Lohn der Arbeit mehren
Kolumne von Rudolf Hickel
Dem DGB sei Dank. Durch seinen Verteilungsbericht 2011 ist mit empirischer Akribie eine Informationslücke geschlossen worden: Die Beschäftigten mussten im letzten Jahrzehnt deutliche Verteilungsverluste hinnehmen. Die Gewinne der Unternehmen sind deutlich gestiegen, der Anteil der Löhne am Volkseinkommen gesunken. Dies lässt sich mit der neoliberalen Mär von der Kompensation durch gestiegene Einkommen aus Vermögen nicht rechtfertigen. Die abhängig Beschäftigten sind auch die Verlierer der voranschreitenden Zugewinne der Superreichen. Die Abhängigkeit vieler von den Arbeitseinkommen hat mangels Einkünfte aus Vermögen zugenommen.
Für diese Verluste im Verteilungskampf zwischen Arbeit und Kapital gibt es viele Gründe. Zusammen mit einer neoliberalen Politik ist es den Unternehmen gelungen, die viel zu hohen Gewinnansprüche durchzusetzen. Jedoch hat die Wirtschaft, anders als versprochen, die Gewinne immer weniger zur Finanzierung von Sachinvestitionen genutzt. Vielmehr sind sie an den Spieltischen des Kasinokapitalismus eingesetzt worden. Als die auch über deutsche Unternehmen gesponserten Finanzmärkte zusammenbrachen, war klar: Beschäftigte, denen Arbeitseinkommen vorenthalten wurde und die die Krise nicht verursacht haben, mussten im ökonomischen Absturz erneute Einkommensverzichte hinnehmen.
Im kommenden Jahr stehen wichtige Tarifverhandlungen an. Die Weichen müssen auf eine dauerhaft expansive Lohnpolitik gestellt werden. Es geht es um eine angemessene Beteiligung der Beschäftigten an der Wertschöpfung. Dadurch muss auch der seit Jahren vor sich hindümpelnde private Konsum gestärkt werden.
Die Tarifabschlüsse leisten dazu einen wichtigen Beitrag. Um die Lohnsumme deutlich zu erhöhen, reichen Lohnzuwächse nicht aus. Der Grund liegt in einer tiefen Spaltung des Arbeitsmarktes. Der Anteil der tariflich regulierten Normal-Beschäftigten ist durch die mittlerweile auf über sieben Millionen gestiegene Zahl an Menschen im Niedriglohnsektor zurückgegangen. Hinzu kommen die gegenüber der Stammbelegschaft schlechter bezahlten Leiharbeiter. Die enorm gewachsene Billiglohn-Ausbeutung ist maßgeblich durch die Hartz IV-Keule vorangetrieben worden. Das dahinterstehende arbeitsmarktpolitische Dogma, jede Arbeit sei besser als Arbeitslosigkeit, war und ist falsch, ja zynisch.
Die Lehren aus dem für die abhängig Beschäftigten verlorenen Jahrzehnt sind eindeutig. Es bleibt dabei, auf Lohnprozente ausgerichtete Tarifpolitik ist zentral. Hinzukommen müssen Maßnahmen zur Stärkung guter Arbeit für alle: gesetzlich gesicherte Mindestlöhne in Arbeitsbereichen, in denen gewerkschaftliche Tarifpolitik nicht machbar ist, rigorose Einschränkung der Leiharbeit und Prinzip der gleichen Bezahlung, Wertsteigerung durch Qualifizierung und Motivation der Beschäftigten sowie - zur Vermeidung künftigen Fachkräftemangels - die Übernahme von Auszubildenden.
Gemessen an der Entlohnung ist der Wert der Arbeit im letzten Jahrzehnt durch den Druck einer neoliberalen Politik abgewertet worden. Nach den Lohnopfern durch die Kurzarbeiter-Regelung in der letzten Krise ist es höchste Zeit für eine expansive und zugleich qualitative Lohnpolitik.
In der wöchentlichen nd-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.
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