Oskar Lafontaine: Die Sozialisierung von Verlusten ist brutalster Kapitalismus
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss gestehen, dass uns diese Debatte bisher durchaus Vergnügen bereitet, beobachten wir doch mit großem Interesse, wie die einzelnen Fraktionen dieses Thema behandeln.
Ich bin zum ersten Mal in der Situation, dass ich zunächst den Bundesfinanzminister in dem unterstützen muss, was er abweichend von der Begründung des Gesetzentwurfs vorgetragen hat. Es geht hier nicht um die Enteignung irgendwelcher Aktionäre. Das ist absolut absurd und lächerlich. Es geht darum, die Enteignung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler endlich zu stoppen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Die Frage ist, warum das erst jetzt passiert.
Es ist abenteuerlich, was hier vorgetragen wird. Es gibt eine Bank mit ungedeckten Verpflichtungen in Höhe von 100 Milliarden Euro. Der Staat muss mit 83 Milliarden Euro einspringen. Die Banken müssen mit weiteren Milliarden einspringen, um ihre Interessen zu wahren. Hier aber wird bei einem Börsenwert von 260 Millionen Euro von der Enteignung der Aktionärinnen und Aktionäre gesprochen. Man hat doch überhaupt nichts begriffen. Es geht hier um nichts anderes als um den Stopp der ständigen Enteignung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Der zweite Punkt, in dem ich den Bundesminister der Finanzen unterstützen muss, ist, dass er endlich unser Argument aufgegriffen hat, dass es darum geht, günstige Refinanzierungskonditionen durchzusetzen. Das entspricht den Tatsachen, und das wird auch überall erklärt. Rechnen Sie einmal aus, was 0,1 Prozent, 0,5 Prozent oder 1 Prozent von 100 Milliarden Euro sind! 1 Prozent von 100 Milliarden Euro lässt sich leicht ausrechnen. Was ist in den letzten Monaten an zusätzlichen Aufwendungen verplempert worden, die letztendlich zulasten der Staatskasse gehen?
Es bestätigt sich, dass Lösungsansätze, wie sie in Amerika, Großbritannien oder Schweden gewählt worden sind, ökonomisch oder auch einfach nur haushaltspolitisch vernünftig sind. Unsere Aufgabe ist es, die Kosten, die dem Staat entstehen, zu minimieren. Das heißt, wir müssen die Refinanzierungskosten der Hypo Real Estate minimieren.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Der dritte Punkt ist, dass man die Kontrollmehrheit braucht, um das Umleiten von Steuergeldern oder Bankengeldern in Steueroasen, Zweckgesellschaften oder für den Kauf von Schrottpapieren usw. zu verhindern. Das ist doch die Krux der bisherigen Praxis dieser Regierung - damit komme ich zu meinen kritischen Bemerkungen -, dass immer noch nichts geregelt ist. In Deutschland werden aufgrund Ihrer Verantwortung aufseiten der Regierungsbank Milliarden verschleudert, weil Sie nicht sicherstellen, dass nicht mehr außerhalb der Bilanz Geschäfte getätigt werden können und dass Geschäfte nicht mehr über Steueroasen getätigt werden können, und weil Sie weiter zulassen, dass Schrottpapiere gehandelt werden. Das ist unglaublich.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Besonders lustig wurde es, als Herr Kollege Solms an Herrn Chávez erinnert hat. Das ist für uns ein wirklicher Genuss: Angela Merkel, die deutsche Chávez. Das ist wunderbar.
(Heiterkeit bei der LINKEN)
Wir hätten es uns nicht träumen lassen, dass hier mit solchen massiven Argumenten gegen sie vorgegangen wird.
Aber, verehrte Damen und Herren von der FDP, Sie haben kein Verständnis von Sozialismus.
(Heiterkeit im ganzen Hause - Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Bravo!)
- Es ist gut, wenn Sie das einsehen.
Sozialismus ist nicht die Sozialisierung von Verlusten. Haben Sie das immer noch nicht begriffen? Die Sozialisierung von Verlusten ist brutalster Kapitalismus. Das haben Sie einfach nicht begriffen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
- Ihr dürft ruhig klatschen. Das habt ihr ja früher schon alle gewusst.
Die Sozialisierung von Verlusten, die zurzeit in gewaltigem Umfang weltweit stattfindet, ist kein Sozialismus, sondern brutalster Kapitalismus, der sich in millionenfacher Enteignung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern äußert, die ihre Arbeitsplätze verlieren. Da wird Leiharbeitern gekündigt. Da werden befristete Verträge nicht mehr verlängert. Da werden Arbeitsplätze abgebaut. Da wird Kurzarbeit eingeführt. Das bedeutet Einkommensverluste für den betroffenen Arbeitnehmer etwa bei Opel in Höhe von 400 Euro pro Monat. Das ist die eigentliche staatliche Enteignung aufgrund der Verbrechen, die Banker und Finanzverantwortliche in der ganzen Welt begangen haben. Über diese Enteignung reden wir hier.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Die entscheidende Frage ist: Welchen Begriff von Eigentum haben Sie eigentlich? Das ist Ihr Problem. Lachen Sie ruhig weiter. Ich kann nur auf Graf Lambsdorff verweisen, der dazu einen Aufsatz geschrieben hat. Man muss tatsächlich darüber reden, ob seine Überlegungen zur Insolvenz ganz falsch sind. Bei der IKB war ich dieser Meinung. Die IKB war keine systemrelevante Bank. Sie hatte ein Bilanzvolumen, das mit dem der Hypo Real Estate nicht vergleichbar ist. Man hat hier rund 10 Milliarden Euro in den Sand gesetzt, ohne dass das begründet war. Die Bilanzsumme der Hypo Real Estate ist deutlich höher. Man würde aber gerne erfahren, worum es eigentlich im Detail geht. Dazu hört man überhaupt nichts. Man hat überhaupt keine Informationen darüber, welche Risiken vorhanden sind, wie sich das Ganze strukturiert und wer die Verluste tragen müsste. Es wird immer nur Geld nachgeschossen. Sie stehen in der Verpflichtung, die Öffentlichkeit mehr zu informieren. Das ist einer der Gründe, warum wir hier einen Untersuchungsausschuss für dringend geboten halten.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Nun zum Gesetz selber. Dort ist von den Zusammenhängen, die ich hier erläutere, überhaupt nicht die Rede. Dort wird nur von Finanzsystemen, Finanzmärkten, der Stabilisierung des deutschen Finanzmarktes und Begleitmaßnahmen gesprochen. Deswegen bin ich dankbar, dass wenigstens ein Minister gesagt hat: Hier geht es auch um die Menschen. Er hat zwar auf die Steuerzahler abgestellt. Aber ich habe nachgelegt: Es geht um die Arbeitnehmer und sozial Bedürftige sowie die Renterinnen und Rentner. Diese haben in den letzten Jahren 8,5 Prozent Kaufkraft verloren. Drei Redner aus drei verschiedenen Fraktionen haben gesagt - ich mache die Fraktionen dafür nicht verantwortlich; das wäre intellektuell nicht redlich; bei einem Redner bin ich mir sicher, dass er für die ganze Fraktion gesprochen hat -: Die Renterinnen und Rentner müssen letztendlich durch Leistungskürzungen für die Milliardenverluste aufkommen, die diese Ganoven zu verantworten haben. Das ist niemandem vermittelbar. Wir werden dafür Sorge tragen, dass diese Art der Bezahlung nicht stattfindet. Wir dürfen nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Renterinnen und Rentner für die Kapitalverbrechen haften lassen, die hier begangen worden sind.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Für viele Bürgerinnen und Bürger ist nicht mehr nachvollziehbar, dass jetzt die Verantwortlichen auch noch Forderungen aufstellen. Einer will 3,5 Millionen Euro als Bezahlung für ihre großartigen Leistungen haben. Hier stehe die Bank in der Verpflichtung. Er will weiterhin Zusagen für 500 000 Euro Pension pro Jahr haben. Wo ist denn in dieser Gesellschaft noch die Haftung des Einzelnen für die gewaltigen Verluste gegeben, die er zu verantworten hat? Wir leben in einer Gesellschaft, die die Maßstäbe verloren hat, wenn es darum geht, Verantwortlichkeiten zuzuschreiben. Das erkennen immer mehr Bürgerinnen und Bürger und ist der Grund, warum bei uns eine große Unzufriedenheit herrscht.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. h. c. Gerd Andres (SPD) und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, Sie haben vorgetragen, dass die Angelsachsen vorbildlich seien, wenn es um Verstaatlichung gehe. Das ist aufgrund der Zusammenhänge, die ich vorgetragen habe, kein überzeugendes Argument. Das ist überhaupt kein Wunder. Wenn es darum geht, der Gesamtgesellschaft Verluste aufzubürden, dann sind natürlich die Länder, die sich dem Kapitalismus besonders verbunden fühlen, diejenigen, die am schnellsten handeln, weil sie es verstanden haben; das ist der Zusammenhang. Deshalb ist das sozusagen kein Beweis für Ideologiefreiheit oder Pragmatismus. Die Angelsachsen wissen einfach, was sie machen. Sie privatisieren die Gewinne und sozialisieren die Verluste. Es wäre an der Zeit, dass das auch hier so gesehen wird und dass sich auch die FDP langsam solchen Gedanken nähert und sich die Frage stellt, wem in dieser Gesellschaft aus welchen Gründen was gehört. Was ist eigentlich Eigentum? Hat die Verfassungsverpflichtung, nicht zu enteignen, Bedeutung für die große Mehrheit des Volkes und nicht für die Minderheit derjenigen, die Sachgegenstände oder Unternehmenskapital besitzen? Das sind doch die großen Fragen, die jetzt in unserer Gesellschaft aufgeworfen werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Leider ist das Gesetz von dem Geist getragen, wie er teilsweise von der FDP formuliert worden ist.
(Widerspruch des Abg. Dr. Guido Westerwelle (FDP))
Das äußert sich zum Beispiel darin, dass man es ängstlich auf eine Gesellschaft zuschneidet und gleichzeitig die Dauer des entscheidenden Artikels auf den Juni befristet. Das ist durch gar nichts zu rechtfertigen, wenn man längerfristig denkt. Es kann doch sein, dass morgen ein Fall ähnlicher Größenordnung auf uns zukommt. Was wollen wir denn dann machen? Lernen wir denn nicht aus den Vorgängen in Großbritannien oder in den Vereinigten Staaten oder in Schweden?
Wissen wir nicht, dass viele Wissenschaftler sämtlicher ideologischer Prägungen recht haben, wenn sie sagen, dass zurzeit die Übernahme der großen Institute durch den Staat die einfachste, die wirkungsvollste und die billigste Lösung ist? Das ist einfach bewiesen, und deshalb ist dieser Gesetzentwurf in diesem Ansatz völlig überholt und im Grunde genommen reiner Mist, um das einmal deutlich zu sagen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Ich möchte nur noch zu einem Zusammenhang etwas sagen, auch wenn sich jetzt alle darüber aufregen werden. Der Sozialphilosoph Oswald Spengler, den ich hier schon einmal zitiert habe, schrieb in seinem berühmten Standardwerk:
Die privaten Mächte der Wirtschaft wollen freie Bahn für ihre Eroberung großer Vermögen. Keine Gesetzgebung soll ihnen im Wege stehen. Sie wollen die Gesetze machen, in ihrem Interesse, und sie bedienen sich dazu ihres selbstgeschaffenen Werkzeugs, der Demokratie, der bezahlten Partei.
Wir haben hier die Frage aufgeworfen, warum der Untersuchungsausschuss IKB nicht kommt. Das Handelsblatt schrieb: Die FDP kann nicht zustimmen, weil ihre Spender gesagt haben: Wenn ihr zustimmt, dann werden wir sehr ungnädig mit euch sein und euch die Spenden streichen.
Wir haben hier einmal aufgelistet - zehn Jahre saldiert -, was in den letzten Jahren von der Finanzwirtschaft gespendet worden ist: 1,4 Millionen Euro für die SPD, 600 000 Euro für die Grünen, 5,2 Millionen Euro für die CDU, rund 1 Million Euro für die CSU und 2,07 Millionen Euro für die FDP.
(Zurufe von der FDP)
In jedem Gemeinderat, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist ein Paragraph wirksam: der Ausschluss wegen Befangenheit. Dieser Ausschluss wegen Befangenheit soll sicherstellen, dass nicht anderweitige Verpflichtungen und Interessen die Entscheidungen dieses Parlamentes beeinflussen. Das hat einen tiefen Sinn, und deshalb sollten wir aus dieser Bankenkrise lernen, dass man sich nicht nur in Amerika, sondern auch hier von einer Politik lösen muss, die mittelbar durch Finanzzuweisungen aus Industrie und Bankenwelt bestimmt wird. Das ist auch der Zusammenhang, den wir hier zu besprechen haben.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Mit anderen Worten: Einige Begründungen, die Sie, Herr Bundesfinanzminister, hier gebracht haben, sind durchaus akzeptabel, aber sie finden sich im Gesetzestext nicht wieder. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab, weil er den Beweis dafür liefert, dass die Bundesregierung die Zusammenhänge in ihrer Gesamtheit nicht verstanden hat und dass sie nicht bereit ist, jetzt endlich die Kehrtwende in der Politik zu machen, die längst überfällig ist und von dem Gedanken getragen sein müsste, dass es nicht nur um die Enteignung von Flowers geht. Vielmehr geht es auch darum, die Enteignung von Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Rentnerinnen und Rentnern und sozial Bedürftigen zu verhindern.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))