Ulrich Maurer: New Deal für Arbeit und Umwelt sieht anders aus
Die Bundesregierung präsentiert mit großem Tamtam das nächste Konjunkturpaket. Die erste Version, in der u.a. mit einer KFZ-Steuerbefreiung von 150 Euro die Menschen zum Autokauf verleitet werden sollten, war gestern. Sie setzt damit nicht nur ihre planlose Politik der Feuerwehraktionen fort. Das Hickhack um Grundfreibetrag und Eingangssteuersatz, Krankenversicherungsbeiträge, »Kinderbonus« und »Abwrackprämie« zeigt, dass die Dramatik der Situation noch immer nicht begriffen ist - mehr als 18 Monate nach Ausbruch der Finanzkrise.
In internen Papieren rechnet die Bundesregierung dieses Jahr mit einem Rückgang des BIP um drei Prozent. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit hält vier Mio. Arbeitslose für möglich. Deutsche Banken und Unternehmen halten ca. 100.000 Kreditversicherungskontrakte (»credit default swaps« – CDS, laut George Soros das »Damoklesschwert, das über den Märkten hängt«) in den Büchern, die der AIG, Bear Stearns und Lehman Brothers zum Verhängnis wurden. Weltweit müssen nach einem Bericht des Handelsblatts in den kommenden zwei Jahren vier Bio. Dollar Unternehmensanleihen und –kredite refinanziert werden - bei bestehender Kreditklemme. In den USA droht bis 2010 sieben Mio. Haushalten die Zwangsversteigerung. Weltweit droht die Anleihekrise, die Immobilienpreise fallen weiter. Insolvenzen werden zunehmen und damit der Ausfall von CDS. Die Schüttgut-Frachtraten im Überseehandel sind um 90 % abgestürzt, die Stahlpreise haben sich in sechs Monaten halbiert. Mit Staatsbankrotten und Währungskrisen ist zu rechnen, Russland steht dieses Jahr vor der Verdopplung der Arbeitslosigkeit und der Wiederholung der Rubelkrise, fast ganz Osteuropa, der »Zukunftsmarkt« der deutschen Wirtschaft, ist im Abwärtsstrudel.
Die Frage ist nicht, ob wir schon mitten drin sind in der Weltwirtschaftskrise, sondern ob und wie ein Abrutschen in eine Globale Depression verhindert werden kann. Laut Ökonomie-Nobelpreisträger Krugman hat die »Zweite Große Depression« bereits begonnen.
Vor diesem Hintergrund sind die aktuellen Inszenierungen der Großen Koalition in erster Linie Drehen an Schräubchen. Frau Merkel legt Wert darauf, dass die Maßnahmen nicht vor Mitte des Jahres wirken. Folge ist z.B.: Der Grundfreibetrag wird dieses Jahr nur um 170 Euro erhöht, die Krankenversicherungsbeiträge, die gerade mit dem Gesundheitsfonds einseitig für die Beschäftigten um 0,9 Punkte erhöht wurden, werden ab 1.7. für Beschäftigte und Arbeitgeber um 0,6 Punkte wieder gesenkt, macht eine Erhöhung um 0,3 Punkte. Die Abwrackprämie gilt nur bei Verschrottung der Alt-Autos. Von denen dürfte aber ein Großteil mehr als die 2.500 ¤ beim Verkauf erzielen. Außerdem betrifft sie nur den PKW-Verkehr. Klimafreundliche Verkehrspolitik sieht anders aus.
Die auf Pump finanzierten Steuererleichterungen, die Minister Steinbrück noch vor wenigen Wochen kategorisch ablehnte, klammern 50 % der Haushalte und ein Viertel der Beschäftigten schlichtweg aus, weil die keine Einkommensteuern zahlen, Gutverdiener erhalten den höchsten Entlastungsbeitrag.
Das Paket ist nicht nur ein Sammelsurium von Einzelmaßnahmen. Es ist auch sozial schieflastig. Höhere Hartz-IV-Regelsätze, gesetzlicher Mindestlohn und Rentenerhöhungen, die sofort konjunkturwirksam wären, sind kein Thema, gegen Leiharbeit ist nichts geplant, die Niedriglohnpolitik, die zur völlig unzureichenden Lohnentwicklung in Deutschland entscheidend beigetragen haben, bleibt ausgeklammert.
Dass die explodierten Vermögen der oberen zehn Prozent, deren Renditegier hauptverantwortlich für die Finanzkrise ist, keine Beachtung finden, ist ein Skandal. Maßnahmen gegen die Entfesselung der Finanzmärkte sind wie gehabt nur Gegenstand von Sonntagsreden, der Commerzbank wird die Übernahme der maroden Dresdner Bank mit 18 Mrd. Steuergeldern versüsst, ohne dass der Staat sich Einfluss auf die Geschäftspolitik sichert. Im Übrigen sind sich Union und SPD in Einem einig: Deutschland soll aus der Krise gestärkt vorhergehen. Beide vergessen hinzuzufügen: Die Politik auf Kosten der Konkurrenz wird fortgesetzt.
Für DIE LINKE. ist klar: Die Verteilungsfrage, konkreter die Vermögensfrage ist der Kernpunkt. Nur die drastische Bescheidung großer Vermögen beseitigt die Wurzel der Spekulationsblasen und liefert zugleich die Mittel für ein umweltschonendes Zukunfts-Investitionsprogramm in der erforderlichen historischen Größenordnung. Deshalb brauchen wir die Millionärsteuer von fünf Prozent – die allein 80 Mrd. pro Jahr bringen würde -, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 55 bzw. 60 % für zu versteuerndes Einkommen ab 120.000 bzw. 600.000 Euro, die Anhebung der Lohnersatzleistungen und von Hartz IV, ein Verbot der Leiharbeit und die Rücknahme der Rentenkürzungen. Bedingung für den Erfolg dieser Eingriffe ist die straffe staatliche Regulierung der Finanzgeschäfte ebenso wie die Übertragung von Eigentumsrechten der Banken an die öffentliche Hand (Kommunen, Länder, Bund) und Belegschaften.
Es hilft nichts: Die drohende zweite Große Depression muss mit - einem dieses Mal ökologisch gefärbten - zweiten New Deal bekämpft werden. Auch wenn die Lage nicht vergleichbar ist, weil die ökonomischen Strukturen heute ganz andere sind und die ökologische Frage seinerzeit kein Thema war: Die USA haben es vor fast 80 Jahren mit Roosevelts New Deal vorgemacht. Von diesem Niveau der Analyse ist die Bundesregierung Lichtjahre entfernt.