus, daß in 15 Jahren zehn bis 15 Prozent der alten Menschen auf die Grundsicherung angewiesen sind. Besonders werden Frauen betroffen sein.

Die Partei Die Linke hat ein Reformprogramm entwickelt, wonach niemandem im Alter weniger als 800 Euro im Monat zur Verfügung stehen. Diese Sicherheit soll in einem mehrstufigen Verfahren erreicht werden. Zunächst geht es – wie es in programmatischen Überlegungen der Linkspartei heißt – um »Gute Arbeit und Gute Löhne«, damit eigene Rentenanwartschaften aufgebaut werden können (dazu jW-Thema v. 17.4.2008). Sind diese nicht ausreichend vorhanden, muß innerhalb des Rentenversicherungssystems der Solidarausgleich greifen. Zu niedrige Erwerbseinkommen müssen rückwirkend höher bewertet und Ausfallzeiten wieder stärker bei der Rentenberechnung anerkannt werden. Damit ergeben sich höhere Rentenleistungen, die keiner Bedarfs­prüfung unterliegen, sondern auf die ein unmittelbarer Rechtsanspruch besteht.

Ist dann die Rente immer noch zu niedrig, muß die Grundsicherung einspringen, die steuerfinanziert ist. Diese gibt es nach entsprechender Bedarfsprüfung. Die Regelungen zur Nichtanrechnung von Einkommen und Vermögen müssen ausgeweitet werden, damit insbesondere die Inanspruchnahme des Vermögens unverheirateter Lebenspartner ausgeschlossen wird. Der Unternehmer zum Beispiel, der bis zum 30. Lebensjahr Beschäftigter war und in die Rentenkasse einbezahlt hat, lebt im Alter von Erträgen aus privaten Lebensversicherungen oder ähnlichem. Er braucht keine Grundsicherung. Für diejenigen, die sie benötigen, soll sie auf 435 Euro im Monat ansteigen. Zuzüglich der Kosten für die Unterkunft wird sich dann ein Mindestbetrag von 800 Euro im Monat ergeben.

Ziel ist die Erwerbstätigenversicherung. Auch Selbständige sollen pflichtversichert werden. Die Beitragsbemessungsgrenze soll schrittweise angehoben und die Rentenleistungen sollen im oberen Bereich abgeflacht werden.

Rentenbeiträge für Finanzjongleure

Aber die Bedrohung geht viel weiter. Wenn in absehbarer Zeit keine Umkehr in der Rentenpolitik erfolgt, ist das System der gesetzlichen und solidarischen Rente extrem gefährdet – der angelsächsische Weg der privaten, kapitalgedeckten Altersvorsorge droht. In den USA gibt es zwar auch eine Rentenversicherung nach dem Umlageprinzip, jedoch stellt sie nur eine »erste Sicherheitsbarriere« dar, um Armut zu vermeiden. Eine Sicherung des Lebensstandards ist damit nicht möglich. Um dies zu erreichen, sind abhängig Beschäftigte gezwungen, zusätzlich kapitalgedeckt vorzusorgen. Riesige Vermögen werden so in sogenannten Pensionsfonds angesammelt, die auf dem Finanzmarkt nach Anlagemöglichkeiten mit hohen Renditen suchen.

Einer der größten Pensionsfonds, CalPERS, ist in Kalifornien ansäßig. Rund 1,5 Millionen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes sichern über diesen Fonds ihre Altersvorsorge. Das Anlagevermögen beträgt 250 Milliarden US-Dollar. Rund die Hälfte ist in Aktien investiert. Darüber hinaus bestehen Beteiligungen an Private-Equity-Unternehmen, also den berüchtigten »Heuschrecken«, und auch an Spekulationsgeschäften.

Die Finanzmärkte werden so immer mehr aufgebläht, da die Menschen durch eine solche verfehlte Rentenpolitik zusehends in die private Alterssicherung gedrängt werden. Sie müssen sparen, ihr Geld in Fonds anlegen oder Versicherungen abschließen. Allein ein Viertel des weltweit angelegten Vermögens steckte 2005 in Pensionsfonds – über 20 Billionen Dollar. Ob es tatsächlich zu den erwarteten Rentenauszahlungen kommen wird, bleibt ungewiß – so ungewiß wie die Entwicklung auf den Finanzmärkten. Gewiß ist aber, daß die Pensionsfonds ihre Gelder anlegen müssen. Unter Umständen sogar genau in den Hedge- oder Private-Equity-Fonds, der gerade den Arbeitsplatz der künftigen Pensionäre zwecks Gewinnsteigerung vernichtet.

Bei der Auseinandersetzung um die Zukunft der Rente geht es vor allem darum, ob dem Kapital die »Landnahme« im Bereich der Altersvorsorge gelingt. Wäre sie erfolgreich, würde sich die Bedrohung der Altersarmut in noch ganz anderer Dimension darstellen, als sie heute droht. Kampf um den Erhalt der gesetzlichen Rentenversicherung muß das vorrangige Ziel sein, gerade auch im Kampf gegen den Finanzmarktkapitalismus.

Lebensstandardsicherung

In den letzten sieben Jahren ist das Leistungsniveau der Rente bereits erheblich abgesenkt worden. Bis 2030 ist mit den gegenwärtigen Gesetzen eine weitere Verschlechterung um 20 Prozent vorgesehen. Eine Lebensstandardsicherung ist perspektisch so nicht mehr möglich.

Man müsse eben zusätzlich privat vorsorgen, so die Empfehlung der Regierung. Sechs Prozent des Bruttoeinkommens für private Altersvorsorge ist notwendig, um die Leistungsverschlechterungen bei der gesetzlichen Rente auszugleichen. Viele Menschen zweifeln an der Rente. »Wenn schon privat vorsorgen, weshalb nicht gleich ganz privat?« So fragen viele. Die mediale Offensive dazu läuft seit Jahren. Die Bild-Zeitung voran.

Beschäftigte mit einem Durchschnittseinkommen zahlen jeden Monat rund 500 Euro in die Rentenversicherung ein. Ihnen wird nach 45 Beitragsjahren eine Nettorente von knapp 1100 Euro im Monat in Aussicht gestellt. Der Abstand zur Grundsicherung ist mit rund 650 Euro nicht allzu groß. Dies ist auch ein Grund, weshalb aus Sicht vieler Beschäftigter bereits heute die gesetzliche Rentenversicherung ein Legitimationsproblem hat. Zumindest werden die faktischen Verhältnisse von interessierter Seite – den Versicherungen und Banken – den Menschen vorgerechnet. Schnell entsteht so die Überlegung: Ohne gesetzliche Rentenversicherung könnte man mit 500 Euro jeden Monat ein ansehnliches Vermögen für eine private Altersvorsorge aufbauen. Gäbe es dann noch eine Grundrente dazu, wäre man im Alter fein raus. So wird heute schon Akzeptanz für die Privatisierung der Altersvorsorge hergestellt.

Soll dieses Legitimationsproblem für die gesetzliche Rente, soll dieser Nährboden für die Privatisierung nicht weiter anwachsen, ist die Rentenleistung für den Durchschnittsbeschäftigten wieder deutlich zu verbessern. Die Lebensstandardsicherung muß wieder hergestellt werden. Deshalb fordert Die Linke die Rücknahme aller Kürzungsfaktoren. Sie will, daß die Renten im Gleichschritt mit den Löhnen des jeweiligen Vorjahres wieder ansteigen. Die Umsetzung dieser Forderung würde eine sofortige zusätzliche Rentenanhebung um vier Prozent zwecks Ausgleich der seit 2001 erfolgten Kürzungen bedeuten. Und die drohenden Kürzungen von rund 20 Prozent bis 2030 wären gestoppt. Selbstredend bereitet damit Die Linke auch endlich den Weg zur Angleichung der Ostrenten an die Westrenten. Der Renteneintritt soll im Grundsatz mit 65 Lebensjahren festgeschrieben bleiben – mit der Möglichkeit des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben.

Erst eine Politik, die die Lebensinteressen aller Beschäftigten, der Erwerbslosen und Rentnerinnen und Rentner gleichermaßen berücksichtigt, macht Armutsbekämpfung ohne neoliberale Nebenwirkungen möglich. Ziel ist dabei, daß alle durch »Gute Arbeit und Gute Löhne« eine ausreichende Rente erwarten können. Sofern das nicht der Fall ist, muß innerhalb des Systems durch Solidarität eine ausreichende Rente erreicht werden. Erst wenn das nicht gelingt, wird die Grundsicherung greifen.

Die neoliberalen Strategen – seit den 80er Jahren gehören hierzu unter anderem Kurt Biedenkopf (CDU) und dessen ehemaliger Mitarbeiter und Gründer des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft Meinhard Miegel – betreiben die Privatisierung der Altersvorsorge in Deutschland. Sie haben die Legitimationskrise als zentralen Hebel zur Verfolgung ihres Zieles auf der Agenda. Die »Reformen« der letzten sieben Jahre waren für sie nur der erste Akt: »Mit dem Rentenreformgesetz 2001 wurde eine Entwicklung eingeleitet, die das bestehende Rentengebäude eines Tages zum Einsturz bringen dürfte.«

Damit wird die Systemfrage von rechts gestellt. Scheinbar großzügig soll es nach dem Willen von Biedenkopf und anderen eine Grundrente geben, die aber faktisch nicht über das Armutsniveau hinauskommt. Lebensstandardsicherung gibt es dann nur noch durch private Absicherung – abhängig von der Entwicklung auf dem Finanzmarkt. Und das ist das Ziel solcher Strategen. Grundrente ist der Hebel zur neoliberalen Privatisierung der Altersvorsorge! Deshalb ist es auch kein Wunder, daß all die Professoren- und Beraterbataillone von Banken und Versicherungen gesponsert werden. Denn um deren Geschäfte geht es. Die Milliarden aus der Riesterrente sind nur der Appetitanreger.

Wer soll das bezahlen?

Seit SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder und dessen Arbeitsminister Walter Riester sollen die Unternehmer nie mehr als elf Prozent Beitrag in die Rentenversicherung zahlen müssen. Deshalb wurde deren Höchstbeitragssatz auf 22 Prozent festgelegt. Begründet wurde dies mit dem hohen Lied von den Lohnnebenkosten. Die Kürzungsfaktoren, die in die Rentenformel eingebaut wurden, waren alle darauf ausgerichtet, daß der Beitrag nie über 22 Prozent steigen dürfe. Will man die gekürzten und gefesselten Renten durch Privatvorsorge ausgleichen, müssen sechs Prozent zusätzlich aufgebracht werden. Die Gesamtbelastung für Beschäftigte wächst damit auf bis zu 17 Prozent. Diese muß der Beschäftigte allein tragen – und zwar ab sofort.

Absicht der Linkspartei ist es, alle Kürzungsfaktoren wieder zu streichen. Käme es dazu, dann steigt der Beitragssatz nach neuesten Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung bis 2030 von aktuell 19,9 auf 25,1 Prozent an. Dies bedeutet: Für zusätzliche 5,2 Prozentpunkte Rentenversicherungsbeitrag kann die Rentenformel wieder repariert werden.

Darin eingeschlossen sind alle Belastungen, die durch die demographische Verschiebung entstehen. In welchen Farben ist den Bürgerinnen und Bürgern nicht in den letzten Jahren die »demographische Zeitbombe« als große Bedrohung ausgemalt worden. Deshalb gehe es mit der gesetzlichen Renten so nicht weiter, hieß es. Und heute wird ihnen von amtlichen Stellen vorgerechnet, daß mit 25,1 Prozent vom Bruttolohn alles finanzierbar sei!

Für Beschäftigte steigt der Beitragssatz von heute 9,95 Prozent auf 12,65 Prozent in 2030. Ebenso der Beitrag, den die Unternehmer zu zahlen haben. Bei Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung müssen also jeweils 2,7 Prozentpunkte mehr gezahlt werden. Verteilt auf über 20 Jahre! Selbst bei sehr niedrigen Steigerungsraten der Produktivität können die Unternehmer die höhere Beitragsbelastung zahlen – manche sogar aus der Portokasse. Und die Beschäftigten sparen! Sie zahlen 2030 für die ungekürzte Rente dann 12,6 Prozent, statt 17 Prozent. Sie haben einen 4,4 Prozentpunkte geringeren Gesamtaufwand.

Die gesamten Kosten der von der Partei Die Linke entwickelten Rentenformel belaufen sich auf rund 35 Milliarden Euro jährlich. Davon entfallen zirka 15 Milliarden Euro auf den bis 2030 zu erhöhenden Beitrag zur Rentenversicherung. Die restlichen 20 Milliarden Euro sind für die Höherbewertung von Rentenanwartschaften und für die Grundsicherung notwendig. Das Geld dazu kommt aus Steuermitteln, zum erheblichen Teil durch Umschichtungen. Denn die private Altersvorsorge wird zur Zeit mit 13 Milliarden Euro subventioniert.

Schluß mit Lohndumping

Die Renten hängen von den Einkommen der aktiv Beschäftigten ab. Mit der Wiederherstellung der Rentenformel ist gesichert, daß die Rentner an den Lebensstandard der Beschäftigten angekoppelt werden. Damit es allen besser geht, muß sichergestellt werden, daß die Beschäftigten steigende Reallöhne durchsetzen können. Dafür werden bessere Rahmenbedingungen für die Tarifpolitik benötigt, damit in Zukunft mindestens der verteilungsneutrale Spielraum ausgeschöpft werden kann.

Eine entscheidende Fessel für die Tarifpolitik ist »Hartz IV«. Durch den Fortfall des Zumutbarkeitsschutzes wird massiver Druck auf Löhne und Tarifverträge ausgeübt. Erwerbslose werden gezwungen, jede Arbeit zu beliebig niedrigen Löhnen anzunehmen. Die Wirkung geht aber viel weiter. Alle Beschäftigten wissen, was ihnen droht, wenn sie ihren Job verlieren. »Hartz IV« hat daher als massives Lohndumpinginstrument eine ungeheure Wirkung zur Disziplinierung. Schlußfolgerung: Es muß wieder einen hinreichenden Schutz durch Zumutbarkeitsregelungen geben. Von niemandem darf verlangt werden, eine neue Tätigkeit anzunehmen, die nicht der erworbenen beruflichen Qualifikation entspricht und bei der die Bezahlung von der bisherigen deutlich abweicht.

Besonders einschneidend wirkt sich mittlerweile Leiharbeit aus, die 2002 und 2003 »liberalisiert« wurde – für die Unternehmer. Die Linkspartei arbeitet an einem Gesetz zur Begrenzung und Zurückdrängung der Leiharbeit. Leiharbeiter sollen für gleiche Arbeit nicht nur die gleiche Bezahlung wie die Stammbelegschaft erhalten, sondern zusätzlich einen Flexibilitätsbonus. Leiharbeitsfirmen dürfen ihre Beschäftigten nicht befristet anstellen, sondern nur unbefristet.

Mit höheren Löhnen steigen auch die Beitrags­einnahmen und die Renten. In den letzten zehn Jahren ist der »verteilungsneutrale Spielraum« – also Preissteigerung zuzüglich Erhöhung der Produktivität – in der Tarifpolitik um rund zehn Prozentpunkte nicht ausgeschöpft worden. Wäre dies gelungen, so fielen heute nicht nur die durchschnittlichen Löhne zehn Prozent höher aus, sondern auch die Renten. Die Rente des Durchschnittsbeschäftigten läge also nicht bei rund 1100 Euro, sondern bei 1200 Euro.

»Gute Arbeit« ist auch deshalb notwendig, da prekäre Beschäftigungsformen für viele die individuellen Aussichten auf eine gute Rente beeinträchtigen. Vollzeitarbeit ist in den letzten knapp 20 Jahren massiv zurückgegangen. 1991 betrug ihr Anteil an der Beschäftigung noch 84 Prozent, 2006 waren nur noch 67 Prozent vollzeitig berufstätig. Dahinter steckt vor allem die massive Umwandlung von Tätigkeiten in geringfügige Arbeitsverhältnisse. Die Zahl der Minijobs stieg seit 2003 um fast zwei Millionen an. Von den knapp 7,2 Millionen Minijobbern Ende 2007 gingen fünf Millionen oder 70 Prozent ausschließlich einer geringfügig entlohnten Beschäftigung nach. Die übergroße Anzahl sind Frauen. Fast alle Minijobberinnen erwerben mit ihrer Tätigkeit keine Ansprüche auf eine Rente. Hier liegt eine wichtige Ursache für die drohende Altersarmut. Deshalb müssen Minijobs zumindest in sozialversicherungspflichtige Teilzeittätigkeiten umgewandelt werden, besser noch in reguläre Vollzeitarbeit.

Seit 1991 stieg die Anzahl der Selbständigen um über vier Millionen an. Dies hängt auch mit dem Anstieg der Zahl der sogenannten Soloselbständigen – sie haben keine Beschäftigten – zusammen. Ihre Zahl stieg von 1,4 Millionen auf heute 2,3 Millionen. Häufig handelt es sich um Beschäftigte, die von ihrem »Arbeitgeber« in die Scheinselbständigkeit gedrängt wurden, um Sozialabgaben »zu sparen«. Die übergroße Mehrheit der Soloselbständigen hat keine ausreichende Altersvorsorge. Deshalb müssen wieder gesetzliche Regelungen eingeführt werden, die die Scheinselbständigkeit zurückdrängen. Die SPD-Grünen-Regierung hatte 1999 hierzu sinnvolle Regelungen durchgesetzt, die aber nach kurzer Zeit unter dem Druck der Unternehmer wieder zurückgenommen wurden.

Die Löhne werden seit Jahren von den Unternehmern massiv gedrückt. Der Anteil der Beschäftigten mit Niedriglöhnen liegt mittlerweile bei 22,2 Prozent. Knapp hinter den USA belegt Deutschland damit Platz zwei bei den Niedriglöhnen. Dies hat auch verheerende Folgen für die später zu erwartende Rente. Nur wer 45 Jahre in Vollzeit arbeitet und rund 8,50 Euro pro Stunde verdient hat, erlangt eine Rentenanwartschafft in Höhe der heutigen Grundsicherung von rund 650 Euro. Um mit eigenen Ansprüchen die von der Linken als Ziel formuliert Mindestmarke von 800 Euro zu überschreiten, wird ein Stundenlohn von mindestens zehn Euro benötigt. Deshalb: Auch wegen der Rente fordert die Linkspartei einen gesetzlichen Mindestlohn von acht Euro, der zügig auf zehn Euro gesteigert wird.

»Gute Arbeit« bedeutet aber auch Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Der Grad des lebenslangen Verschleißes entscheidet darüber, wie unsere Lebensbedingungen im Alter aussehen und ob der Lebensabend überhaupt erreicht wird. Deshalb muß der gegenwärtige Trend zur Arbeitszeitverlängerung umgekehrt werden – gerade auch, um mehr Zeit für Erholung zu gewinnen. Im ersten Schritt ist die Reform des Arbeitszeitgesetzes und die Begrenzung der höchstzulässigen durchschnittlichen Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden notwendig. Das Ziel ist eine gesetzlich geregelte Obergrenze von 35 Stunden. Bei allen Schritten der Arbeitszeitverkürzung muß ein voller Lohnausgleich gesichert werden. Die Mitbestimmungsrechte von Personal- und Betriebsräten sind vor allem im Hinblick auf erzwingbare Personal- und Stellenpläne zu erweitern. So ist zu erreichen, daß die Verkürzung der Wochenarbeitszeit zu mehr Beschäftigung führt und der Leistungsdruck nicht weiter ansteigt. Auch dies ist gerade für die Situation im Alter wichtig.

Gewerkschaft aufgewacht

Nach jahrelanger rentenpolitischer Agonie ist Bewegung in die Rentendebatte gekommen. Eine wichtige Etappe war dabei die Auseinandersetzung um die Rente mit 67. Hervorzuheben sind dabei die 300000 Metaller, die Anfang 2007 während der Arbeitszeit gegen die Verlängerung der Arbeitszeit demonstrierten. Faktisch handelte es sich damals um einen politischen Streik. Vor diesem Hintergrund gerieten dann auch die drohenden Folgen der »Rentenreformen« von »Rot-Grün« in den Blick. In den Jahren 2000 und 2001 leistete zwar ein Teil der Gewerkschaften Widerstand. Jedoch wurde von der Mehrheit, insbesondere von der DGB-Spitze, damals eine Politik der Mitgestaltung praktiziert.

Heute ist mittlerweile beim DGB, bei der IG Metall und bei ver.di ein eindeutiger Kurswechsel zu verzeichnen. Auch wenn es in einzelnen Details der jeweiligen rentenpolitischen Konzepte Differenzen gibt, besteht in den Kernpunkten Einigkeit: Gefordert wird die Streichung aller Kürzungsfaktoren in der Rentenformel und der Verzicht auf die Rente mit 67. Es soll bei der Rente mit 65 bleiben, und dies soll ergänzt werden um flexible Ausstiegsmöglichkeiten aus dem Berufsleben bei vorzeitigem Verschleiß. Die Partei Die Linke ist die einzige Partei, die in der Rentenpolitik entsprechende Forderungen stellt. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Gewerkschaften im Wahlkampf sich eindeutig zu ihren rentenpolitischen Forderungen bekennen.
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Michael Schlecht ist Mitglied im Bundesvorstand der Partei Die Linke und deren gewerkschaftspolitischer Sprecher