Tsunami auch am Wasserhahn
Cross Border Leasing
Finanzkrise setzt Kommunen wegen Infrastruktur-Deals unter Druck - Ruf nach Bundeshilfe
Zunächst ist die kommunale Eigenverantwortung gefragt", betont Bernd Scheelen, "das muss in guten wie in schlechten Zeiten gelten." Die Skepsis des Kommunalfachmanns der SPD-Bundestagsfraktion richtet sich gegen Pläne, über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) letztlich Bundesgeld zur Rettung windiger Übersee-Deals deutscher Rathäuser mit ihrer Infrastruktur einzusetzen - Transaktionen, die einst profitabel waren, nun aber unter dem Druck der Finanzkrise ins Trudeln geraten. Erst wenn es hier und da beim "Cross Border Leasing" (CBL) richtig schlimm werde, solle man KfW-Bürgschaften erwägen. Scheelen ist zufrieden, dass sich auch auf seinen Einfluss hin seine Heimatstadt Krefeld auf CBL-Abenteuer gar nicht erst einließ.
Sache der LänderPeter Götz, der bei CBL "von Anfang an reserviert war", weist darauf hin, dass derartige Engagements eigentlich nicht zum Konzept der Staatsbank gehören, in Einzelfällen solle man aber ein Einspringen der KfW prüfen, "schließlich gibt es keine Regel ohne Ausnahme". Wie Scheelen unterstreicht der kommunalpolitische Sprecher der Unionsfraktion jedoch, dass bei CBL-Problemen "zuerst die jeweiligen Länder gefragt sind". Götz: "Derzeit rufen alle nach dem Bund." Axel Troost hebt hervor, dass die Linkspartei "schon immer vor solch spekulativen Deals gewarnt hat". Nun komme man jedoch nicht darum herum, so der Finanzexperte seiner Fraktion, nach Lösungen zu suchen und "im Einzelfall nach genauer Analyse im Detail auch KfW-Garantien in Betracht zu ziehen". Allerdings fordert Troost, dem Bund dann auch Mitspracherechte einzuräumen.
Mit Hilfeersuchen mehrerer - namentlich nicht bekannter - Kommunen bei der KfW hat das CBL-Desaster die Bundespolitik erreicht. Beim bislang spektakulärsten Fiasko benötigen in Baden-Württemberg die Landeswasserversorgung und die Bodenseewasserversorgung kein Bundesgeld. Die Zweckverbände verhandeln momentan mit ihrem US-Investor die Auflösung der Verträge über Veräußerung und Rückmietung ihrer Infrastruktur. Indes hat der Ausstieg einen Preis: Die beiden Gesellschaften dürften zusammen einen Verlust von vermutlich mehr als 20 Millionen Euro einfahren, den sieben Millionen Verbraucher über höhere Wasserpreise mitfinanzieren müssen. Das schwäbische Debakel illustriert, wie riskant CBL-Geschäfte sind. Niemand habe sich vorstellen können, so Stuttgarts CDU-Oberbürgermeister Wolfgang Schuster als Vorsitzender der Zweckverbände, "dass uns wenige Jahre später ein solcher Finanz-Tsunami trifft".
Oft verleitete Finanznot die Bürgermeister zu dem CBL-Trick, der seit 2004 in den USA verbotenen ist. Ob Berlin Messehallen sowie U-Bahn- und Straßenbahnwagen verkauft und dann zurückmietet, ob Köln, Wuppertal, Bochum oder Recklinghausen die Kanalisation, ob Stuttgart und Ulm Klärwerke, ob in Böblingen ein Müllheizkraftwerk oder die Straßenbahn in Dresden: Götz bestätigt Schätzungen, wonach etwa 140 CBL-Geschäfte mit einem Gesamtvolumen zwischen 60 und 80 Milliarden Euro getätigt worden sein dürften.
Umfangreiche VerträgeDie Crux ist das Finanzierungsmodell mit umfangreichen Verträgen auf Englisch. An US-Investoren wie etwa Banken übertragen hiesige Kommunen Infrastruktur, die im Fall der Wasserversorger im Südwesten 1,5 Milliarden Euro wert war. Solche Kosten konnten die US-Gesellschaften zu Hause steuermindernd geltend machen, die Vertragspartner teilten sich diesen "Gewinn." Da fiel einiges ab: Die Berliner Verkehrsbetriebe kassierten fast 70 Millionen Euro, die Wasserversorger im Südwesten strichen über 60 Millionen ein, Bochum verbuchte 20 Millionen.
Die deutsche Seite als neuer "Untermieter" der Infrastruktur verpflichtete sich, im Rahmen von jahrzehntelang laufenden Verträgen den Kaufpreis zu erstatten - samt späterem Rückkaufrecht. Für die Rückzahlung der meist in Fonds gesammelten Gelder bürgen Banken oder Versicherungen, meist aus den USA. Wegen der Finanzkrise wird aber die Bonität so manchen Treuhänders herabgestuft. Dies trifft mit voller Wucht den US-Finanzkonzern AIG, der bei zahlreichen CBL-Deals als Gewährsträger agierte und 2008 einen Verlust von 100 Milliarden Doller einfuhr. Vor allem der AIG-Absturz lässt die Alarmglocken schrillen: Rutscht die Bonität der Treuhänder ab, müssen die deutschen Partner neue Bürgschaften auftreiben - und das wird teuer.
Ende des AbenteuersAm liebsten würden viele CBL-Jongleure ihre Verträge kündigen. Den schwäbischen Wasserversorgern könnte dies gelingen. Zwar will die US-Großbank First Union als Investor dafür Geld sehen, und diese Kosten dürften den einstigen CBL-Gewinn um gut 20 Millionen übersteigen - doch über ein Ende des Abenteuers wäre man heilfroh. Wie die Wasserversorger hat auch ein kommunaler Zweckverband, der in Böblingen ein Müllheizkraftwerk über CBL verleast hat, auf AIG als Treuhänder gebaut. Der erhoffte Ausstieg aus dem Geschäft scheitert jedoch an der Weigerung des Investors: Deshalb will man jetzt als AIG-Ersatz für bis zu acht Millionen Euro US-Staatspapiere kaufen. Immerhin könnten nach jetzigem Stand gut zwei Millionen Euro vom CBL-Gewinn übrig bleiben.
Die Berliner Verkehrsbetriebe haben wegen CBL über 150 Millionen Euro als Risikovorsorge in die Bilanz eingestellt - für den schlimmsten Fall. Und neuerdings haben einige Kommunen bei der KfW nachgesucht, Garantien für ihre CBL-Deals zu übernehmen. Die Anträge werden nun geprüft. Auch das Finanzministerium schließt KfW-Bürgschaften nicht grundsätzlich aus, sieht aber zunächst die Länder in der Pflicht, ihren Städten zu helfen. Eine heikle Frage: Bleiben die Kommunen Eigentümer ihrer Infrastruktur? Stuttgart machte eine bemerkenswerte Erfahrung: Aus der Absicht, über das Gelände eines CBL-Klärwerks eine Brücke zu bauen, wurde nichts - der Investor lehnte ab.
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© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2009.