Weihnachten mit Hartz IV
Bei Familie Fischer haben sich die Kinder das Wünschen abgewöhnt.
Jedes Jahr, kurz vor Heiligabend, macht sich Celine (10) mit ihrer
Mutter Nadine Fischer (33) und ihrer Schwester Josephine (17) in
Jüterbog auf die Suche nach einem Weihnachtsbaum – einem besonderen,
denn verkrüppelt soll er sein. Vor Jahren hat Celine diese Vorliebe
entdeckt. Damals stand ein Bäumchen mit abgebrochener Spitze auf dem
Markt herum und Celine sagte sich, das brauche doch auch ein Zuhause.
Damals hat sich Celine nicht dafür interessiert, dass diese Tannen viel
billiger sind. Doch seitdem ihre alleinstehende Mutter von Hartz IV
leben muss, weiß sie, dass die schönen, groß gewachsenen
Weihnachtsbäume unbezahlbar sind.
Nicht alles ist so praktisch, wenn Familie Fischer Weihnachten feiert. Zum Beispiel wünschte sich Nadine Fischer, Heiligabend würde nicht am Monatsende liegen. Denn Hartz IV wird zum Monatsanfang gezahlt, und am 24. Dezember ist kein Geld mehr da. Damit Weihnachten dennoch stattfinden kann, werden die Lebkuchen in den ersten Oktobertagen gekauft, und die Ente, sofern im Sonderangebot, Anfang November. Den Grünkohl schenken Freunde.
Die Adventszeit der Fischers ist ein einziger Spießrutenlauf – überall lauern Verlockungen. Nadine Fischer will ihre Kinder die Armut nicht spüren lassen, doch dann riecht es wieder irgendwo nach gebrannten Mandeln und sie muss sagen: »Es tut mir leid«. Die Mutter grämt sich, dass es sich ihre Kinder mit den Jahren abgewöhnt haben, Wünsche zu äußern. »Kinder sollen doch träumen«, sagt sie, »anstatt ans Geld zu denken.«
Für das kommende Fest hat Nadine Fischer viel riskiert: Bei einem Versandhaus hat sie für Celine ein Fahrrad bestellt – auf Raten. Und für die große Tochter Josephine wird sie eine Hose kaufen. Die zweite, die passt, nachdem Josphine in diesem Sommer ein Kind zur Welt gebracht hat.
Von den Kindern erwartet sie keine Geschenke. Woher auch, Taschengeld bekommen sie nur ganz selten. Dennoch wissen die Kinder, ihre Mutter zu überraschen. So wie im vorigen Jahr, als sie einen »Wunsch-Ehemann« für die Mutter bastelten. 1,20 Meter groß war der, geformt aus Lebkuchen und im Ofen gebacken.
Einen Wunsch hat Nadine Fischer tatsächlich, aber den würde sie ihren Kindern niemals jetzt schon verraten. Weil sie Mietschulden angehäuft hat, um ihrer asthmakranken Tochter Celine eine Behandlung zu ermöglichen, kam im September die Kündigung für die Wohnung. »Ich habe nur einen Weihnachtswunsch«, sagt sie, »dass der Rausschmiss bitte erst nach Heiligabend kommt.«