Viel Halbes, nichts Ganzes
STüCKWERK - Die Schulreform der Hamburger Bildungssenatorin Christa Goetsch (GAL) droht, einige der besten Schulen kaputt zu machen
In diesen Tagen beginnt in etlichen Bundesländern das neue Schuljahr. Kommende Woche auch in Hamburg, wo derzeit die Verunsicherung und Verärgerung von Lehrenden und Lernenden besonders groß ist. Denn in der Hansestadt hat die neue Bildungssenatorin Christa Goetsch (GAL) einiges angestoßen, was zwar auf den ersten Blick wie eine Kurskorrektur des bisherigen Reformdesasters aussieht, aber beim genauen Hinschauen manches noch verschlimmern könnte.
Christa Goetsch hat kein einfaches Ressort übernommen: In den vergangenen sieben Jahren hat die Schulbehörde unter der Regierung Ole von Beusts Eltern, Lehrern und Schülern gleichermaßen das Fürchten gelehrt: Sie hat über 850 Lehrerstellen bei steigenden Schülerzahlen abgebaut, für die verbleibenden Lehrer die Arbeitszeit um circa ein Drittel ohne Lohnangleichung verlängert und ein teures Büchergeld eingeführt. Durch Klassengrößen um die 30 sind mittlerweile auch die Schüler stärkerem Druck ausgesetzt und - als ob das noch nicht genug wäre - wurde die Schulzeit auf zwölf Jahre verkürzt.
Die geschleifte Hamburger Schullandschaft atmete vermutlich auf, als nach der schwarz-grünen Regierungsbildung im Mai die GAL-Politikerin Christa Goetsch das Amt der Bildungssenatorin übernahm. Denn Goetsch hat nicht nur selbst Erfahrung als Lehrerin, sondern vertritt seit vielen Jahren eine Bildungspolitik, die der CDU diametral entgegen steht: Das Modell "9 macht klug" der Hamburger Grünen fordert die Abschaffung des mehrgliedrigen Systems zugunsten gemeinsamen Unterrichts bis zur 9. Klasse sowie individuelle Förderung nach skandinavischem Vorbild. So ist es nicht verwunderlich, dass Goetsch sich im Bildungsressort die ehrgeizigsten Reformen vorgenommen hat. An ihrem Erfolg werden die Koalition und besonders die Durchsetzungsfähigkeit der Grünen in einem schwarz-grünen Bündnis auf Länderebene gemessen.
Problematische Kooperationen
In verschiedenen 100-Tage-Bilanzen von Schwarz-Grün wurden die Pläne der Senatorin denn auch gelobt, die Welt kürte Goetsch sogar zur "Siegerin der ersten Etappe", da sie die "verkrustete Hamburger Schullandschaft" reformieren wolle. Tatsächlich muss man ihr zugute halten, dass sie den Bildungsetat deutlich aufgestockt hat, wovon aktuell 116 zusätzliche Lehrer eingestellt und einige dutzend Ganztagsschulen neu aufgebaut werden sollen. Gleich im Herbst beginnen Lehrerfortbildungen im großen Stil. Das meiste Geld fließt aber in das Herzstück von Goetschs Reform: Die Einführung der so genannten Primarschule, die vorsieht, alle Grundschüler sechs Jahre lang - mehr waren mit der CDU nicht drin - gemeinsam zu unterrichten.
Doch die Einführung dieses Schultyps könnte sich als Stückwerk entpuppen, was auf unselige Vereinbarungen mit dem Koalitionspartner zurückzuführen ist. Auf ausdrücklichen Wunsch der CDU soll es nämlich Kooperationen zwischen Primarschulen und weiterführenden Schulen geben, also den aus zusammengelegten Haupt- und Realschulen gebildeten Stadtteilschulen und den Gymnasien. Ole von Beust lag besonders die Anbindung von Primarschulen an Gymnasien am Herzen, um diese Primarschüler bereits von Beginn an auf das Gymnasium orientieren zu können.
Kritiker befürchten nun die Spaltung von Primarschulen mit elitärem Anspruch und gymnasialer Anbindung in den Elbvororten, und Primarschulen, die mit Stadtteilschulen kooperieren in den Brennpunktvierteln. Auf diese Weise würde die Sortierung der Kinder nach Bildungs- und sozialem Hintergrund der Familien noch früher stattfinden, nicht erst nach der Grundschulzeit, sondern bereits mit der Einschulung. Der Kern des Reformvorhabens wäre damit ad absurdum geführt: nämlich die Lernerfolge der Kinder von ihrer sozialen Herkunft zu lösen.
Zusätzlich ergibt sich aus der neuen Schulstruktur ein Platzproblem. Da nämlich die Grundschulen nicht plötzlich um etliche Räume erweitert werden können, sollen voraussichtlich die vierten bis sechsten Primärschulklassen einfach an den jeweils weiterführenden Schulen unterrichtet werden. Im Zweifelsfall werden also etliche Viert- bis Sechstklässler bald in den Gebäuden der Gymnasien oder Stadtteilschulen von Gymnasiallehrern beschult, die durch die Umstrukturierung frei geworden sind - sie sind dann lediglich einer Primarschulleitung zugeordnet.
Modellschule gefährdet
Direkt betroffen von der einheitlichen Durchsetzung des Primarschulmodells sind zudem 18 Langformschulen, die heute schon von der ersten bis zur 13. Klasse unterrichten. Wie zum Beispiel die preisgekrönte Max-Brauer-Schule in Altona, eine Gesamtschule, die sich über viele Jahre mit einem engagierten Kollegium ein erfolgreiches Konzept erarbeitet hat. Dort findet Lernen in Lernbüros, Projekten und Werkstätten statt und die Schüler können ihr Lerntempo weitgehend selbst bestimmen. Sie soll ab 2010 gespalten werden in eine Primar- und eine Stadtteilschule. Elternräte protestieren dagegen, weil damit das ganze Konzept dieses Zukunftsmodells gefährdet ist.
Derzeit hat es den Anschein, als ob sich die Kette halbgarer Reformvorhaben, die auf Kosten der Schulen und Schüler gehen, mit der grünen Senatorin weiter verlängert. Das letzte Wort ist allerdings noch nicht gesprochen: Regionale Schulentwicklungskonferenzen erarbeiten ab September Pläne für die Umsetzung der Schulreform. In Hamburg ist man indessen der pausenlosen unausgegorenen Schulumstrukturierungen und Verschlimmbesserungen überdrüssig.
Die vor einem Jahr eingeleitete Volksinitiative "Eine Schule für alle" sieht allen Grund, ihren Kampf gegen die Mehrgliedrigkeit von Schulen fortzusetzen. Die Sprecherin der Initiative, Sabine Boeddinghaus, blickt skeptisch auf die Reformvorhaben ihrer ehemaligen Mitstreiterin Goetsch: "Es ist zwar gut, dass durch die Einführung der Primarschule die Selektion nach Klasse vier aufhört, doch ob die soziale Auslese damit tatsächlich überwunden wird, muss sich erst noch zeigen." Das Volksbegehren für eine Gemeinschaftsschule geht Mitte September in die zweite Runde. Wenn bis 9. Oktober 61.000 gültige Unterschriften gesammelt werden, käme es 2009 zu einem Volksentscheid, der - wenn genügend unterschreiben - ein Gesetz für die Einführung der Gemeinschaftsschule bis zur 9. Klasse durchsetzen würde. Denn Volksentscheide sind - immerhin - seit Schwarz-Grün in Hamburg bindend.