Einfach so verzockt
Die Finanzmarktkrise und die privatfinanzierten Renten – warum Millionen von Menschen weltweit um ihre Altersvorsorge bangen
Am 22. Oktober meldeten die Nachrichtenagenturen aus Argentinien: »Experiment gescheitert – Staat will private Rentenfonds übernehmen.« Was war passiert? Im Zuge der weltweiten Finanzkrise haben die dort 1994 errichteten privaten Rentenfonds in den letzten Monaten real 20 Prozent an Wert verloren. Die Renten können deshalb nicht mehr garantiert werden. Gleichzeitig belasten die Fonds den argentinischen Staatshaushalt jährlich mit 1,3 Milliarden Euro, denn 77 Prozent der argentinischen Rentnerinnen und Rentner, die mit einer privatfinanzierten Rente in den Ruhestand gegangen sind, erhalten zusätzlich staatliche Unterstützung.
Auch aus den USA, dem Musterland der privaten Pensionsfonds, erreichen uns immer neue Hiobsbotschaften: Von den in Pensionsfonds angelegten rund 20 Billionen US-Dollar Vermögen wurden seit Beginn der Krise im Juni 2007 bereits rund zwei Billionen US-Dollar vernichtet. Die US-Pensionsfonds sind auch kurzfristig deswegen schwer von der aktuellen Krise getroffen, weil die Finanzkrise jetzt voll auf die Wirtschaft durchschlägt. Die Betriebsrenten von Millionen Beschäftigten sind damit in Gefahr, und das gleich von zwei Seiten: Zum einen, weil US-Konzerne häufig ihre Betriebsrenten ausgelagert haben, da die Rückstellungen für die Betriebsrenten ihre Bilanzen belasten. Zum anderen hat diese Ausgliederung dazu geführt, dass nun verstärkt in hochspekulative Anlageformen, etwa in Hedge-Fonds oder Private-Equity-Fonds (in Deutschland gerne als »Heuschrecken« verschrien), angelegt wurde. Diese ihrerseits heizen damit selbst die Finanzspekulationen auf der Suche nach immer neuen und höheren Renditen weiter an. Die Pensionsfonds werden damit Opfer ihrer eigenen Anlagenpolitik, weil sie zur Erfüllung bestehender und täglich neu anfallender Rentenansprüche permanent Liquidität beschaffen müssen. Die Hoffnungen vieler amerikanischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf ein finanziell abgesichertes Leben im Alter wurden in den Finanzcasinos dieser Welt verspielt. Sie sind somit die großen Verlierer der aktuellen Krise. 2008 hat zudem der Durchschnittsamerikaner sehr schlecht für seine Rente vorgesorgt. So haben nur noch 37 Prozent der Menschen überhaupt eine traditionelle Betriebsrente gegenüber 60 Prozent im Jahr 1983. Sie werden im Alter ganz überwiegend auf die allen zustehende Mini-Rente der amerikanischen Sozialversicherung angewiesen sein.
Und in Deutschland? Auch hier sind die Pensionsfonds von der weltweiten Finanzmarktkrise betroffen, denn sie hängen voll im Risiko möglicher Bankenpleiten und fallender Aktienkurse. Die unter Rot-Grün im Jahr 2002 in der betrieblichen Altersvorsorge eingeführten Pensionsfonds sind nicht an die maximale Aktienquote von 35 Prozent gebunden. Damit wird die Höhe der Betriebsrente in Deutschland zunehmend dem Risiko auf dem Kapitalmarkt ausgesetzt. Bereits im März berichtete das Magazin »WirtschaftsWoche«, dass die globale Finanzmarktkrise auch auf die Pensionsvermögen deutscher Unternehmen durchschlage: »Schrumpfende Anleiherenditen und fallende Aktienkurse werden sich schon bald in den Betriebsrenten widerspiegeln« (10.3.2008). Die rund 2,5 Millionen Ruheständler und zehn Millionen Beschäftigten in der Privatwirtschaft, die künftig Ansprüche auf eine Betriebsrente hätten, müssten sich auf niedrigere Zahlungen einstellen.
Hinzu kommen knapp 12 Millionen staatlich subventionierte Riester-Renten, davon allein über zwei Millionen Riester-Investmentfondsverträge (Stand 12/2007). Banken und Versicherungswirtschaft versuchen den Menschen weiszumachen, dass ihre private Altersvorsorge sicher sei. So wird immer wieder, auch von Seiten der Bundesregierung, argumentiert, dass zumindest der Kapitalertrag, also alle eigenen Beiträge und die staatlichen Zulagen, gesetzlich garantiert seien. Allerdings stellt sich die Frage, ob gut beraten ist, wer sein Geld für die Altersvorsorge auf dem Kapitalmarkt anlegt, wenn allein durch Inflation ein Kaufkraftverlust von bis zu drei Prozent droht. Der garantierte Kapitalerhalt ist deshalb nur ein löchriges Auffangnetz. Hinzu kommt, dass diese Garantie nicht für den eingezahlten Beitrag gilt, sondern lediglich für den tatsächlich angelegten Betrag. So können vom ersten Euro an, je nach Anlageart, 10 bis 25 Prozent Abschluss-und Verwaltungsgebühren zu Buche schlagen. Ein denkbar schlechtes Geschäft also. Im Gegensatz zu Riester-Renten ist bei Rürup-Renten prinzipiell nicht einmal der Erhalt des eingezahlten Kapitals garantiert. Sorgt jemand so beispielsweise mit einem Fondssparplan vor, gibt es keinerlei Absicherung gegen fallende Renditen.
Rentenfragen sind Verteilungsfragen
Und die gesetzliche Rentenversicherung? Was hat die Rente mit den internationalen Finanzmärkten und den Börsen zu tun? Auf den ersten Blick zunächst nicht viel. Für die auf dem Umlageverfahren basierende solidarische Rentenversicherung ergeben sich keine unmittelbaren Folgen aus der Finanzkrise. Die abhängig Beschäftigten finanzieren über Beiträge aus ihren laufenden Einkommen die Renten der nicht mehr Erwerbstätigen und erhalten sogleich Ansprüche für ihre spätere Rente. Im Umlageverfahren wird, anders als bei kapitalgedeckten Altersvorsorgesystemen, kein Kapitalstock aufgebaut, der an Wert verlieren kann. Damit ist die gesetzliche, umlagefinanzierte, kollektive Rentenversicherung immer noch die sicherste und beste Altersvorsorge, die es gibt.
Was macht die gesetzliche Rentenversicherung sonst so interessant für den Finanzmarkt? Kurzum: Es geht um die Verteilungsfrage. Die wird aber nicht mehr nur in den heimischen Betrieben entschieden, sondern auch auf den internationalen Finanzmärkten. Damit die Arbeitgeberseite Lohnanteile, also Sozialversicherungsbeiträge, einsparen kann, wurde unter Rot-Grün die paritätische Finanzierung in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgehoben und zugleich eine Beitragssatzobergrenze festgelegt. Um die drohenden Leistungskürzungen aufzufangen, schuf Rot-Grün mit der Riester-Rente einen neuen gigantischen Anlagenmarkt. Wer in Zukunft im Alter seinen Lebensstandard halten will, ist gezwungen, vier Prozent seines Bruttoeinkommens für die private Altersvorsorge zu verwenden. Von der staatlichen Förderung profitieren aber nicht die Sparerinnen und Sparer, sondern im Wesentlichen Großunternehmen – zum einen, weil sie durch die Privatisierung der Rente entlastet werden; zum anderen, weil sie selbst in vielfältiger Weise auf den Finanzmärkten tätig sind. Sie kassieren also gleich zweimal! Und hier schließt sich nun der Kreis: Für Banken, Versicherungen und Investmentgesellschaften bedeutet die Privatisierung der Rente gigantische Mittelzuflüsse. Hätten im Jahr 2007 tatsächlich alle abhängig Beschäftigten vier Prozent ihres Bruttoeinkommens in die private Altersvorsorge eingezahlt, ergäbe das einen Betrag von 47 Milliarden Euro. Diese gigantische Summe muss wiederum auf den internationalen Finanzmärkten investiert werden, immer auf der Suche nach noch höheren Renditen. Die Finanzmärkte werden immer mehr aufgebläht, bis der große Knall kommt. Dann entpuppt sich die gestern noch als sicher und rentabel geglaubte Anlage als wertloses Spekulationspapier.
Im schlimmsten Fall könnte die Finanzkrise allerdings in einer wirtschaftlichen Depression enden. Dies könnte dazu führen, dass die Kaufkraft der Renten stagniert oder gar fällt. Auch deshalb ist jetzt eine Stärkung der Binnennachfrage unerlässlich. Voraussetzung dafür wäre ein deutlicher Anstieg der Löhne. Deshalb müssen die Einkommen der abhängig Beschäftigten in gleicher Höhe wie die Unternehmens-und Vermögenseinkommen ansteigen – um acht Prozent. Die bislang den Älteren vorenthaltenen Rentenerhöhungen – im Wesentlichen die sogenannte »Riester-Treppe« – müssen ebenfalls sofort nachgeholt werden. Dies wäre zusätzlich zu der bereits gezahlten Erhöhung von 1,1 Prozent in diesem Jahr eine Erhöhung um weitere drei Prozent. Damit würden den RentnerInnen rund sieben Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen. Durch den Wegfall der staatlich subventionierten Riesterförderung in Milliarden-Höhe könnten außerdem Mittel für öffentliche Investitionen bereitgestellt werden oder diese direkt zur Stärkung des Solidarausgleichs in die gesetzliche Rente fließen. Die sofortige Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 435 Euro sowie ein gesetzlicher Mindestlohn von zunächst mindestens acht Euro sind neben einem umfassenden öffentlichen Zukunftsinvestitionsprogramm jetzt notwendig, um die drohende wirtschaftliche Depression noch abzuwenden.
Gleichzeitig brauchen wir eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse der Rentnerinnen und Rentner, der abhängig Beschäftigten und der Erwerbslosen. Dazu hat der Parteivorstand der LINKEN bereits Anfang Juli 2008 ein Zehn-Punkte-Programm für eine solidarische und sichere Rente verabschiedet.
Die gegenwärtige Finanzmarktkrise gefährdet die private Alterssicherung von Millionen Menschen: Wenn sich der Rauch verzogen hat, werden die privaten Banken und Versicherungskonzerne ihren Versicherten den Offenbarungseid leisten müssen. Milliarden von Euro, die für die Altersvorsorge gedacht waren, werden dann vernichtet sein. Dies wird zu erheblichen finanziellen Auswirkungen für die Betroffenen im Alter führen.
Die kapitalgedeckte Altersvorsorge ist vor Krisen auf dem internationalen Finanzmarkt nicht sicher, insbesondere dann nicht, wenn es sich um eine Krise handelt, die den weltweiten Finanzmarkt an den Abgrund eines Totalzusammenbruchs führt. Zudem hat die Aufsicht über die Banken und Versicherungskonzerne versagt. Die Finanzmärkte werden immer mehr aufgebläht, wenn die Menschen durch eine verfehlte Rentenpolitik immer mehr in die private Alterssicherung gedrängt werden. Sie müssen sparen, ihr Geld in Fonds anlegen oder Versicherungen abschließen. Ob es tatsächlich zu den erwarteten Rentenauszahlungen kommen wird, bleibt reine Spekulation. Ebenso spekulativ wie die Entwicklung auf den Finanzmärkten selbst. Sicher ist nur, dass die Pensionsfonds ihre Gelder auf der Suche nach immer neuen und höheren Renditemöglichkeiten anlegen müssen. Vielleicht genau in jene Hedge-Fonds oder Private-Equity-Fonds, die gerade die Arbeitsplätze der künftigen Pensionäre zwecks Gewinnsteigerung vernichten.
Bei der Auseinandersetzung um die Zukunft der Rente geht es auch darum, ob dem Kapital die Landnahme im Bereich der Altersvorsorge wieder abgerungen werden kann. Die sozialpolitische Botschaft, die DIE LINKE hier anzubieten hat, ist so einfach wie einprägsam: Die Privatisierung der sozialen Risiken war ein Fehler. Sie muss zurückgenommen werden. Um die Menschen vor dem Totalzusammenbruch ihrer privaten Spareinlagen für ihre Altersvorsorge zu schützen, sollte auch in Deutschland der »argentinische Weg« gegangen werden: Die Privatisierung der Alterssicherung, insbesondere der Riester-Förderung, muss rückgängig gemacht werden. Bisherige Einlagen könnten genauso gut vom Staat oder von der Rentenversicherung selbst verwaltet werden. Dazu könnte den Sparerinnen und Sparern die Option eingeräumt werden, ihre Einlagen in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen.
* Michael Stamm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Büro eines Bundestagsabgeordneten.