Kindergelderhöhungen für Hartz-IV-Empfänger zynisch: Alle Kinder müssen die gleichen Möglichkeiten haben
Das Kindergeld wird erhöht, aber bei Hartz-IV-EmpfängerInnen gleich wieder abgezogen. Ein Gespräch über Chancengleicheit und die Klientelpolitik der Koalition mit Diana Golze, Mitglied im Ausschus für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und Vorsitzende der Kinderkommission des Bundestages und Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE.
Die Bundesregierung hat beschlossen, das Kindergeld um 10 Euro pro Kind zu erhöhen. Das entspricht nicht einmal dem Ausgleich für den Wertverlust seit 2002. Bei Hartz-IV-EmpfängerInnen wird das Kindergeld angerechnet, d.h. bei ihnen kommt von der Erhöhung nichts an. Warum bekommen gut verdienende Familien für jedes Kind Geld aus staatlichen Töpfen, Hartz-IV-EmpfängerInnen hingegen nicht?
Diana Golze:: Diese Frage kann wohl nur das Kabinett Merkel beantworten, denn es ist doch absolut unverständlich und ungerecht, warum ich für meine Kinder je 10 Euro mehr bekommen soll, aber die Eltern im Hartz-IV-Bezug nicht. Es passt aber ins Bild, denn z.B. das Elterngeld wird ja auch auf Kosten derer finanziert, die wenig oder gar kein Einkommen haben. Die Große Koalition macht Klientelpolitik für Besser- und Bestverdienende und nicht für die Mehrheit der Bevölkerung.
Die Fraktion DIE LINKE hat zur Anrechnung des Kindergeldes einen Antrag eingebracht, der diese Woche debattiert wird. Was fordern Sie darin?
Diana Golze: Wir wollen, dass die Anrechnung der Kindergelderhöhung solange ausgesetzt wird, bis der Kinderregelsatz das Existenzminimum eines Kindes wirklich deckt. Dieser ist nach unserer Auffassung viel zu gering bemessen. Nach unserer Auffassung müsste der Regelsatz für Kinder auf mindestens 300 ¤ angehoben werden. Dies belegt auch eine aktuelle Expertise des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.
Das hessische Landessozialgericht hat im Oktober entschieden, dass die Hartz IV-Regelleistungen nicht das soziokulturelle Existenzminimum abdecken und damit gegen das Grundgesetz verstoßen. Insbesondere die Festlegung der Regelsätze für Kinder wurde gerügt. Müssen die Sätze jetzt erhöht werden?
Katja Kipping: Ja das müssen sie und zwar umgehend. Wir haben dazu ja schon seit längeren einen Antrag im Parlament. Diesen werden wir demnächst abstimmen lassen. So bekommt die Koalition die Chance, sofort auf das Urteil zu reagieren.
Die Regierung lässt nicht nach, die Förderung von Familien und von Bildung zu wichtigen Prioritäten zu erklären. Gleichzeitig nehmen Armut und Einkommensungleichheit zu, wie eine OECD-Studie kürzlich feststellte. Um wessen Förderung geht es hier eigentlich?
Katja Kipping: Wenn von Bildung die Rede ist, ist von konservativer Seite beständig von Chancengleichheit die Rede. Doch dies ist irreführend. Um ein Bild aus den Sport zu bemühen: Nicht alle Kinder, die beim Startschuss an derselben Startlinie stehen, haben tatsächlich die gleichen Chancen. Der Umstand, dass Kinder mit kürzeren und schwächeren Beinen beim Wettlauf gegen große und kräftige Kinder trotzdem kaum mithalten können, wird ausgeblendet. Es ist verständlich, dass Eltern bei einem Wettrennen vor allem die eigenen Kinder anfeuern. Der Staat und die Gesellschaft hingegen sollten dafür sorgen, dass alle Kinder die gleichen Möglichkeiten haben – und das nicht nur beim Startschuss, sondern zu jedem Zeitpunkt des Lernprozesses.
Ebenfalls diese Woche wird im Bundestag der Entwurf des neuen Familienleistungsgesetzes der Koalition debattiert werden. Beim Bildungsgipfel wurde vereinbart, die Zahl der AbiturientInnen zu steigern. Im neuen Gesetz soll nun festgelegt werden, dass Kinder, die von Hartz IV leben müssen, die zusätzlichen 100 Euro Schulbedarfspaket nur bis zur 10. Klasse erhalten werden. Widerspricht sich das nicht?
Diana Golze: Es soll wohl deutlich machen, wer die AbiturientInnen der Zukunft sein sollen – anscheinend nicht die Kinder aus Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften. Zwar gibt die Regierung zu, dass der Regelsatz für Kinder im Bereich Bildung nicht ausreichend ist, aber gegensteuern will man nur bis zur 10. Klasse. Das ist zynisch.