"Die entscheidende Ursache für die Krise wird nicht diskutiert"
Standpunkt: Der Ökonom Heinz-J. Bontrup von der FH Gelsenkirchen über Ursachen und Folgen der Krise an den Finanzmärkten
Nicht in der fehlenden Haftung, in Gier oder einer mangelnden Aufsicht sieht der Ökonom Heinz-J. Bontrup von der FH Gelsenkirchen die Ursache für die Krise an den Finanzmärkten, sondern in der weltweiten Umverteilung des Volkseinkommens zugunsten der Gewinne.
VDI nachrichten: Herr Bontrup, die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, der Sie angehören, warnt schon seit Längerem vor einer Finanzmarktkrise. Fühlen Sie sich jetzt bestätigt?
Bontrup: Wir fühlen uns bestätigt. Dass es aber so schlimm kommen würde, hätten wir nicht gedacht.
VDI nachrichten: Warum haben Kapitalmarktforscher nicht schon früher Alarm geschlagen?
Bontrup: Weil viele davon überzeugt sind, dass freie Märkte ohne Staatseingriffe effizient sind und zum Gleichgewicht tendieren. Solche Krisen, wie wir sie jetzt erleben, sind in der Theorie aber nicht vorgesehen. Die Wirtschaftswissenschaft hat sie wegdefiniert und ist deshalb auch mitverantwortlich für die schlimme Entwicklung an den Finanzmärkten. Es ärgert mich besonders, dass diejenigen Ökonomen und Politiker, die von Staatseingriffen bis vor Kurzem noch nichts wissen wollten, sich jetzt als Feuerwehrleute aufspielen und Verluste sozialisieren.
VDI nachrichten: In der öffentlichen Debatte werden mehrere Erklärungen für die Finanzmarktkrise angeboten: fehlende Haftung, Gier oder schwindendes Vertrauen. Welche halten Sie für ausschlaggebend?
Bontrup: Diese Aspekte spielen sicher eine Rolle. Die Finanzmanager haben das System bedient und die Gier geschürt. Auch ist das Vertrauen zwischen den Banken und auch bei den Anlegern geschwunden. Die Krise aber zu personalisieren und als eine Vertrauenskrise zu erklären, wie es der frühere Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer macht, greift viel zu kurz.
VDI nachrichten: Welche Erklärung haben Sie?
Bontrup: Die entscheidende Ursache wird nicht diskutiert. Sie liegt in der großen Umverteilung in den vergangenen Jahren. Weltweit ist der Anteil der Gewinne am Volkseinkommen weitaus stärker gestiegen als der Anteil der Löhne.
VDI nachrichten: Was hat das mit der Finanzkrise zu tun?
Bontrup: Diese Gewinne wurden nur zu einem Teil wieder investiert und flossen nur in diesem Umfang in die Realwirtschaft zurück. Der Rest kursierte an den Börsen weltweit. Hinzu kommt, dass durch Steuer- und Abgabensenkungen für Reiche und durch eine forcierte Privatisierung der Rentenversicherungen diese Spekulationsmassen noch vergrößert wurden. In Deutschland trägt dazu die Teilprivatisierung mit der Riesterrente bei. Ein Vergleich kann das veranschaulichen: 1980 war der Wert der weltweit produzierten Güter und Dienstleistungen noch größer als das weltweit gehandelte Finanzvermögen. Heute hat sich das Verhältnis umgekehrt: Da muss die gesamte Weltbevölkerung 3,5 Jahre arbeiten, um Güter und Dienstleistungen zu produzieren, die dem Wert des zirkulierenden Finanzvermögens entsprechen.
VDI nachrichten: Wenn Manager mit ihrem privaten Vermögen haften würden, wäre dieses Desaster gar nicht erst eingetreten.
Bontrup: Das glaube ich nicht. Der Druck auf Finanzinvestoren, immer neue Profitquellen zu finden und immer riskantere Strategien zu entwickeln, würde auch bei stärkerer persönlicher Haftung nicht nachlassen. Bei Finanzinvestoren, Hedge-Fonds und Private-Equity-Gesellschaften entstehen Renditeerwartungen von 25 % und mehr. Um die zu erreichen, wird oft ein Hebel eingesetzt, indem ein Großteil der Spekulationen über Schulden finanziert wird. Solange der Kreditzins unter dem Zins für das eingesetzte Eigen- und geliehene Fremdkapital bleibt, lässt sich die Eigenkapitalrendite nach oben treiben.
VDI nachrichten: Kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) mehr tun, um solche Krisen zu verhindern?
Bontrup: Man kann die Bafin nicht für diese Krise verantwortlich machen, wenn die Politik ihr nicht genügend Instrumente für eine wirksame Aufsicht an die Hand gibt. Die Politik hat selbst die Deregulierung im Finanzsektor vorangetrieben. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD und Union verpflichtet, "überflüssige Regulierungen", wie sie es nennen, abzubauen und den Markt für Kreditverbriefungen, die ja der Auslöser der gegenwärtigen Finanzkrise sind, auszubauen.
VDI nachrichten: Die Politik will jetzt durch eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte gegensteuern. Reicht das aus, um künftig Blasen und Krisen zu verhindern?
Bontrup: Das ist ein richtiger Schritt. Diese Regulierungen müssen auch scharf ausfallen. So müssen Wetten auf realwirtschaftliche Unternehmenswerte, auf Rohstoffe und auf Wechselkurse, den wichtigsten Preis für eine Volkswirtschaft, verboten werden. Und es müssen weltweit die Steueroasen ausgetrocknet werden. Die Geschäfte von Banken müssen sich darauf beschränken, Geldeinlagen weiterzugeben an jene, die Kredite benötigen. Der frühere Bundesbankpräsident Tietmeyer hat sich schon 1996 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gewundert, dass die meisten Politiker sich noch nicht darüber im Klaren seien, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen. Das meinte er nicht kritisch. Dieses Verhältnis muss aber wieder umgekehrt werden: Nicht die Finanzmärkte müssen die Politik kontrollieren, sondern die Politik die Finanzmärkte, wie das bis Anfang der 70er Jahre auch der Fall war.
VDI nachrichten: Aber die Umverteilung, die Sie als Ursache der Krise ausgemacht haben, wird damit nicht berührt.
Bontrup: Das stimmt. Deswegen muss der Staat die Umverteilung korrigieren. Sie führte zu einer enormen Verschuldung der öffentlichen und vieler privater Haushalte. Wenn die Umverteilung aber weitergeht, Geld nach oben gespült wird und die mittleren und unteren Schichten über zu wenig Kaufkraft verfügen, wird das Problem nicht gelöst. Dieses Geld wird weiter nach Anlage suchen, weiter Druck auf die Politik machen, um bessere Rahmenbedingungen für weitere Spekulationen durchzusetzen. Wenn wir aus dieser Umverteilungskrise nicht die Lehren ziehen, dann wird die nächste Finanzmarktblase und in ihrem Gefolge die nächste Krise noch härter ausfallen.
VDI nachrichten: Umverteilung heißt Steuererhöhungen?
Bontrup: Ja. Auf Gewinne und hohe Einkommen sowie auf das in Deutschland völlig ungleich verteilte Vermögen. Auch Erbschaften sind wesentlich stärker als heute steuerlich zu belasten.
VDI nachrichten: Müssen auch mehr Schulden gemacht werden? Damit würde ein ausgeglichener Haushalt in weite Ferne rücken.
Bontrup: Mehr Staatsschulden hat die Politik gerade beschlossen. Auch ein jetzt dringend benötigtes Konjunkturprogramm muss kreditfinanziert werden. Dies ist auf europäischer Ebene abzustimmen.
VDI nachrichten: Worauf müssen sich die Arbeitnehmer im Gefolge der Finanzkrise einstellen?
Bontrup: Wir haben eine Krise, die sich nicht mehr auf den Finanzsektor beschränkt, sondern die Realwirtschaft erfasst hat. Es wird weniger Wachstum geben. Gerade hat die EU-Kommission ihre Wachstumsprognose für Deutschland im kommenden Jahr auf null gesenkt. Das heißt: Für den Staat weniger Steuereinnahmen und es wird weniger Beschäftigung geben. Das muss die Politik erkennen und entsprechend handeln.
VDI nachrichten: Warum sind Sie so skeptisch, was die Beschäftigung angeht? Die Arbeitsmarktreformen haben doch das Ziel, auch in schwierigen Zeiten die Erwerbslosigkeit nicht mehr so stark steigen zu lassen.
Bontrup: In den vergangenen zwei Jahren ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland zwar quantitativ gesunken, aber um einen sehr hohen Preis: Der Zuwachs geht zu einem großen Teil zurück auf Teilzeit, erzwungene Schein-Selbstständigkeit, einen massiven Ausbau an Niedriglohnbeschäftigung und Leiharbeit. Und in einer Krise verlieren Leiharbeiter und befristet Eingestellte als erste ihren Job. Dies passiert schon. Da kann man wohl nicht von einem qualitativen und nachhaltigen Erfolg an den Arbeitsmärkten reden.
VDI nachrichten: Sie sprachen schon ein Konjunkturprogramm an. Reicht das Konjunkturpaket, das die Bundesregierung gerade beschlossen hat, aus?
Bontrup: Nein. Die Europäische Zentralbank sollte die Zinsen senken, und die Entwicklung der Reallöhne muss sich in den Tarifabschlüssen endlich wieder an der Produktivitätsentwicklung orientieren. Und in prekären Arbeitsverhältnissen muss ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden. Wir müssen weg von der kontraproduktiven Umverteilung zu den Gewinnen. Sollte dieser Weg nicht beschritten werden, wird die Arbeitslosigkeit deutlich zunehmen und die Krise tief ausfallen und lange währen. H. STEIGER
Heinz-J. Bontrup,
Jahrgang 1953, ist Professor für Wirtschaftswissenschaft an der FH Gelsenkirchen. Zuvor war er u. a. Personalvorstand bei den Bochumer Stahlwerken. Bontrup ist Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (Memo-Gruppe).