Milliardenschwere Verhaltensstarre
Die entscheidende Frage für eine Bundesregierung ist, ob sie für die aktuellen finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme unseres Landes vernünftige Lösungen anbieten kann. Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble haben in dieser Woche die Möglichkeit, im Rahmen der Haushaltsberatungen dazu Vorschläge zu unterbreiten.
Die Bundesrepublik hat im vergangenen Jahr die schlimmste Finanz- und Wirtschaftskrise in ihrer Geschichte erlebt. Das Wirtschaftswachstum ist dramatisch eingebrochen - um fünf Prozent. Das Defizit von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen erhöhte sich auf 77, 2 Milliarden Euro. Allein in diesem Jahr muss der Bund 100 Milliarden Euro neue Kredite aufnehmen, um Banken zu retten und die Kranken- und Arbeitslosenversicherung zu stabilisieren. Die Bundesländer und Kommunen stehen vor bespiellosen Problemen. Schwimmbäder und Theater werden geschlossen. Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Das ist Ergebnis neoliberaler Politik der letzten zwanzig Jahre.
Diese bedrohliche Situation nehmen die Regierungsparteien aber nicht zur Kenntnis und führen lieber einen irrationalen Streit über weitere Steuersenkungen. Die Steuersenkungen, die zum 1. Januar 2010 in Kraft getreten sind, entlasten Unternehmen, Großerben und Besserverdienende. Die Erhöhung des Kindergeldes fällt für Kinder aus ALG-II-Familien ganz aus. Spitzenverdiener bekommen doppelt soviel Kindergeld wie Geringverdiener. Ökonomen sind sich einig, dass diese Steuersenkungen keine nachhaltigen Auswirkungen auf die Konjunktur haben werden. Doch darum ging es der Regierung auch gar nicht. Es ist die Umsetzung von Wahlversprechen für das CDU/CSU- und FDP-Klientel. Deshalb nenne ich dieses Gesetz auch nicht Wirtschafts-, sondern Umverteilungsbeschleunigungsgesetz.
Die Kanzlerin befindet sich in einer Verhaltensstarre. Sie hat bisher - wie Helmut Kohl – alle Probleme immer ausgesessen. Diese Strategie ist nun mehr als verbraucht. Frau Merkel will die Krise noch bis zur NRW-Wahl im Mai aussitzen. Doch die Zeit haben wir nicht. Jeder verlorene Tag kostet Millionen Euro Steuergelder und gefährdet tausende Arbeitsplätze. Wir müssen jetzt handeln. Die Kanzlerin muss die Interessen des Landes über Parteiinteressen stellen. Sie muss jetzt die Steuersenkungsdiskussion in ihrer Koalition beenden und den Menschen in dieser Woche sagen, wie sie die dramatischen finanziellen und wirtschaftlichen Probleme lösen will. Ich fürchte, sie wird den Bürgerinnen und Bürgern nicht die Wahrheit sagen. Wenn sie es doch täte, dann müsste sie zugeben, dass sie die Wählerinnen und Wähler vor der Wahl angelogen hat. Nimmt man sich den Koalitionsvertrag mit all seinen Wahlgeschenken vor und schaut sich gleichzeitig die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen an, dann erkennt man sofort, dass Wunschdenken und Realität nicht in Deckung gebracht werden können. Der Koalitionsvertrag ist schon jetzt Makulatur.
DIE LINKE wird ihre Vorschläge in die Beratungen über den Haushalt einbringen. Wichtigster Punkt ist für uns, dass endlich die zur Kasse gebeten werden, die die Finanz- und Wirtschaftskrise verursacht haben. Selbst Herr Rüttgers (CDU) teilt jetzt unsere Auffassung, dass wir eine internationale Finanztransaktionssteuer brauchen. Schon jetzt könnte die Bundesregierung ohne internationale Absprachen eine Börsenumsatzsteuer durchsetzen. Die Bundesregierung hat es versäumt, den deutschen Finanzmarkt an die Leine zu nehmen. Es wird schon wieder gezockt.
Wir werden in dieser Woche viele besorgte Gesichter im Bundestag erleben. Die Kanzlerin wird - wie immer - für alle Vorschläge verbal aufgeschlossen sein und gleichzeitig ihre Verhaltensstarre nicht aufgeben. Darum braucht Deutschland eine starke Linke im Bund und in den Ländern, um diese Verhaltensstarre endlich aufzubrechen.
Gesine Lötzsch, stellvertretende Vorsitzende und haushaltpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE
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