»Das Kasino-Gebaren der Herren«
Sally Newman, Aktivistin von »Codepink«: Die meisten Banker müssen in den Knast
Die feministisch-pazifistische Aktionsgruppe »Codepink« protestiert mit ihren rund 100 Ortsgruppen in den USA mittels mediengerechter PR-Arbeit und zivilem Ungehorsam vor allem gegen den Irak-Krieg. Seit Kurzem ist man auch vor Banken in der Wall Street präsent. Mit der Aktivistin Sally Newman (23), einer gelernten Ökonomin, die jetzt in New York Jura studiert, sprach Max Böhnel.
ND: Sie haben früher einmal beim Hedge-Fonds Bridgewater volontiert und engagieren sich nun für »Codepink« – wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Karrierewechsel?
Sally Newman: Als Volontärin habe ich das Kasino-Gebaren der Herren – und so ziemlich alle dieser Millionäre sind Männer – aus nächster Nähe miterleben können. Nicht so sehr die internen Deals, mit denen sie innerhalb von Minuten Hunderttausende machten, dafür aber ihre Freizeitaktivitäten. Sie spielten wochentags bei der Arbeit Poker mit dem Geld anderer, am Wochenende im Pokerclub verzockten sie ihr Spielgeld, das sie anderen abgeluchst hatten. Mir wurde ziemlich schnell klar, wohin es führt, wenn Hedge-Fonds-Manager mit Renten, Häusern, Investitionen von Privatleuten, ja ganzen Landstrichen, Monopoly spielen. Jetzt haben wir das Resultat: Das Kasino ist pleite. Seit Ende meines Volontariats versuche ich, möglichst viele Menschen zusammen mit den anderen »Code-pink«-Frauen über Krieg und Zockerei aufzuklären.
Haben Sie noch Kontakt zu den Kollegen von damals?
Die meisten haben Bridgewater kurz nach mir verlassen. Ich spiele hin und wieder mit dem Gedanken, die verbliebenen Zocker anzurufen und zu fragen, was sie denn heute so treiben. Aber der Gedanke, heute auf »gute alte Bekannte« zu machen, ist dann doch zu abstoßend.
Sind Sie bei den »Codepink«- Protesten an der Wall Street auf Banker und Fondsmanager gestoßen?
Wir sind zwischen 16 und 18 Uhr, wenn sie sich auf den Nachhauseweg machen, durch die Wall Street gezogen. Sie schlichen mit eingezogenen Köpfen herum, wollten so schnell wie möglich zur U-Bahn. Andererseits glauben etliche meiner Bekannten nach wie vor an den »freien Markt« und finden es lächerlich, dass die Regierung zu ihren Gunsten interveniert. »Bail-out« (Rettung durch Schuldenübernahme Dritter, d.Red.) findet allerdings nicht auf der Ebene der Analysten statt, sondern ganz oben. Washington ist in Kontakt mit den obersten Etagen der Investmentfirmen – diese werden in den Genuss des »Bailout« kommen.
»Codepink« ist eigentlich eine Antikriegsorganisation. Wie schwer ist es da, die rasend schnellen Entwicklungen an den Finanzmärkten zu begreifen und entsprechend darauf zu reagieren?
Ein großer Teil der Debatten in der Antikriegsbewegung dreht sich ums Geld. Die USA stecken ja seit Jahrzehnten Geld, das sie nicht haben, in Kriege. Das »Bailout« heute geht ebenfalls über zusätzliche Auslandsverschuldung vonstatten. Eine weitere Parallele zwischen der Finanzierung des »Antiterrorkriegs« und den Milliarden, die den Bankern zukommen, ist die Kultur der Angst, welche die Bush-Regierung nährt. Auf »9/11« folgte die große Panikmache vor den Terroristen – mit dem Ergebnis, dass im Rahmen des »Patriot Act« Freiheitsrechte eingeschränkt wurden. Ähnlich tönt es heute aus dem Finanzministerium und von den meisten Politikern: Wir wissen, dass es schwierig ist und viel Geld kostet, aber wir müssen es tun, weil sonst die Wirtschaft zusammenbricht.
Können Sie dem »Bailout« auch etwas Positives abgewinnen?
Einerseits dürfen die Banker nicht dazu ermutigt werden, mangels Regulierung erneut derart zuzuschlagen. Denn die Logik verbietet es, dass dieselben Leute, die den Karren in den Mist geritten haben, danach dafür belohnt werden. Ich bin der Meinung, dass die meisten in den Knast müssen. Andererseits müssen die Kreditmärkte wieder in Schwung kommen, und das geht nur mit Finanzspritzen. Es kann nicht sein, dass ein Kleinunternehmer pleite geht, weil er wegen der Weigerung der Bank Löhne nicht mehr bezahlen kann. Oder dass jemand, der schuldenfrei ist, keinen Kredit für eine Hypothek aufnehmen kann, weil sich die Banken gegenseitig kein Geld mehr ausleihen. Die Regierung muss massiv Geld ausschütten – in erster Linie in Sozialprogramme. Das soziale Netz muss weiter unten gespannt werden.
Setzen Sie Hoffnungen auf Barack Obama?
»Codepink« darf sich laut Gesetz nicht für einen Kandidaten aussprechen. Ich würde die Frage so beantworten: Die amerikanische Bevölkerung ist um die 5000 Dollar pro Kopf bei einem Kreditkarteninstitut oder einer Bank verschuldet. Dazu kommen die enormen Auslandsschulden, die allein dieses Jahr eine Billion ausmachen werden. Unsere Wirtschaft ist nicht stabil. Ich bezweifle, dass ein Präsident, egal von welcher Partei, die Situation bereinigen kann. Die Politiker setzen im Wahlkampf, in dem es nie wirklich um substanzielle Auseinandersetzung mit der Wirtschaftspolitik geht, zudem auf Förderung des eigenen und Zerstörung des gegnerischen Images. »Codepink« war daher auch am Donnerstagabend, als Obama und McCain im New Yorker Hotel Waldorf Astoria Reden schwangen, dabei.