Die Brandstifter und ihre Biedermänner
Friedhelm Hengsbach, Deutschlands bekanntester Sozialethiker, über Schröders verhängnisvollen Kurs, die Glaubenssätze der Banker und Steinbrücks kabarettreife Feuerwehr.
Seit Monaten kommen die Hiobsbotschaften Schlag auf Schlag. Zunächst
waren es einzelne Banken mit gigantischen Verlusten, dann eine
Weltfinanzkrise und mittlerweile eine Weltwirtschaftskrise. Was
passiert hier? Wie ordnen Sie das ein? Eine tiefe, aber normale Krise,
eine Systemkrise oder etwas dazwischen, eine Krise eines bestimmten
Kapitalismusmodells?
Finanzkrisen gehören zum Kapitalismus wie das Wasser zum Meer, könnte
man sagen. Aber das ist nicht ganz korrekt. In den ersten
Nachkriegsjahrzehnten hatten wir eine vergleichsweise stabile
Wirtschafts- und Finanzordnung. Das damals wirksame Gerüst fester
Wechselkurse und kontrollierten Kapitalverkehrs wurde allerdings Anfang
der siebziger Jahre aufgegeben. Danach kam es immer wieder zu
Finanzkrisen. Ich erinnere an die extremen Schwankungen des
DollarKurses, an die große Schuldenkrise der Entwicklungsländer in den
achtziger Jahren, an die Asien-krise 1997 und an den Börsencrash vor
acht, neun Jahren.
Die Krise, die wir jetzt erleben, hat eine Dimension, die vieles bislang Bekannte
in den Schatten stellt. Wer sie verstehen will, sollte allerdings sehr
genau hinschauen. Denn es gibt auch Leute in der Banken- und
Börsenwelt, die im eigenen Interesse dramatisieren und den Staat über
den Tisch ziehen wollen.
Und das gelingt ihnen, weil Merkel und Steinbrück Milliarden
überweisen, ohne Gegenleistungen zu fordern. Keine Offenlegung der
Bücher, keine Kontrolle, keine Mitsprache.
Man muss sich klar vor Augen führen, was das bedeutet. Die
Bundesregierung scheint überfordert, sich authentische Kenntnisse über
die Ursachen der Krise zu verschaffen. Deshalb kann sie auch nicht
zielgerichtet handeln. So bleiben alle im Nebel stehen. Die einzelnen
Banken können ja bestenfalls, wenn überhaupt, ihre eigene Lage
einschätzen. Ein Grund für die Tiefe der Krise besteht darin, dass
niemand den Nebel lichtet. Oder, um das Bild von Finanzminister
Steinbrück aufzugreifen: Wer die Brandherde löschen will, muss genau
wissen, wo sie sind.
Steinbrück glaubt sie zu kennen und pumpt reichlich Löschwasser in
die Hypo Real Estate und die Commerzbank. Und als Rechtfertigung fügt
er hinzu: Man muss löschen, auch wenn es Brandstiftung war.
Ich vermute, dass Minister Steinbrück die wirklichen Brandherde nicht
alle kennt. Er verlässt sich auf die Aussagen der Banken, und die sind
immer von Interessen gefärbt. Ermittlungen gegen die Brandstifter
verschiebt er auf später. Er lässt sie gewähren, und die drehen den
Spieß dann um, schieben die Schuld dem Staat zu. Wie zum Beispiel
Klaus-Peter Müller, der Chef der Commerzbank. Die US-Zentralbank habe
die Leitzinsen zu stark gesenkt und eine Welle von billigen Krediten
geschaffen. Besonders verantwortungslos sei die US-Regierung gewesen.
Brav wird zwischendurch auch mal zugestanden: Wir haben Fehler gemacht,
sicher. Aber die Botschaft, die Herr Müller und seinesgleichen streuen
wollen, lautet: Letztlich war es nicht Marktversagen, sondern
Staatsversagen.
Darin steckt ein Körnchen Wahrheit, wenn man nicht von
Staatsversagen, sondern von Politikversagen spricht. Genauer gesagt:
von der Selbstentmachtung der Politik zugunsten der Geschäftswelt.
Schröder hat das bis zum Exzess praktiziert, nach dem Motto: Euch,
verehrte Bosse, erfülle ich jeden Wunsch, und ihr adelt mich zum großen
Reformkanzler.
In der Tat ist das regierende Personal nicht die Lösung des Problems,
sondern ein Teil der Krise. Schröder hat mit seiner Agenda 2010 die
soziale Entsicherung vorangetrieben. Die Entregelung der
Arbeitsverhältnisse und die Entregelung der Finanzwirtschaft waren zwei
Seiten derselben Medaille. Ob das alles ganz bewusst geschehen ist,
weiß ich nicht. Auf jeden Fall war es höchst fahrlässig. Rot-Grün hat
sich treiben lassen von bürgerlichen Kampagnen gegen den Sozialstaat.
So wurden gesellschaftliche Risiken individualisiert,
zugunsten der Banken und Versicherungen, die die private Vorsorge
kapitalgedeckt organisieren. Schritt für Schritt wurden soziale
Grundrechte in ein privates Tauschverhältnis verwandelt. Und so geht es
dann weiter: Entsolidarisierung, Druck auf die Löhne, sodass sich die
Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet.
War Gerhard Schröder der schlechteste Kanzler der Nachkriegsgeschichte?
Bei solchen Superlativen bin ich vorsichtig. Ich würde eher sagen,
Schröder und andere haben sich an die Wand drängen lassen durch die
Lobbyisten. Es gab damals ja den Sprecher der Deutschen Bank, Herrn
Breuer, der sagte: Die Finanzmärkte sind die fünfte Gewalt in der
Demokratie. Womit er meinte, dass die Aktionäre, die Anleger bestimmen,
wo’s langgeht. Oder zumindest die Regierung bedrängen, eine vernünftige
Politik zu machen. Und vernünftig bedeutet für die Führungseliten der
Wirtschaft: Löhne senken, Lohnnebenkosten senken, Steuern senken. Diese
doktrinären Glaubenssätze haben über Jahrzehnte hinweg einen großen
Teil der Politik, der Medien und der ökonomischen Wissenschaft erobert.
Schauen wir mal in die Zukunft und lassen den Blick schweifen. Sehen Sie am Horizont eine bessere Wirtschaftsordnung?
Ende 2008 habe ich gehofft, dass die Schockwellen zur Besinnung führen.
Dass man eine neue Finanzarchitektur ernsthaft anpackt. Aber der
zaghafte Ansatz von Reformbereitschaft ist fast schon wieder aus der
Öffentlichkeit verschwunden. Und die große soziale Frage ist bei der
Bundesregierung noch gar nicht angekommen. Sie macht jetzt ein
Konjunkturpaket mit
100 Euro pro Kind, mit Anreizen für den Autokauf, mit etwas mehr Geld
für öffentliche Investitionen. So sinnvoll das eine oder andere sein
mag – mit einem wirklichen Zukunftsprogramm hat das Paket wenig zu tun.
Die sozialen Schieflagen im Land werden ebenso wenig beachtet wie die
ökologische Frage.
Es ist ja auch schwer vorstellbar, dass die Wegbereiter des Irrsinns nun zu Gralshütern der Vernunft werden.
Das größte Paradox ist, dass der Staatssekretär des
Bundesfinanzministers, der Herr Asmussen, nun als Held des
Krisenmanagements gefeiert wird. Dieser selbe
Herr Asmussen hat vor zwei Jahren noch die Förderung der innovativen
Finanzprodukte und eine lockere, großzügige Aufsicht verlangt. Solche
Gestalten sollen die Retter sein. Das ist kabarettreif, das ist paradox
und absurd.
Welche Hoffnung bleibt Ihnen angesichts solcher Absurditäten?
Die Gewissheit, dass eine Veränderung zum Besseren nie ausgeschlossen
ist. Zum Beispiel die Bewegung von 2004 und 2005, die
Montagsdemonstrationen. Noch nie ist eine soziale Bewegung so schnell
in die Länderparlamente und in den Bundestag gekommen. Ich denke an
das, was jetzt die linke Partei geworden ist. Ich denke an die Grünen
in ihren früheren Zeiten oder, noch weiter zurück, an die
Arbeiterbewegung oder die Frauenbewegung. Es gibt in solchen
Krisenzeiten stets auch neue Leitbilder, konkrete Utopien. Manches
braucht seine Zeit,
um zu reifen. Vielleicht geht es in diesem Jahr etwas schneller, weil wir mit den
vielen Wahlkämpfen in ein sehr politisches Jahr 2009 gehen.
Wahlkampf, das ist ein gutes Stichwort für eine Frage an den Jesuiten Friedhelm Hengsbach.
Welche Partei würde Jesus Christus am 27. September 2009 wählen?
Sie bringen mich in Verlegenheit.
Das dachte ich mir. Deshalb etwas weniger verfänglich: Welche Wahlprüfsteine würde Jesus nennen?
Erstens die Gerechtigkeit. Also die Frage: Wie geht eine Gesellschaft
mit den am wenigsten Begünstigten um? Zweitens der Wirtschaftsprozess:
Kann er bestehen vor den Augen unserer Kinder und künftiger
Generationen? Drittens das Finanzsystem: Steht die Geldversorgung im
Dienste menschlicher Bedürfnisse, befördert sie ein autonomes Leben in
Freiheit und Solidarität?
Das Gespräch führte Hans Thie