Am Neujahrsmorgen ohne Geld
Viele Kölner Arbeitslose warteten vergeblich auf die Auszahlung ihrer Hartz IV-Beträge
Weil die Kölner ARGE bei der Bearbeitung von Anträgen nicht hinterherkommt, warten Betroffene vergeblich auf ihr Geld. Am Freitag protestierten zahlreiche Erwerbslosenverbände gegen die unhaltbaren Zustände.
Für einige hundert Hartz IV-Betroffene begann das neue Jahr denkbar schlecht: Sie hatten am 1. Januar noch kein Geld auf dem Konto. Schuld ist ein »Antragsrückstau« bei der zuständigen (Arbeitsgemeinschaft) ARGE Köln. Das Problem ist keineswegs neu. Der Kölner LINKEN liegt eine Verwaltungsmitteilung des Rates der Stadt vor, in der dieser Antragsrückstau auf etwa 30 000 Fälle beziffert wird. Besonders pikant: Die Zahlen stammen bereits aus dem Oktober! Doch offensichtlich sahen die Verantwortlichen in der Rheinmetropole bislang keinen Handlungsbedarf.
Am Freitag protestierten nun zahlreiche Erwerbsloseninitiativen vor der ARGE Köln-Süd. Ziel der Aktivisten war es, eine unverzügliche Auszahlung der ausstehenden Beträge zu erreichen. Wie Martin Behrsing vom Erwerbslosen Forum gegenüber ND betonte, sollte die Aktion »Zahltag« sicherstellen, dass die Betroffenen nicht mit Lebensmittelgutscheinen oder Teilbeträgen abgespeist werden. »Wir haben Menschen, die seit Monaten auf einen endgültigen Bescheid warten«, machte Behrsing deutlich. Solange ihr Status nicht geklärt sei, würde an sie auch nicht der übliche Regelsatz ausgezahlt. »Oftmals werden Lebensmittelgutscheine ausgegeben, die aber nur in bestimmten Supermärkten eingelöst werden können«, kritisierte der Erwerbslosenaktivist. Die ges-trige Protestaktion brachte die ARGE offensichtlich in Zugzwang. Urplötzlich öffneten drei zusätzliche Büros, und die Sacharbeiter zahlten den gesamten Regelsatz bar an die Betroffenen aus. Trotzdem, so Behrsing, sei es keinesfalls hinnehmbar, dass »wegen der organisatorischen oder personellen Engpässe Betroffene ohne Leistungen dastehen müssen«.
Denn in naher Zukunft befürchtet Behrsing weitere Unregelmäßigkeiten. Nach wie vor türmen sich in Deutschlands zweitgrößter ARGE etwa 30 000 Anträge. Auch Elisabeth Sachse von der Kölner LINKEN kritisierte die Versäumnisse der ARGE und macht auf die Folgen der Verzögerungen aufmerksam: »Durch die Nichtbearbeitung können die Menschen zum Beispiel keine GEZ-Befreiung bekommen, da dafür ein bearbeiteter Antrag notwendig ist.«
Die Vorkommnisse in Köln stehen exemplarisch für die strukturellen Defizite in vielen Job-Centern und ARGEn, die mit der Betreuung Langzeitarbeitsloser beauftragt und häufig auch überfordert sind. Die Personaldecke ist dünn und die Mitarbeiter sind oft überlastet. Um Abhilfe zu schaffen plant die Bundesregierung, in diesem Jahr bundesweit 1900 zusätzliche Sachbearbeiter einzustellen. Denn das Betreuungsverhältnis liegt in den ARGEn teilweise um bis zu 275 Prozent über den Vorgaben. In 83 ARGEn ist mehr als ein Drittel der Beschäftigten nur befristet angestellt. Auch dies trägt nicht zur Mitarbeiterbindung bei. Michael Behrsing kennt das Problem: »Die Mitarbeiter halten es nicht lange aus. Viele haben keine Zeit, sich einzuarbeiten.«
Erwerblosenaktivisten in Köln vermuten auch eine bewusste Verzögerungstaktik hinter der schleppenden Bearbeitung von Anträgen – als Teil einer strategischen Neuausrichtung der Kölner ARGE. Erarbeitet wurde das Konzept interessanterweise von der Unternehmensberatung »Roland Berger«. Die Wirtschaftsprüfer sollten Einsparpotenziale bei der Arbeitslosenbetreuung offenlegen. Seitdem häufen sich die Beschwerden, auch weil die amtlichen Hürden zur Bewilligung eines Hartz IV-Antrages sukzessive erhöht worden seien, wie der Verein Kölner Erwerbslose in Aktion (KEA) beobachtete.
Die Schikanen gegen Arbeitslose bescherten der ARGE im letzten Jahr bundesweite Aufmerksamkeit, als im Oktober bekannt wurde, dass man Kölner Hartz IV-Betroffene aufgefordert hatte, »Rücklagen für kommende einmalige, auch unvorhersehbare Bedarfe zu bilden«. Angesichts eines Regelsatzes von 351 Euro wirkte diese Aufforderung wie ein schlechter Scherz. Erst eine diesbezügliche Anfrage der LINKEN-Bundestagsabgeordneten Katja Kipping machte den Gesetzgeber auf die merkwürdigen Methoden der Kölner ARGE aufmerksam. Die Bundesregierung untersagte den Kölnern schließlich das fragwürdige »Spar-Gebot«.