Weltsozialforum in Belém: Aufruf zur Offensive
Mit scharfer Kapitalismuskritik sind fünf linke lateinamerikanische Staatschefs auf dem Weltsozialforum der Globalisierungskritiker im brasilianischen Belém begeistert gefeiert worden. Mit Blick auf die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise riefen die Präsidenten von Brasilien, Venezuela, Ecuador, Bolivien und Paraguay die Linke am Donnerstag zu einer politischen Offensive auf.
Auf einer Kundgebung mit rund 10000 Teilnehmern machte der venezolanische Präsident Hugo Chávez den globalen Kapitalismus für die Krise verantwortlich, die in Lateinamerika zunehmend wirtschaftliches Elend, Armut und Arbeitslosigkeit zur Folge habe. Der neue US-Präsident Barack Obama könne für Veränderung sorgen, hoffte Chávez, fügte aber hinzu: »Ich mache mir keine Illusionen.«
Obamas Wahlsieg zeige, daß die Linke Fortschritte mache, erklärte der brasilianische Präsident Luis Inacio »Lula« da Silva auf der mehr als sechsstündigen Kundgebung. »Das heißt, daß sich die Dinge ändern. Nicht so schnell, wie wir das wünschen, aber sie ändern sich.« Es könnten keine Präsidenten mehr gewählt werden, die nicht auf die sozialen Bewegungen und auf das Volk hörten. Lateinamerika verändere sich, und hoffentlich ändere sich der Norden genauso, sagte der paraguayische Präsident Fernando Lugo: »Wir haben die Wirtschaftspolitik, die sie als so effizient dargestellt haben, scheitern sehen.«
Bei einer Diskussionsrunde der internationalen Bauernbewegung »Via Campesina« mit vier Präsidenten – »Lula« nahm nicht teil – erklärte Chávez am selben Tag vor 1200 Zuhörern: »Eine neue Welt wird geboren, die Utopie liegt in Südamerika.« Als Wegbereiter der neuen Richtung nannte er Kubas ehemaligen Staatschef Fidel Castro. Dieser habe den Linksruck der vergangenen Jahre in Lateinamerika und das Integrationsprojekt ALBA maßgeblich vorangebracht.
Ecuadors Präsident Rafael Correa meinte auf derselben Veranstaltung, das Ende der Geschlechterdiskriminierung sei ein entscheidender Unterschied des Sozialismus des 21. Jahrhunderts zum traditionellen Vorläufermodell. Chávez unterstrich: »Der wahre Sozialismus ist weiblich.« Laut Correa zielt das neue Herangehen auf die »ethnische Gleichheit« der indigenen und afroamerikanischen Gemeinschaften. Der größte Fehler des klassischen Sozialismus sei das Versäumnis gewesen, das Konzept einer kapitalistisch vorangetriebenen Entwicklung kritisch zu hinterfragen. Er wiederholte seine Forderung, die Erdölförderung im Amazonasgebiet komplett einzustellen. Die Gefahr des Klimawandels mache eine alternative Entwicklung auch zu einem technischen Imperativ.
Die Veränderungen verdankt die Region nach Meinung der vier Präsidenten nicht zuletzt dem Weltsozialforum, der »Versammlung der Menschheit«, das zum ersten Mal 2001 in der südbrasilianischen Stadt Porto Alegre veranstaltet wurde und noch bis zum 1. Februar seine neunte Auflage erfährt. So seien es die Forderungen der sozialen Organisationen gewesen, die den politischen Wandel in Paraguay herbeigeführt hätten, sagte Fernando Lugo, der seit August Präsident seines Landes ist. Sein bolivianischer Amtskollege Evo Morales nutzte die Diskussionsrunde, um die Präsenz US-amerikanischer Militärbasen in der Region zu kritisieren.
Zum Weltsozialforum, das sich als Gegenveranstaltung zum gleichzeitig stattfindenden Weltwirtschaftforum im schweizerischen Davos versteht, kamen in diesem Jahr mit 100000 Besuchern mehr als erwartet.
jW-Bericht