Finanzkrise bleibt akut
Vor dem G-20-Gipfel: Goldman Sachs sieht weiter große Risiken im Markt. American Express mutiert zur Bank. Ackermann warnt vor zu viel Staat
Von Entwarnung keine Spur: Auch wenn die Finanzkrise in der öffentlichen Wahrnehmung derzeit ein wenig in den Hintergrund gerückt ist, schwelt der Brand weiter. Wie am Dienstag bekanntwurde, schätzt der US-Bankkonzern Goldman Sachs die weltweiten Verluste im Zuge der Krise auf bis zu 1400 Milliarden US-Dollar (1090 Milliarden Euro). Nach den Worten von Konzern-Chefvolkswirt Jan Hatzius sind davon bislang lediglich 800 Milliarden bekannt. In den Bilanzen der Banken, Versicherungen und Brokerhäuser müßten demnach noch Risiken versteckt sein, die weitere Abschreibungen in Höhe von 600 Milliarden Dollar erzwingen werden. Goldman plädiert deshalb für weitere Konjunkturprogramme, um eine noch tiefere Rezession zu vermeiden.
Dieser Ansicht scheint auch der kommende US-Präsident Barack Obama zu sein. Einem Bericht der New York Times zufolge hat Obama Amtsinhaber George W. Bush zu sofortiger Hilfe für die marode Autoindustrie des Landes aufgefordert. Die Bush-Regierung hat Bedenken, den US-Autobauern Zugriff auf ihr 700 Milliarden Dollar schweres Krisenhilfspaket zu gewähren. Obama hat den Herstellern und den Gewerkschaften Hilfe allerdings nur für den Fall in Aussicht gestellt, daß die Industrie sich zur Entwicklung klimafreundlicherer Modelle bereit erklärt, berichtete das Blatt weiter.
Wie schlecht es der Autoindustrie in den USA geht, zeigte am Freitag zuletzt der Opel-Mutterkonzern General Motors (GM): Der größte Autobauer des Landes fuhr im dritten Quartal einen Nettoverlust von 2,5 Milliarden Dollar ein, die Miesen seit Anfang 2005 summieren sich auf knapp 57 Milliarden Dollar. GM-Chef Rick Wagoner warnte, daß das Unternehmen schon vor Obamas Amtsantritt am 20. Januar eine Finanzspritze brauche. Die GM-Tochter Opel hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zudem in einem Schreiben aufgefordert, die Autoindustrie in Europa zu stützen. Bei Ford führten neue Verluste von 129 Millionen im dritten Quartal zu einem Defizit in Höhe von 24,5 Milliarden Dollar, seit der Konzern 2006 in die roten Zahlen gerutscht war.
Goldmans Prognose über weitere Risiken im Finanzmarkt wurden inzwischen auch von American Express (Amex) bestätigt. Der nach Visa und Master Card drittgrößte US-Kreditkartenkonzern will nun keiner mehr sein, sondern wird eine Bank. Die US-Notenbank Fed hat dem Dienstleister eine entsprechende Zulassung erteilt, wurde am Montag (Ortszeit) bekannt. »Angesichts der anhaltenden Schwankungen an den Finanzmärkten wollen wir in einer guten Position sein, um von den verschiedenen staatlichen Programmen zu profitieren«, begründete Firmenchef Kenneth Chenault die Umwandlung.
Amex flüchtete in den Bankenstatus, weil nur der das Anrecht verleiht, am US-Hilfsprogramm für den Finanzsektor zu partizipieren. Der Konzern galt bisher wegen seines Kundenkreises aus Mittel- und Oberklasse als krisenresistent. Doch bereits im Oktober mußte das Management einen deutlichen Gewinnrückgang einräumen. Nun wird spekuliert, daß Zahlungsausfälle im Zuge der Finanzkrise auch bei American Express zu erheblichen Verlusten geführt haben könnten.
Ähnliche Gerüchte kursieren über Goldman Sachs. Die früher weltgrößte Investmentbank galt bislang als weitgehend von der Krise verschont. Nun vermuten Beobachter, daß der Konzern, der sich inzwischen ebenfalls in eine Geschäftsbank umgewandelt hat – stärker von der Finanzkrise betroffen ist und bald den ersten Quartalsverlust in seiner Unternehmensgeschichte ausweisen könnte. Die Goldman-Aktie hatte sich am Montag an der New Yorker Börse um knapp zehn Prozent verbilligt.
Der ganzen Entwicklung ein paar Schritte voraus ist wieder einmal Josef Ackermann, diesmal nicht in seiner Eigenschaft als Chef der Deutschen Bank, sondern als Präsident des Weltbankenverbandes IIF. In einem Brief an US-Präsident George W. Bush und die Teilnehmer des G-20-Gipfels warnt Ackermann vor einem zu langen Engagement des Staates im Bankensektor. »Hilfspakete dürfen nicht die Grundlage für eine dauerhaft größere Rolle des öffentlichen Sektors im internationalen Finanzsystem sein«, heiß es in dem Schreiben, das im Internet zugänglich ist. Am Sonnabend treffen sich in Washington Vertreter der größten Industrie- und Schwellenländer (G 20) zum sogenannten Weltfinanzgipfel. Dort sollen die Konsequenzen aus der bisherigen Krise und mögliche Präventionsmaßnahmen besprochen werden.