Am Roulettetisch wird wieder gespielt
Deregulierung führt in die Katastrophe
Jetzt müssen die Finanzmärkte gebändigt werden, sagt Rudolf Hickel, Wirtschaftsprofessor an der Universität Bremen. Der Crash hat nicht erst mit der Lehman-Pleite begonnen, sondern sich lange davor abgezeichnet.
Ist das Finanzmarkt-Casino wieder geöffnet?
RUDOLF HICKEL: Das Investmentbanking gewinnt wieder an Bedeutung, das Casino ist wieder geöffnet. Die Spieler, die durch Bankenzusammenbrüche allerdings weniger geworden sind, stehen noch etwas unter Schock. Die Gier jedoch treibt sie, ohne große Kontrolle durch neue Türsteher, an den Roulettetisch zurück.
Also nichts gelernt aus dem Crash?
HICKEL: Die Politik, vor allem die G-20-Gruppe, hat durchaus Bewusstsein dafür entwickelt, dass internationale Regulierungen des Finanzsektors nötig sind. Dagegen nutzen die Banken mit ihren Investmentaktivitäten die Zeit ohne neue Spielregeln schon wieder aggressiv aus. Jetzt müssen schnell Regulierungen geschaffen werden. Das Zeitfenster dafür ist klein.
Wieviel Geld ist durch den Crash vernichtet worden?
HICKEL: Eine Studie der Commerbank geht von 10,5 Billionen Euro weltweit aus - das sind 10 500 000 000 000 Euro. Darin sind die Kosten der durch den Finanzmarktcrash ausgelösten Wirtschaftskrise berücksichtigt. Der Bestand an toxischen Produkten bei deutschen Banken wird noch auf 300 Milliarden Euro geschätzt.
Kommt die Finanzwirtschaft angemessen für ihre Schäden auf?
HICKEL: Als erste Reaktion mussten die Staaten weltweit mit Rettungsfonds einspringen. Die nutznießenden Banken haben bislang kaum etwas für die Rettungsaktionen bezahlt. Das gesamte Risiko liegt letztendlich beim Staat, und das sind die Steuerzahler. Die durch die privatwirtschaftliche Gewinnorgie ausgelösten Krisenkosten drohen verstaatlicht zu werden.
Was ärgert sie am meisten?
HICKEL: Die radikale Deregulierungspolitik auf den Finanzmärkten nach dem Motto: Je mehr man diese befreit, umso mehr tragen sie zum ökonomischen Wohlstand bei. Das Gegenteil trifft zu. Entfesselte Finanzmärkte zerstören sich selbst, aber auch die Produktionswirtschaft außerhalb der Finanzwelt.
War das Fallenlassen von Lehman Ursache für den Zusammenbruch?
HICKEL: Nein, diese Schuldzuweisung bezeichne ich als die Lehman-Lüge. Die Fehlentwicklung hat schon 1986 begonnen, als Maggie Thatcher in Großbritannien Regulierungen am Finanzplatz London über Nacht aufgehoben hatte. Die Bush-Regierung tat dasselbe. Und auch Deutschland hat sich auf diesen internationalen Deregulierungswahn eingelassen - vor allem die rot-grüne Bundesregierung 2002 und 2003, die etwa Hedgefonds und die undurchschaubare Mehrfachverpackung von Krediten zu Wertpapieren zugelassen hat.
Was hat die Politik im Jahre eins nach Lehman unternommen?
HICKEL: Recht wenig. In Deutschland gibt es eine rege Diskussion. Die hoch riskanten Hedgefonds aber sind weiterhin nicht begrenzt.
Wie sieht es mit Managergehältern und Boni aus?
HICKEL: Auch da gibt es noch keine Lösung, obwohl Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy diese ökonomisch schädlichen und gesellschaftlich spaltenden Beträge drosseln wollen.
Was müsste getan werden?
HICKEL: Bei den Managergehältern und den Boni ist mir eines wichtig: Diese spiegeln völlig überzogene Spekulationsgewinne wider. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman verlangt: Making banking boring - macht Bankgeschäfte langweilig. Künftige Regulierung muss darauf abzielen, abenteuerliche Geschäfte zu reduzieren und die Banken auf ihre eigentliche Aufgabe zurückzuführen, die Wirtschaft zu unterstützen. Dann sinkt auch das Steigerungspotenzial für die Managergehälter und die Boni. Die Deutsche Bank etwa müsste mit zwei Eingängen ausgestattet sein: einem zur Bank und einem ins Spekulationscasino - mit deutlich sichtbarer Trennung für die Kunden.
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