Finanzkrise: Steinbrück lügt sich selbst in die Tasche - Rede von Oskar Lafontaine
Oskar Lafontaine in der Debatte Wachstum stärken - Beschäftigung sichern - Finanzmarktkrise überwinden
Protokoll:
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir haben einen riesigen Schutzschirm für die Banken aufgespannt; das wird niemand in Abrede stellen.
(Jochen Borchert (CDU/CSU): Nicht für die Banken!)
In letzter Zeit ist auch das Bild vom Schutzschirm für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer wieder bemüht worden. Nach allem, was die Bundesregierung hier vorgetragen hat, bleibt folgende Bilanz: Der Schutzschirm für die Banken ist riesig, der Schirm für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist kaum zu sehen. Das ist ein falscher Ansatz der Wirtschaftspolitik. Dies will ich begründen.
(Beifall bei der LINKEN)
Man hätte erwartet, dass Sie irgendeine Konsequenz aus dem ziehen, was täglich draußen passiert. Sie, Herr Bundesfinanzminister, bitten die Arbeitgeber, niemanden zu entlassen, sondern die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu qualifizieren. Wer würde das nicht gern unterstreichen? Wer würde nicht gern sagen: Bitte macht das so? Aber was geschieht denn draußen? Zigtausende Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter werden entlassen. Die erste Konsequenz wäre doch gewesen, diese löchrige Regelung für die Leiharbeiter abzuschaffen, damit sich solches nicht wiederholt.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie reden hier immer nur über Dinge, ziehen aber überhaupt keine Konsequenzen.
Nun haben Sie vorhin einen Ansatz vorgetragen, auf den man eingehen
kann. Sie haben gefragt: Wollen Sie 1 Prozent, 2 Prozent oder 3 Prozent
vom Sozialprodukt? Das ist ein Ansatz, über den man diskutieren kann.
Sagen Sie doch, dass Sie der Überzeugung sind, 0,3 Prozent des
Sozialprodukts pro Jahr seien ausreichend. Das wäre allerdings ein
lächerlicher Ansatz, Herr Bundesfinanzminister. Wenn Sie in der
jetzigen Situation von einer Größenordnung von 0,3 Prozent sprechen,
zeigt das, dass Sie die Größe des Problems überhaupt nicht erfasst
haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Als es damals in Schweden eine regionale Krise gab, wurden dort 3 Prozent des Sozialprodukts zur Verfügung gestellt. Sie können zwar sagen, das sei alles falsch und völlig übertrieben gewesen. Aber die Schweden haben mit immerhin 3 Prozent des Sozialprodukts pro Jahr versucht, gegenzusteuern. Diese Krise war allerdings eine regionale Krise. Jetzt befinden wir uns in einer globalen Krise. Wir werden im nächsten Jahr eine sehr tiefe Rezession erleben. Um es in aller Klarheit zu sagen: Die Schrittlein, die Sie machen wollen, sind überhaupt nicht geeignet, diese Rezession zu stoppen.
(Beifall bei der LINKEN)
Man muss nur einmal genau zuhören, was Sie hier vortragen. Der
Wirtschaftsminister hat gesagt, wir müssten die Angebotsseite stärken.
Da traut man den eigenen Ohren nicht mehr. Sie haben in den letzten
Jahren überhaupt nichts anderes gemacht, als die Angebotsseite der
Unternehmen zu stärken.
Sie haben sogar nachgelegt, Herr Bundesfinanzminister, und vorgetragen:
Den Unternehmen haben wir 7 Milliarden Euro erlassen. Sie haben
außerdem vorgetragen: Bei der Arbeitslosenversicherung haben wir 30
Milliarden Euro erlassen. Hier muss man ergänzen: 15 Milliarden Euro
wurden den Arbeitnehmern und 15 Milliarden Euro den Unternehmen
erlassen. Wenn Sie redlich gewesen wären, hätten Sie hinzufügen müssen:
Das, was wir den Arbeitnehmern an dieser Stelle gegeben haben, haben
wir ihnen durch die Mehrwertsteuererhöhung doppelt und dreifach wieder
genommen. Dann würde daraus ein Gesamtbild werden. Aber man kann sich,
wenn man das will, natürlich auch in die eigene Tasche lügen. Sie haben
in den letzten Jahren einseitig entlastet. Das geht Ihnen anscheinend
aber nicht in den Kopf, weil Sie die Zahlen nicht saldieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Weil das so ist, stellt sich die Frage: Wie kann man die Konjunktur überhaupt stabilisieren? Was die Angebotsseite angeht, wenn man also aus Sicht der angebotsorientierten Theorie argumentiert, haben Sie sich wirklich die Note „sehr gut“ verdient. Aber was ist mit den Staatsausgaben? Beim letzten Mal haben Sie hier von einer sinkenden Staatsquote geredet. Ich habe Ihnen gesagt: Lassen Sie diesen Unsinn! Erzählen Sie keinen solchen Quatsch, den Sie nirgendwo vertreten können! Natürlich kann die Staatsquote in diesen Zeiten nicht sinken.
Sie haben ernsthaft am Ziel festgehalten, bis zum Jahre 2011 eine Nullverschuldung des Haushalts zu erreichen. Ich habe Ihnen gesagt: Das Lachen wird Ihnen noch vergehen. - So kann man nicht analysieren, und erst recht darf man an diese Sache nicht so herangehen. Jetzt wäre es notwendig überall auf der Welt wird das auch gemacht , die investiven Staatsausgaben deutlich zu erhöhen, um die Nachfrage zu stabilisieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Sie von Zweit- oder Dritteffekten sprechen, dann handelt es sich dabei um das international anerkannte Mittel. Glauben Sie doch nicht, wir könnten hier in Deutschland die Ökonomie neu erfinden! Das ist das international anerkannte Mittel. Wenn wir unsere eigene Situation analysieren, stellen wir fest: Beim Export ist die Situation seit vielen Jahren hervorragend. Viele Unternehmen haben exorbitante Gewinne gemacht. Seit sehr vielen Jahren haben wir aber auch eine stagnierende oder sogar sinkende Nachfrage auf dem Binnenmarkt zu verzeichnen.
Wenn man an der richtigen Stelle ansetzen möchte, müsste man also die Nachfrage auf dem Binnenmarkt stabilisieren. Das heißt nicht, Steuersenkungen anzukündigen, von denen wir alle, die wir hier sitzen, profitieren würden. Vielmehr muss man die Treppe einmal von unten kehren. Es geht also um Hartz-IV-Empfänger, Rentnerinnen und Rentner und die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. Das wäre eine Reaktion auf die Krise, um die Nachfrage, wenn auch nur ganz bescheiden, zu stabilisieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus Zeitgründen kann ich diesen
Gedanken nicht weiter fortführen. Ich will aber noch etwas zu den
Konsequenzen, die Sie aus der Finanzkrise gezogen haben, sagen. Ich
kann nicht erkennen, dass Sie irgendwo ansetzen, um Konsequenzen zu
ziehen. Sie betteln lediglich bei den Banken und sagen: Nehmt unser
Geld! - Ansonsten machen Sie nichts.
Es waren mehrere Punkte, die diese Entwicklung ermöglicht haben. Ein
Aspekt war zum Beispiel die Möglichkeit, in Zweckgesellschaften
auszulagern. Warum haben Sie diese Möglichkeit nicht gestrichen? Warum
gibt es noch keine Vorlage, durch die dies in Zukunft vermieden wird?
Das ist doch die Frage.
(Beifall bei der LINKEN)
Ferner haben Sie der Verbriefung Tür und Tor geöffnet. Das steht auch im Koalitionsvertrag. Warum gibt es aber keine Vorlage, durch die diese Geschäfte in Zukunft eingeschränkt bzw. verboten werden? Warum ziehen Sie keine Konsequenzen?
(Beifall bei der LINKEN)
Wir haben weitere Vorschläge gemacht, um aus der Finanzkrise
Konsequenzen zu ziehen. Auf einen unserer Vorschläge, der einen
Grundsatz der wirtschaftlichen Ordnung thematisiert, will ich jetzt zu
sprechen kommen. Wir haben Ihnen gesagt: Setzt keine falschen Anreize
im Hinblick auf das Handeln der Manager, nicht nur bei den Banken -
allerdings insbesondere bei den Banken -, sondern auch in der
Wirtschaft generell. Wir haben auch von Ihnen gefordert: Verbieten Sie
Aktienoptionen! - Aber Sie haben all das abgelehnt.
Warum haben wir das gefordert? Weil die einseitige Orientierung auf
Shareholder-Value und auf das eigene Einkommen eine grundsätzliche
Fehlentwicklung ist. Man muss nachhaltig wirtschaften und darf nicht
kurzfristig Aktien hochjubeln, um das eigene Einkommen zu steigern. Das
ist ein Fehlanreiz. Warum tun Sie hier nichts?
(Beifall bei der LINKEN)
Sie beklagen die Bonuszahlungen der Banken. Die Frage ist doch: Warum gibt es keine Vorlage, um die Zahlungen solcher Boni einzuschränken?
(Beifall bei der LINKEN)
Sie haben gesagt, weil das populistisch ist - ich habe Ihnen das schon einmal vorgehalten -: Bei den Banken, die so gnädig sind, das Kapital, das wir anbieten, anzunehmen - so muss man das heute ja fast formulieren -, wollen wir die Managergehälter befristet begrenzen. - Hier geht es um einen Grundgedanken der Wirtschaft, den ich als Fraktionsvorsitzender der Linken gerne und mit Genuss ansprechen möchte. Ich zitiere Walter Eucken: Eine Marktwirtschaft kann nur funktionieren, wenn Freiheit auf der eine Seite ist, aber auch Verantwortung und Haftung für das eigene Tun auf der anderen Seite.
(Beifall bei der LINKEN)
Durch falsche Anreizsysteme sind in den letzten Jahren insbesondere bei den Banken Verantwortung und Haftung im Management ausgesetzt worden. Das ist eine Ursache für die Fehlentwicklung der marktwirtschaftlichen Ordnung.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich habe nicht erkennen können, dass Sie irgendwo einen Anreiz geben, um daran etwas zu ändern.
Eine letzte Bemerkung. Ich wiederhole es hier immer wieder, obwohl ich
nicht den Eindruck habe, dass das großartige Wirkung zeigt: Wir haben
derzeit Währungskrisen in der Welt. Unter diesen Währungskrisen leidet
auch die deutsche Exportwirtschaft. Deswegen wäre es ganz nett, wenn
Sie angesichts einer Reihe von Vorschlägen, die schon sehr, sehr lange
im Raum sind, etwas dazu sagen würden, wie Sie in Zukunft dazu
beitragen wollen, dass Währungskrisen dieser Art - ich denke jetzt nur
einmal an die Bewegung des Yen gegenüber dem Euro - in Zukunft
vermieden werden; denn nur so kann man das Wachstum dauerhaft
stabilisieren.
(Beifall bei der LINKEN)
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04.11.2008 – Oskar Lafontaine, Kirsten Tackmann