Lothar Bisky: EU braucht andere finanz- und wirtschaftspolitische Orientierungen
Lothar Bisky, für DIE LINKE Mitglied im Europaausschuss des Bundestages, über das Verhältnis der LINKEN zur Europäischen Union, Lehren aus der Krise für die weitere EU-Entwicklung und seine Vorhaben als künftiger Europaparlamentarier
Sie wollen demnächst vom Bundestag ins EU-Parlament wechseln. Warum reizt Sie die Arbeit im "Raumschiff Europa" mehr als die konkrete Arbeit in Berlin?
Im "Raumschiff Europa" treffen Astronauten auch auf Kosmonauten, auf andere politische Kulturen und Sichten auf unseren Kontinent. Damit entsteht automatisch ein Perspektivwechsel - auch auf die herrschende deutsche Politik, die sich so gern als Opfer der Globalisierung darstellt und in Wirklichkeit ein Motor für Rentenkürzungen, Billiglöhne und neoliberale Politik europaweit ist. Insofern packe ich die konkrete Arbeit in Berlin in ihrer europäischen Dimension. Politik für ein soziales und friedliches Europa, für eine demokratische EU mit ökologischer Vernunft spürt man auch vor Ort.
DIE LINKE wird häufig als europafeindlich beschrieben. Das sehen Sie sicherlich anders, sonst würden Sie nicht kandidieren. Wie definieren Sie Ihr Verhältnis zur EU?
„Raus aus der EU" ist politische Unvernunft. Solche Haltungen verkennen die Potenziale der europäischen Integration. In der Europäischen Union Politik machen, heißt zugleich ausgesprochen kritisch gegenüber der herrschenden EU-Politik zu sein, solange das Soziale hinter die Freiheiten des Marktes verbannt wird und unkontrollierbare Aufrüstung zu Vertragsgrundlage werden soll. Jetzt - mitten im Wahlkampf - vermisst selbst die SPD eine soziale Fortschrittsklausel im Lissabon-Vertrag und will ihn nachbessern. Die gleiche Kritik, von der LINKEN ausgesprochen, tituliert man mit Europafeindlichkeit. Das ist schon absurd und irrational. Es wird eigentlich nur noch von der plötzlichen Amnesie getoppt, die die SPD dann regelmäßig nach den Wahlkämpfen befällt, wenn es darum geht, die soziale Fortschrittsklausel in die vertraglichen Grundlagen der EU zu bekommen.
Der Eindruck, dass DIE LINKE ihre Schwierigkeiten mit der EU hat, ist ja nicht zuletzt wegen der Ablehnung des Vertrags von Lissabon entstanden. Warum überwiegen aus Ihrer Perspektive die Nachteile des Vertrags?
Was der Vertrag von Nizza noch untersagt - ein hochgerüstetes Kerneuropa der wirtschaftlich Mächtigen - das soll jetzt mit Lissabon endgültig auch vertraglich geebnet werden. Das halte ich für grundfalsch. Das Gebot der Stunde heißt nicht Aufrüstung, sondern Abrüstung. Jetzt, da endlich auch osteuropäische Staaten in die Integrationsbemühungen eingebunden sind, kann die EU nicht ernstlich die "Verbesserung militärischer Fähigkeiten" einiger einfordern. Diese Politik ist nicht nur das falsche Signal, sie gefährdet die Chancen der Integration - auch viele Chancen, die mit Vertragsverbesserungen durch Lissabon verbunden wären, wie mehr demokratische Rechte des Europaparlaments, denn die Aufrüstungsgebote stehen beispielsweise außerhalb jeder parlamentarischen Kontrolle.
Sie waren jetzt knapp vier Jahre Mitglied des Bundestages: Welche Forderungen der Fraktion DIE LINKE im Bundestag sehen Sie auch in einem europäischen Zusammenhang?
Der gesetzliche Mindestlohn muss in allen EU-Mitgliedsstaaten durchgesetzt werden. Also braucht man europäische Weichenstellungen, denen sich kein Nationalstaat verweigern kann, wenn es um bessere soziale Mindeststandards geht. Die EU braucht andere finanz- und wirtschaftspolitische Orientierungen: Beschäftigung, soziale und ökologische Kriterien sind die Wachstumspotentiale von Morgen. Wohin eine radikale Wettbewerbsorientierung führt, die sich nur noch an Vierteljahresumsätzen und Renditeerwartungen misst, erleben wir gerade. Damit bleibt von der Energiesicherheit von Morgen bis zur guten Bildung für alle, von der Grundlagenforschung über Gesundheitsvorsorge bis zum Kulturaustausch alles auf der Strecke.
Dieser blinde Marktradikalismus untergräbt die demokratischen Grundlagen unserer Gesellschaften und frisst die Substanz des sozialen Zusammenhalts Stück für Stück auf. Darunter leiden am Ende viele gute regionale Entwicklungen die mit EU-Mitteln selbst mitfinanziert wurden. DIE LINKE macht vor Ort dieselbe Politik wie in ganz Europa: konsequent sozial! Deshalb ist eine Stimme für DIE LINKE am 7. Juni genauso wichtig, wie am 27. September.
Welche Themen und Projekte haben Sie sich für Ihre Tätigkeit als Europaparlamentarier vorgenommen?
Was wir in Deutschland tun müssen, um ein gebührenfinanziertes öffentlich-rechtliches Fernsehen wieder akzeptabel und kulturell wertvoll zu machen, dass können wir bis ins Detail aufzählen und uns dafür einsetzen. Doch zugleich wird über die Medien von Morgen auch in der EU entschieden. Mein Bedarf an einem Telekom-TV oder einem Personenschutz alias Google ist ziemlich klein. Dafür könnte der europäische Film weiter wachsen. Das wären meine ganz persönliche Ideen, die für mich ein Teil eines solidarischen Europas der kulturellen Vielfalt ausmacht. Deshalb setze ich mich natürlich - gemeinsam mit meinen anderen Kolleginnen und Kollegen - dafür ein, dass Armutsbekämpfung in der EU und weltweit politisch ganz oben steht. Das ist echte Krisenbekämpfung. Wenn wir die Arbeit in einer starken linken Fraktion gut aufteilen, dann ist das Europa der Bürgerinnen und Bürger - für Junge und Alte, für abhängig Beschäftigte, für Migrantinnen und Migranten, für viele Menschen - eine gute Erfahrung, für die es lohnt, sich politisch einzumischen.
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