Defizit mit System
Leere Gemeindekassen
Fast 15 Milliarden Euro werden die Kommunen in diesem Jahr weniger ausgeben, als sie einnehmen – so die Prognose des Deutschen Städtetags. Das ist gut doppelt soviel wie im vergangenen Jahr. Einerseits brachen im Krisenjahr 2009 die Einnahmen weg: Allein bei der Gewerbesteuer – immer noch die wichtigste eigene Einkunftsquelle der Gemeinden – ging das Aufkommen um mehr als sechs Milliarden zurück. Auf der anderen Seite ließ die Krise die Sozialausgaben in die Höhe schnellen. Kurzarbeit rettete die eher gut organisierten Kernbelegschaften der Industrie über die Durststrecke hinweg. Ein paar hundertausend Leiharbeiter und sonstige prekär Beschäftigte können von solchen Errungenschaften deutscher Sozialpartnerschaft nur träumen. Sie gingen als erste. Und weil sie immer als erste gehen und selten lange bleiben, kennen sie auch kein richtiges Arbeitslosengeld mehr, sondern landen gleich bei Hartz IV. Was wiederum bei den Städten und Gemeinden zu Buche schlägt, die mit den Unterkunftskosten den größeren Teil der »Grundsicherung für Arbeitssuchende« übernehmen.
Folgt man der am Mittwoch verbreiteten Analyse von Städtetags-Präsident Stephan Articus, sind die Kommunen klamm, weil ihnen die Armen die Haare vom Kopf fressen. Schaut man genauer hin, relativiert sich das allerdings. Tatsächlich stiegen die Sozialkosten der Kommunen 2009 – dem Jahr der heftigsten Wirtschaftskrise seit 1929 – um nicht ganz 1,9 Milliarden Euro. Das entspricht nur wenig mehr als einem Prozent der gesamten Gemeindeausgaben in der Bundesrepublik. Zur Erinnerung: Der Einnahmeverlust aus den Gewerbesteuerausfällen war dreimal so hoch.
42 Milliarden Euro werden die Kommunen den Schätzungen zufolge im laufenden Jahr für soziale Leistungen ausgeben. Mit anderen Worten: Jeder fünfte Euro aus den Stadt- und Gemeindekassen dient der Armutsbekämpfung. Er kann nicht mehr in Infrastruktur, Kultur, Sport investiert werden. Noch nie waren die Sozialausgaben der Kommunen so hoch wie 2010, betont der Spitzenverband.
Hier freilich täuscht der provinziell verengte Blick des städtischen Kämmerers. Denn Transferleistungen, egal ob sie von einem Büro im Rathaus oder einer Bundesbehörde verwaltet werden, sind gesamtgesellschaftliche Aufwendungen. Massenarmut ist ein Problem von nationalem Rang. Will man die Kosten, die sie verursacht, halbwegs sinnvoll gewichten, muß man sie deshalb in Bezug zum Nationaleinkommen sehen – also der Summe aller Einkünfte, die hierzulande eingestrichen werden. Davon machen die Sozialausgaben der Kommunen heute 1,65 Prozent aus. Das ist ziemlich exakt der Stand von Mitte der 90er Jahre.
Spektakulär ist etwas anderes. Offensichtlich wächst das Nationaleinkommen schneller und schneller, während davon bei den Kommunen vergleichsweise wenig ankommt und gleichzeitig ein immer größerer Teil der Bevölkerung auf staatliche Wohlfahrt angewiesen ist. Das Defizit hat System.
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