Blamiert sich der Bundestag? - Unionsfraktion streicht LINKE aus Antrag zu Antisemitismus-Beauftragtem
Fragwürdig
Die Bundestags-Fraktionen fordern in einem gemeinsamen Antrag die Einrichtung eines Bundesbeauftragten für Antisemitismus. Wie kam es dazu?
Die Abgeordneten haben vor einem knappen Jahr begonnen, gemeinsam zu
überlegen, wie man dem gesellschaftlich nach wie vor verankerten
Antisemitismus zu Leibe rücken kann.
Anlass dazu bot eine Antwort auf eine Anfrage von mir an die
Bundesregierung zur Schändung jüdischer Friedhöfe. Der schreckliche
Befund ergab, dass im statistischen Schnitt wöchentlich in der
Bundesrepublik ein Friedhof geschändet wird. Daher waren wir der
Auffassung, dass es bis zum 9. November dieses Jahres – dem 70.
Jahrestag der Reichspogromnacht – gelingen müsste, sich mit der
Geschichte auseinanderzusetzen.
Vor allen Dingen ging es darum, ein Zeichen zu setzen, dass wir das
vielfältige jüdische Leben heute besonders befördern und uns auch dem
Problem des Antisemitismus stellen. Ein Antisemitismus-Beauftragter
könnte dabei hilfreich sein.
In der Zwischenzeit hat die Unionsfraktion nun jedoch einen weiteren Antrag vorgelegt, in dem die LINKE nicht mehr auftaucht, der aber zugleich auch einige inhaltliche Änderungen umfasst, in denen an die schwierigen Beziehungen der DDR zum Staat Israel erinnert wird. Was bezweckt die Union damit?
Mein Eindruck ist, dass die neueste Fassung des Textes nur einen
einzigen Zweck hat. Es geht darum, die LINKE zu provozieren und dazu zu
bringen, freiwillig nicht mehr am gemeinsamen Antrag mitzuarbeiten.
Ich halte die Formulierungen, die nachträglich in den Antrag eingefügt
wurden, für ahistorisch. Beispielsweise halte ich es für einen Skandal,
dass in dem Text suggeriert wird, in der DDR wären Unternehmer
enteignet worden, weil sie Jüdinnen und Juden waren. So wird versucht,
die DDR mit dem NS-Regime und den Ereignissen um den 9. November 1938
gleichzusetzen. Mein Vorschlag ist, dass wir, wenn wir uns mit der
Geschichte auseinandersetzen wollen, bei den Fakten bleiben und das
tatsächlich Kritikwürdige aufschreiben, übrigens in Ost und West. So
können wir vermeiden, dass sich der Deutsche Bundestag blamiert.
Sie wollen weiter an einem gemeinsamen Antrag festhalten?
Ich halte es für sehr wichtig, dass der Bundestag anlässlich des 70. Jahrestages der Reichspogromnacht ein einmütiges Zeichen gegen Antisemitismus und für die Unterstützung des inzwischen glücklicherweise wieder bunten jüdischen Lebens in der Bundesrepublik setzt.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass dieses Anliegen noch bis zum 9. November verwirklicht werden kann?
Sicherlich wird das nicht mehr gelingen, bei gutem Willen sollte es aber in diesem Jahr noch möglich sein, einen gemeinsamen Antrag zu verabschieden. Dazu müsste sich jetzt die Union verhalten.
Gab es in der Vergangenheit bereits fraktionsübergreifende Zusammenarbeit in der Bekämpfung des Antisemitismus?
In den vergangenen Jahren haben wir zu diesem Thema interfraktionell
sehr gut zusammengearbeitet. Daher verwundert mich nun das Verhalten
der Union. Am Beginn der laufenden Legislaturperiode stand ein
einstimmiger Beschluss des Bundestages, auf Antrag aller Fraktionen die
Drohungen des iranischen Präsidenten gegenüber Israel zu verurteilen,
und eine Solidaritätserklärung mit dem Staat Israel.
Damals kam niemand auf die Idee, dass die LINKE dazu nicht stehen könnte.
Fragen: Ina Beyer