Allein – erziehend – arm
Während Einkommensanalysen und Armutsberichte der Bundesregierung für Tage die Berichterstattungen dominieren – geht der Alltag für diejenigen weiter, die für wenig Lohn arbeiten und ohne staatliche Hilfe auskommen wollen.
Brit Winkelmann ist eine, die sich jeden Tag aufs Neue behauptet, oft an Grenzen stößt und manchmal auch Unter-stützung findet. Ihre Söhne Phillip und Vincent wissen aus Märchen, was arm sein bedeutet, und ahnen es, wenn ihre Mama ihnen nur wenige Wünsche erfüllen kann.
Sorgen machen ruhelos. Es war wieder spät geworden, dabei muss die Krankenschwester Brit Winkelmann morgens früh raus. Noch ein kurzer Blick in den Computer, ein Geschenk von Freunden, die sich einen neuen kaufen konnten. Auf der Suche nach Freizeitmöglichkeiten hatte sie erfahren, dass Gesine Lötzsch von der LINKEN von ihren Diäten sieben Kinderferienlagerplätze spendet. Brit Winkelmann schreibt eine »Bewerbung« und wünscht sich 14 Ferientage für ihren Phillip. Das wäre für sie wie ein Fünfer im Lotto. Im Haushaltsplan der 37-jährigen alleinerziehenden Mutter ist Ferienlager einfach nicht drin, auch Urlaub kennen ihre lebhaften Kinder nicht.
Die neue Nachricht auf dem Computer macht sie fassungslos: Phillip kann ins Ferienlager fahren! Um diese Zeit kann Brit niemanden mehr anrufen, ist sie allein mit ihrer Freude. Gern würde sie diese Zusage in den Händen festhalten, doch sie hat keinen Drucker. In solchen Momenten fließen Erinnerungen, Probleme, Verletzungen, Ängste wie auch Hoffnungen zusammen.
Leben dicht
an der Armutsgrenze
Sie arbeitet und erzieht zwei Wunschkinder. Ihr Einkommen von 950 Euro netto plus Kindergeld und Unterhaltsvor-schuss ist ganz dicht an der staatlich festgelegten Armutsgrenze. Doch wer weiß schon, wie man mit weniger als 1500 Euro zu dritt lebt, so dicht an der Grenze.
1994 macht sie ihr Staatsexamen als Krankenschwester – da ist sie 23, eine fröhliche junge Frau, die auch ein La-chen in die Krankenzimmer trägt. Sie ist froh, als eine der letzten in diesem Krankenhaus eine Festanstellung zu bekommen – fortan ist sie Krankenschwester in der Psychiatrie, Schichtarbeit, unregelmäßig und im Alltag mit psychisch Kranken emotional belastend. Hier findet sie ihren Platz und Zuspruch, vor allem auch durch die Patienten. Das Ge-halt mit Zuschlägen reicht auch für ein kleines Auto. Sie ist gern unterwegs und unabhängig. Brit kann sich Wünsche erfüllen, seit jeher sind sie bescheiden – aber sie ist glücklich so. Als sie sich in den späteren Vater ihrer Söhne verliebt, sie eine glückliche Zeit miteinander haben, ist sie 30. Brit hofft auf die Beständigkeit der Liebe, das Glück einer Familie mit zwei Kindern. Sie nimmt nach der Geburt ihres ersten Kindes die Elternzeit und zieht nach Hannover. Dort arbeitet ihr Lebensgefährte bei der EXPO. Das zweite Kind kündigt sich an und die Erkenntnis, dass die Beziehung nicht hält. Er war inzwischen arbeitslos geworden. Brit geht wieder nach Berlin zurück, wo Kinderbetreuung vorhanden ist und ihr der Festvertrag des Krankenhauses die Sicherheit eines Arbeitsplatzes mit eigenem Einkommen zu geben scheint.
Doch schon nach dem ersten Erziehungsjahr wusste man nicht, wohin mit ihr. Ihr Arbeitsplatz war weg. Sie hofft auf Alternativen, man vertröstet sie, und dann kommt der zweite Sohn – sie bekommt Sozialhilfe und Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt, das ist eine Errungenschaft, wenn der Vater erwerbslos ist. Ihr Auto hat sie da schon lange abgegeben. Längst ist sie erprobt darin, mit wenig auszukommen.
Die Zeit mit ihren Kindern nutzt Brit Winkelmann intensiv – sie ist Mutter und oft auch Vater in einem. Phillip und Vin-cent vermissen ihren Papa sehr. Fahrten zueinander können sich weder Mutter noch Vater leisten. Es bleibt das Telefon und da vieles auf der Strecke.
Kinder sollen nicht spüren, wie eng es ist
Lange hat sie um ihre jetzige Arbeitsstelle mit der klaren Festlegung ohne Schichtarbeit gekämpft, sich gegen den Makel alleinerziehend gewehrt. Sie hat dem Druck, nicht voll einsatzfähig zu sein, standgehalten, die Halbtagsstelle anstatt der Kündigung bekommen und verzweifelt nach Lösungen gesucht, wenn ein Kind krank war. Sie schafft es immer wieder, irgendwie, ist zuverlässig und geachtet. Sie ist da für ihre Patienten, erfährt Ursachen von Verzweiflungszuständen, Depressionen, Burnout. Sie beobachtet, dass die Patienten immer jünger werden und kennt deren Sorgen selbst nur zu gut. Brit Winkelmann trägt jeden Tag die Verantwortung für die Zukunft ihrer Kinder – sie möchte, dass beide am Leben teilhaben und nicht auf Wichtiges in der Entwicklung verzichten müssen. Lieber verzichtet sie: Sparen an der Gesundheit darf sie nicht. Vitaminreiche Ernährung für die Jungs muss sein, Sport im Team, Gemeinschaft erleben und sinnvolle Freizeit, dies alles wünscht sie sich für ihre Kinder – selbstverständliche Dinge, aber sie kosten Geld. Als Nächstes die Schulbücher für die zweite Klasse, ca. 80 Euro – sie spart von dem wenigen in einzelnen Umschlägen: für Klassenfahrt, Schulbücher, Kleidung für die Jungs, Geburtstage. Einen Umschlag für sich selbst hat sie nicht, keine zusätzliche Altersvorsorge – nichts!
Ihre Halbtagsstelle, die langen Fahrzeiten, der Weg zur Schule und Kita füllen einen vollen Arbeitstag. Ein Umzug wäre nicht die Lösung, auch das hat sie ausgerechnet – ihr soziales Netz kann nicht mitziehen. In fünf Jahren könnte sie auf eine Vollzeitstelle, doch bis dahin soll ihre Klinik, die nun zu einem Gesundheitskonzern gehört, geschlossen werden. Rechnen muss sie, ohne genauen Haushaltsplan geht es nicht, seit langem reicht es Monat für Monat für immer weniger.
Was zu verschieben geht, wird geschoben
Doch die nächsten Preiserhöhungen stehen an. Ohnmacht, dies nicht verändern zu können, nimmt ihr die Luft zum Atmen. Was wird 2009 – wenn der Unterhaltsvorschuss für den Großen nach sechs Jahren ausläuft? Armut isoliert. Brit wird trotz Arbeit Hartz IV beantragen müssen. Ihre ersten Kontakte mit der Arbeitsagentur waren desillusionie-rend. Sie hat erlebt, wie dort Menschen und deren Existenz verwaltet werden – sie will ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können, will nicht um staatliche Unterstützung betteln müssen.
Doch welche Alternativen hat sie, solange auch der Vater keine Arbeit findet und seine Kinder unterstützen kann? Brit hat Angst vor der Zukunft. Sie steckt in einem Teufelskreis, aus dem es auch angesichts der vielen Teuerungen für sie keinen Ausweg gibt. Sie erwartet, dass mehr für die Kinder und die Jugend getan wird.
Phillip kommt Ende Juli freudestrahlend aus dem Ferienlager zurück: »Es war so schön, ich hatte Heimweh, aber nächstes Jahr möchte ich wieder hin.« Und Brit weiß, allein wenn sie sich in ihrer Umgebung umsieht, so schnell kann es keinen weiteren Fünfer für sie im Lotto geben.
Diana Golze
Kinderpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE erklärt dazu:
Das Beispiel von Brit Winkelmann zeigt:
Alleinerziehende und ihre Kinder sind stark von Armut bedroht. Laut Armutsbericht
der Bundesregierung leben 36 Prozent der Alleinerziehenden unterhalb der Armutsgrenze. Auch fällt es ihnen sehr schwer, sich selbst aus dieser Notlage zu befreien, denn Erwerbstätigkeit und Kindererziehung sind nach wie vor nur schwer miteinander zu vereinbaren. Zudem sind staatliche Leistungen entweder zeitlich begrenzt –
wie der Unterhaltsvorschuss – oder benachteiligen wie der Kinderzuschlag gerade die am meisten vom Armutsrisiko be-troffenen Einelternfamilien. Die Leidtragenden sind vor allem die Kinder, denn ihnen werden von Beginn an Entwick-lungschancen genommen. Um dem entgegenzuwirken, tritt DIE LINKE für eine Reform des Kinderzuschlags, einen erhöhten Kinderregelsatz und für eine eigenständige
Kindergrundsicherung für alle Kinder ein.
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