Rudolf Hickel im Freitag: Das war kein Befreiungsschlag
Nach dem Brüsseler EU-Gipfel hat sich für die Euro-Staaten eine gestaltende Finanzpolitik erledigt, sagt der Ökonom Rudolf Hickel. Der Euro wird davon nicht sicherer
Der Freitag: Hat sich mit dem Kern der Brüsseler Beschlüsse – Schuldenbremse und Sanktionsautomatismus – staatliche Konjunkturpolitik in der EU ab sofort erledigt?
Rudolf Hickel: Leider hat sich der Streit auf diesem Gipfeltreffen ausschließlich auf die Einführung einer europaweiten Schuldenbremse reduziert. Künftig wird deren Gebrauch einer gestaltenden Finanz- und Konjunkturpolitik ein Ende setzen. Das Unvermögen, ein Gesamtkonzept zur Rettung des Euros vorzulegen, ist unübersehbar und sehr ärgerlich. Weder wurde in Brüssel eine Entscheidung über einen verbindlichen Schuldenschnitt in den Krisenländern noch über die Einführung von Eurobonds getroffen. Es muss doch klar sein, dass eine solche Schuldenbremse erst in der Zukunft wirkt. Auf einen aktuell drohenden Euro-Kollaps hat das keinen Einfluss. Von einem Befreiungsschlag kann demnach keine Rede sein. Die Spekulanten werden sich für diese Peinlichkeit bedanken. Und die elende Diskussion über den Euro gehen munter weiter. Wie soll da das viel beschworene Vertrauen in den Euro zurückgewonnen werden?
Wie bewerten Sie das Ausscheren Großbritanniens?
Für mich ist das eine katastrophale Entwicklung, die statt der Integration die Desintegration in einem Augenblick verstärkt, da die Staaten-Union vor existenziellen Herausforderungen steht. Der Finanzstandort London scheint wieder einmal seine Interessen durchgesetzt zu haben. Das läuft letzten Endes auf die Verhinderung aller Maßnahmen zur Rettung des Euros hinaus. Durch die Hartnäckigkeit des britischen Premierministers wird nun erstmals eine Spaltung zwischen Euroland und Europäischer Union vollzogen. Das birgt große Gefahren für den Erhalt der EU. Offenbar soll der 2009 verstorbene Soziologe und Politiker Ralf Dahrendorf nachträglich mit seiner Prophezeiung Recht bekommen, der Euro werde letzten Endes zu einer Entkoppelung der EU führen.
Erreicht die Vertrauenskrise mit dem Trend zur Desintegration eine neue Dimension?
Das wird nicht ausbleiben und auf die gesamte EU
ausstrahlen. David Cameron hat von Anfang an erklärt, er wäre nur zu Kompromissen bereit, sollte das Vorteile für den Finanzplatz London bringen.
Welche Vorteile waren damit gemeint?
Dass Großbritannien zum Beispiel nicht mehr mit der Erwartung behelligt wird, ein Finanztransaktionssteuer einzuführen, wie das eine Mehrheit der EU-Staaten befürwortet. Man muss natürlich einräumen, dass der britische Regierungschef in einer tragischen Situation ist. Nachdem Großbritannien in den achtziger und neunziger Jahren quasi deindustralisiert wurde, bleibt nur die Finanzindustrie. Weil nicht viel anderes mehr da ist, wird jetzt vehementer denn je auf die Finanzmärkte gesetzt. Womit sich die britische Politik verkalkuliert haben wird. Wenn die nächste Krise kommt, kann ihr auch das nur wenig helfen
Die Wirkung Mittel aus dem Euro-Rettungsschirms EFSF zu hebeln, scheint nur in Maßen möglich zu sein. Heißt dies in der Konsequenz, dass die mit der EFSF verbundenen Bürgschaften noch einmal aufgestockt werden müssen?
Das zeichnet sich ab. Aber leider bleibt vorerst die Unklarheit darüber bestehen, welches Finanzvolumen der Rettungsschirm künftig haben wird. Dabei wissen alle Beteiligten, dass die EFSF mit den vorhandenen Finanzgarantien nicht auskommt. Auch die jetzt beim Gipfel in Brüssel verabredete vorzeitige Inkraftsetzung des dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM, den es nicht erst 2013, sondern nun schon Mitte 2012 geben soll, wird daran nichts ändern.
Hat es seit Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008 je Tage gegeben, in denen die Banken so großzügig beschenkt worden wie jetzt durch die Europäische Zentralbank, denkt man nur an die enorm verbilligten Kredite und die verlängerten Laufzeiten?
Da haben Sie sicher Recht mit diesem Eindruck. Andererseits sind diese Maßnahmen notwendig, weil der Interbanken-Verkehr immer mehr zum Erliegen kommt. Das Misstrauen zwischen den Finanzinstituten ist so groß, dass sie das Geld lieber horten, als über Kredite nachzudenken. Das bekommen zusehends Unternehmen zu spüren, die flüssiges Kapital brauchen wie die Luft zum Atmen. EZB-Präsident Draghi hat schon Recht, wenn er sagt, der Stress auf den Finanzmärkten erinnere ihn an die Situation nach dem Crash der US-Bank Lehman Brothers im September 2008.
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