Klotzen gegen den Absturz

Linke Ökonomen fordern Konjunkturprogramm von 110 Milliarden Euro / Auch EU hat Pläne

22.11.2008 / Von Kurt Stenger, Neues Deutschland


Linke Ökonomen fordern von der Bundesregierung ein massives Sofortprogramm zur Konjunkturstützung in Höhe von 100 bis 110 Milliarden Euro. Die Konjunkturbarometer der Industriestaaten weisen weiterhin steil nach unten. Der Indikator des Ifo-Instituts München, der auf der Befragung von Experten aus 91 Ländern beruht und die Stimmung in der Weltwirtschaft ausdrücken soll, fiel auf den tiefsten Stand seit gut 20 Jahren. Und auch der wichtigste US-Konjunkturindex, der auf zehn wichtigen Wirtschaftsdaten beruht, ging im Oktober um 0,8 Prozent zurück. Führende Mitglieder der Notenbank Fed gehen davon aus, dass die US-Wirtschaft zumindest bis Mitte 2009 schrumpfen wird. Für Deutschland rechnet die Bundesbank im Schlussquartal 2008 mit einem weiteren empfindlichen Dämpfer. Wie es im aktuellen Monatsbericht heißt, würden im nächsten Jahr die negativen Folgen der Finanzmarktkrise und der realwirtschaftlichen Eintrübung »in ihrer ganzen Tragweite sichtbar«

Die eigentliche Herausforderung sei, zu verhindern, dass die Krise tief werde und lange andauere. »Wir erwarten von der Bundesregierung, dass jetzt geklotzt und nicht gekleckert wird«, sagte Heinz-J. Bontrup, Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, bei der Vorstellung eines Sondermemorandums am Donnerstag in Berlin. Der Ökonom an der Fachhochschule Gelsenkirchen kritisierte das jüngste schwarz-rote Konjunkturpaket als von der Höhe her »völlig unzureichend«. Außerdem gehe es in die falsche Richtung, da es angebotsorientiert sei und die Umverteilung von unten nach oben fortsetze.

Die linken Ökonomen fordern ein Konjunktursofortprogramm in Höhe von 100 bis 110 Milliarden Euro. Es setzt sich aus einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes II auf 450 Euro, einer generellen Arbeitszeitverkürzung sowie einem öffentlich geförderten Beschäftigungsprogramm zusammen. Dies ist nach Ansicht der Experten auch deshalb nötig, da schon vor der jetzigen Krise bis zu sechs Millionen Arbeitsplätze fehlten. Den größten Batzen würde ein Investitionsprogramm im Umfang von jährlich 75 Milliarden Euro ausmachen, das zehn Jahre lang laufen sollte. Der Bedarf sei groß – im Wohnungsbau, dem Bildungs - und Gesundheitssektor, bei der Erneuerung der Kanalisation in den Kommunen oder beim ökologischen Umbau.

Nach Ansicht der Ökonomen wäre nur zur Anschubfinanzierung eine zusätzliche Neuverschuldung von 30 Milliarden Euro nötig. Danach ließe es sich komplett gegenfinanzieren aus höheren Einnahmen des Staates: u.a. durch Erhöhung der Körperschaftsteuer von 15 auf 25 Prozent, Wiedereinführung der Vermögensteuer, einer Börsenumsatzsteuer, Änderungen beim Ehegattensplitting und Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität. Mit einer Flucht der Betroffenen als Reaktion sei nicht zu rechnen, sagte Mechthild Schrooten von der Hochschule Bremen. Angesichts der internationalen Finanzkrise sei »Kapital nicht mehr so leicht flüchtig«.

Die linken Ökonomen begrüßen die Brüsseler Pläne für ein EU-Konjunkturprogramm. Es sei richtig, die Maßnahmen abzustimmen. Allerdings seien auch hier die Summen zu klein. Die EU-Kommission will das Programm am kommenden Mittwoch beschließen, das laut deutschen Regierungsangaben rund 130 Milliarden Euro umfassen soll. Der amtierende EU-Ratspräsident, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, hält eine finanzielle Zielmarke indes für überflüssig. Er stellte am Donnerstag zudem einen 20 Milliarden Euro schweren Staatsfonds vor, der Firmen mit Geld versorgen soll, die wegen der Finanzkrise keine Kredite bekommen, und über eine Teilverstaatlichung strategisch wichtige Unternehmen vor Übernahmen aus dem Ausland schützen soll. Erster Begünstigter wird der Industriezulieferer Daher.