Wer jetzt investiert, spart in der Not
RETTUNGSANKER KONJUNKTURPROGRAMMEine Rezession hat viel mit unternehmerischer Lohn- und staatlicher Finanzpolitik zu tun
Die Ursachen, die Instrumente, vor allem die Folgen der gigantischen Finanzmarktkrise werden rauf und runter diskutiert. Immerhin setzen sich dabei zwei Erkenntnisse durch: Die durch Megakapitalsammelstellen dominierten Finanzmärkte sind hochgradig krisenanfällig, die einst bejubelten Finanzinnovationen haben sich in vielen Fällen als Schrott erwiesen. Selbst dem hartleibigsten Marktorthodoxen dämmert, dass den selbstzerstörerischen Kräften entfesselter Geld- und Kapitalmärkte durch scharf kontrollierte Spielregeln begegnet und dem Terror der Finanzmärkte gegenüber der Produktionswirtschaft, wie er sich in völlig überhöhten Renditeziele zeigt, Einhalt geboten werden muss.
Die Realwirtschaft - laut Bundesbank die Produktionswirtschaft ohne die Finanzdienstleister - gilt weithin als Betroffene des Missmanagements der Banken, doch sind die dort agierenden Unternehmen nicht nur Opfer - sie sind auch Täter und haben die Krise mitverursacht. Es lässt sich kaum übersehen, dass Betriebe in vielen Branchen der Realwirtschaft in den vergangenen Jahren gigantische Gewinnzuwächse verbuchen konnten. Dazu gehört vor allem die Metall- und Elektroindustrie. Anstatt die Beschäftigten daran angemessen zu beteiligen, haben die Unternehmen die ohnehin schon mit Kapital überschwemmten Finanzmärkte durch ihre Liquiditätsüberschüsse zusätzlich geflutet. So nahm in der Produktionswirtschaft der Anteil der Eigenmittel stetig zu, die durch Lohnzurückhaltung den Beschäftigen abgetrotzt wurden und entgegen dem Versprechen nicht in Sachinvestitionen, sondern auf die Finanzmärkte flossen. Im Gegenzug mussten die Beschäftigten auf einen angemessenen Lohnzuwachs verzichten.
Es gab eine Umverteilungspolitik, die nicht nur ungerecht, sondern makroökonomisch dumm war. So wurde die Binnenwirtschaft durch einen seit Jahren stagnierenden Konsum der privaten Haushalte, aber auch die Haushaltspolitik des Bundes geschwächt. Letzteres gipfelte in der Manie, trotz des absehbaren Abschwungs bei der Neuverschuldung bis 2011 bei null anzukommen. Die Folge: Über Jahre sorgte der Staat mit seiner wachstumsfeindlichen Ausgaben- und Steuerpolitik für Nachfrageverluste in Milliardenhöhe. Im Augenblick kann es daher auf schrumpfende Exporte und kollabierende Finanzmärkten nur eine Antwort geben: Die Binnenwirtschaft muss die Führungsrolle übernehmen, soll eine Rezession aufgehalten werden. Nicht Lohnverzicht, sondern expansive Lohnpolitik ist das Gebot der Stunde, um überschüssige Gewinne, die in Richtung Finanzmärkte drängen, an die Arbeitnehmer zurück zu geben.
Die Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie für ein achtprozentiges Lohnplus sind ein Indiz dafür, dass die IG Metall im aktuellen Tarifkonflikt die richtige Antwort gibt und sich dabei nicht beirren lässt. Da aber Lohnpolitik allein völlig überfordert ist, muss die Finanzpolitik gleichfalls gegen die Dynamik des Abschwungs expansiv tätig werden.
Die Bundesregierung hat nun mit dem Tabu "kein Konjunkturprogramm" gebrochen, irgendwie zwingt eine heraufziehende Rezession eben doch zum Handeln. Die Kehrtwende an sich verdient Anerkennung, doch dieses Programm ist nicht auf lange Sicht ausgerichtet und viel zu branchenbezogenen - Stichwort Automobilindustrie - angelegt. Es wäre geboten, ein mittelfristig ausgerichtetes Investitionsprogramm mit einem Einstiegsvolumen von 30 Milliarden Euro aufzubieten. Wer in die Zukunft investiert, schafft heute binnenwirtschaftliche Nachfrage und leistet einen Beitrag für künftige Generationen. Im vorliegenden Konjunkturprogramm weist lediglich die Erhöhung von Zuschüssen für die Sanierung von Gebäuden in diese Richtung (die Ausgaben dafür sollen von vier auf sieben Milliarden Euro bis 2011 steigen). Schon eine Investitionssumme von einer Milliarde Euro für die Gebäudesanierung sichert direkt und indirekt bis zu 25.000 Arbeitsplätze.
Im Unterschied dazu ist die vorgesehene Förderung des Kaufs von schadstoffarmen PKW durch das Aussetzen der Kraftfahrzeugsteuer ökonomisch und ökologisch falsch. Der Verzicht auf die Steuer für zwei Jahre bei den schadstoffarmen PKW der Euronorm fünf und demnächst sechs führt dazu, dass der Kauf hochbockiger Spritfresser noch subventioniert wird. Da derartige Fahrzeuge vorzugsweise durch Einkommensstarke erworben werden, kommt es zu schlichten Mitnahmeffekten. Sehr viel sinnvoller wäre es, die Kfz-Steuer umgehend von der Hubraumbemessung auf den Kohledioxyd-Ausstoß umzustellen und das öffentliche Nah- und Fernverkehrssystem auszubauen.
Wie sich die Komponenten dieses regierungsoffiziellen Konjunkturprogramms auch immer bewerten lassen, soviel steht außer Frage: Der Staat muss mit Investitionen in die Zukunft gesamtwirtschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Dazu gezielt die Staatsverschuldung einzusetzen, rechnet sich gesamtwirtschaftlich. Wenn jetzt nichts geschieht, werden im Sog der Rezession die Steuerausfälle gigantisch sein. Am Ende würde durch Nichtstun die Staatsverschuldung sinnlos zunehmen. Nur mit einer wachstumsstärkenden und Arbeitsplätze erhaltenden Politik können die öffentlichen Haushalte über die sich daraus ergebenden Steuer-Mehreinnahmen nachhaltig saniert werden. Deshalb - um es noch einmal zu bekräftigen - das Plädoyer für ein auf mehrere Jahre angelegtes Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP) mit einem Einstiegsvolumen von 30 Milliarden, die sich für den Ausbau von Infrastruktur ebenso verwenden ließen wie die Sanierung von Schulen, für Forschung und Lehre an den Hochschulen ebenso wie für den ökologischen Umbau.
Ein historischer Vergleich der sich diametral gegenüber stehenden Finanzpolitiken, die während der dem Börsenzusammenbruch folgenden Weltwirtschaftskrise ab 1929 verfolgt wurden, zeigt die Überlegenheit einer expansiv steuernden Finanzpolitik. Reichskanzler Heinrich Brüning wollte zwar in Deutschland seinerzeit die Banken mit einem Notprogramm retten, doch hat die per Notverordnungen durchgesetzte fiskalische Schrumpfpolitik die Krise verschärft und damit den Boden bereitet für den Aufstieg Hitlers.
Dagegen hat Präsident Franklin D. Roosevelt mit seinem unorthodoxen Kurs des New Deal in den USA den ökonomischen Abstieg aufgehalten. Die Wende wurde seinerzeit nicht nur durch die direkte und indirekte Ausweitung der binnenwirtschaftlichen Nachfrage, sondern über staatliche Ausgabenprogramme bewirkt. Entscheidend waren die mutige Entschiedenheit, vor allem aber die Art und Weise, wie die Erwartungen hinsichtlich der Politik des 32. Präsidenten der Vereinigten Staaten gemanagt wurden.
Vertrauen in Wirtschaft und Jobentwicklung ließe sich heute in Deutschland wiederum mit einem New Deal gewinnen. Eine Politik jedoch, die nur Banken mit milliardenschweren Notprogrammen saniert und nicht zugleich mit einer expansiven Ausrichtung der öffentlichen Haushalte - sozial und ökologisch verantwortlich - die Binnenwirtschaft stärkt, schafft kein Vertrauen. Sondern beschleunigt am Ende den gesamtwirtschaftzlichen Absturz.
Professor Rudolf Hickel ist Wirtschaftswissenschaftler und Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft in Bremen.