Von wegen unflexibel
Ostdeutsche Jugendliche sehr mobil
Arbeitgeber beklagen gern die fehlende Flexibilität ostdeutscher Jugendlicher, eine Ausbildung auch viele Kilometer entfernt vom eigenen Wohnort anzunehmen. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) belegt nun genau Gegenteiliges: Ostdeutsche Jugendliche sind sehr flexibel – sie nehmen für eine Ausbildung weite Wege in Kauf.
Über 600 000 Auszubildende verlassen auf dem Weg zum Ausbildungsort ihren Heimatkreis. In Ostdeutschland sind fast 41 Prozent der Auszubildenden über eine Kreisgrenze hinweg mobil, in Westdeutschland dagegen nur ein Drittel der Jugendlichen. Auf diese Weise gleichen die Auszubildenden die regionalen Ungleichheiten auf dem Ausbildungsstellenmarkt in einem hohen Maße aus. »Ohne ihre Flexibilität wäre die Lage auf dem Lehrstellenmarkt vor allem in Ostdeutschland deutlich schlechter«, betont die IAB-Forscherin Doris Wiethölter.
Bereits seit Mitte der 1990er Jahre besteht eine deutliche Lücke in der Versorgung der Lehrstellenbewerber mit betrieblichen Ausbildungsplätzen. »Das hohe außerbetriebliche Ausbildungsplatzangebot in Ostdeutschland mindert allerdings den Mobilitätsdruck und trägt dazu bei, dass zahlreiche junge Menschen ihre Ausbildung dennoch vor Ort absolvieren können«, betont das Nürnberger Institut die Bedeutung der staatlichen Förderung.
In Kreisen Brandenburgs oder Mecklenburg-Vorpommerns legen junge Menschen Distanzen von durchschnittlich mehr als 150 Kilometern zu ihrer Ausbildungsstätte zurück. In den Umlandkreisen westdeutscher Metropolen sind es oftmals nicht mehr als 30 Kilometer. »Entgegen den Behauptungen der Arbeitgeber, die Jugendlichen seien zu unflexibel, belegt diese Studie das Gegenteil. Viele nehmen für einen Ausbildungsplatz erhebliche persönliche Einschränkungen in Kauf«, kommentiert Ringo Bischoff, Bundesjugendsekretär der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, das Ergebnis der Untersuchung.
In erster Linie wird die Ausbildungsmobilität durch Stadt-Umland-Beziehungen geprägt. Kernstädte mit über 100 000 Einwohnern bilden »regionale Ausbildungszentren« und ziehen die in den umgebenden Kreisen wohnenden Jugendlichen an. Aus den ländlich geprägten Regionen müssen die Auszubildenden in Ost wie West sehr häufig auspendeln. In den sehr dünn besiedelten Regionen Ostdeutschlands liegt die Auspendlerquote mit durchschnittlich 46 Prozent der Auszubildenden mit Abstand am höchsten.
Im Brandenburg verlassen 24 Prozent der Auszubildenden das Bundesland, um einen Ausbildungsplatz in Anspruch nehmen zu können. Aus Sachsen-Anhalt gehen 17 Prozent und aus Thüringen 15 Prozent der Jugendlichen wegen ihrer Ausbildung weg. »Junge Menschen aus strukturschwachen Gegenden, die zur Ausbildung in andere Regionen pendeln, sichern heute den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften, der morgen in ihren Heimatregionen entstehen wird«, verdeutlichen die Arbeitsmarkforscher.