»Schuldenbremse« für Hapag-Lloyd ausgesetzt? Hoch verschuldetes Hamburg erhöht Anteil
Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Die Hansestadt Hamburg wollte den Verkauf der Traditionsreederei Hapag-Lloyd an ein südostasiatisches Unternehmen im Jahr 2008 verhindern und hat seither mehr als eine Mrd. Euro in den Ausbau des Eigentumsanteils gesteckt. Der jüngste Schritt, die Übernahme eines weiteren Aktienpakets von der TUI durch das Hamburger Konsortium (bestehend aus der Hansestadt, dem Unternehmer Kühne, der HSH-Nordbank, Iduna und der Bank Berenberg).
Das bedeutet eine kreditfinanzierte Erhöhung des städtischen Anteils an der Reederei. Der Stadtstaat ist mit 28 Mrd. Euro hoch verschuldet und laut aktueller Gesetzgebung darauf festgelegt, spätestens im Jahr 2020 ohne Neuverschuldung auszukommen. Das Ziel der Unternehmenspolitik: Drei Viertel der Reederei sind mittlerweile in den Händen von Investoren, die Hapag-Lloyd in der Stadt eigenständig erhalten wollen.
Der Touristik-Konzern TUI wollte sich schon vor dem Ausbruch der Großen Krise 2007 aus dem Reederei-Geschäft zurückziehen, weil die ihn drückende Schuldenlast zu einer Konzentration auf das Kerngeschäft zwingt. Versuche, die Anteile an der Börse unterzubringen oder ansonsten einen finanzkräftigen Käufer für die Anteile zu finden, ließen sich seither nicht realisieren.
TUI griff daher auf das vertraglich mit dem Albert-Ballin-Konsortium vereinbarte Andienungsrecht für 33,3% an Hapag-Lloyd zurück. Dadurch wurde ein Verfahren in Gang gesetzt, um sich mit den Miteignern über den Verkaufspreis zu einigen. Die TUI hat dabei einen guten Preis für die verkauften Anteile herausgeschlagen. Sie wurden zum Buchwert, also ohne Verlust, veräußert.
Dies ist keineswegs selbstverständlich, denn in der weltweiten Containerschifffahrt herrscht seit einem Jahr ein Kampf um Marktanteile. Dadurch fuhren zahlreiche Reeder tief in die roten Zahlen, obwohl der Welthandel zunimmt. Davon ist natürlich auch Hapag Lloyd betroffen. So hat die größte deutsche Linienreederei im vergangenen Jahr wegen des Preisverfalls im Frachtgeschäft einen deutlichen Ergebnisrückgang verzeichnet. Das bereinigte operative Ergebnis (EBIT) betrug nach vorläufigen Zahlen rund 101 Mio. Euro, nach 550 Mio. Euro im Vorjahr. Der Umsatz ging um rund 2% auf 6,1 Mrd. Euro zurück.
Das vergangene Jahr sei von einem »unerwartet aggressiven Preiskampf im Fernost-Verkehr sowie stark gestiegenen Öl- und Bunkerpreisen geprägt«, hieß es. Bis Ende September schrieb das Unternehmen rote Zahlen. Im vierten Quartal konnte Hapag-Lloyd dann den Umsatz- und Gewinnrückgang wegen einer höheren Nachfrage leicht verringern. Die Reederei will am 22. März alle Zahlen veröffentlichen.
Die Operation, den hochverschuldeten Stadtstaat zum Großaktionär eines Weltunternehmens zu machen, hat nicht nur deshalb deutliche Kritik hervorgerufen. Zentral ist der Vorwurf, die Hansestadt sei gar nicht in der Lage, auf dem hoch fragilen Markt der Schiffstransporte ein großes Unternehmen zu steuern und weiterzuentwickeln. Der Sozialdemokrat Olaf Scholz stehe – so kommentiert die FAZ – seinem Vorvorgänger Beust mit seiner ordnungspolitischen Gewissenlosigkeit in nichts nach.
Die politische Opposition in Hamburg zeigt gleichermaßen Distanz. Der Fraktionschef der GAL, Jens Kerstan, gibt den Ton vor: Mit seinem Einstieg bei Hapag-Lloyd 2008 habe der damalige Senat den Verbleib der Traditionsreederei in der Stadt gesichert. »Das war und bleibt richtig«. Und: »Die bisherige Beteiligung der Stadt reicht aber aus, um eine Zerschlagung oder Abwanderung von Hapag- Lloyd aus Hamburg zu verhindern.« Abgesehen davon, dass kein Investor zu sehen sei, habe die Hansestadt mit ihren eigenen 23,6% und den 3,2% der HSH Nordbank eine Sperrminorität, mit der sie eine Verlagerung der Unternehmenszentrale verhindern könne und Hapag-Lloyd weiter an den Hamburger Hafen binde. »Hier werden einem Unternehmen 420 Millionen Euro ohne praktischen Nutzen hinterhergeworfen«, so Kerstan weiter.
Angesichts massiver Kürzungen im städtischen Haushalt, ruft der massive Kapitaleinsatz im Unternehmensbereich zu Recht Kritik hervor. Mit nur 10% der Kaufsumme für die Erhöhung des Unternehmensanteils könnte zum Beispiel »Hamburgs Universität beim Exzellenzwettbewerb ganz vorn mitmischen«. Mit diesem Vergleich verdeutlicht der GAL-Politiker die politischen Alternativen. Der SPD-Senat setze falsche Prioritäten.
Diese Kritik kann man mit dem Hinweis kontern, eine Aufstockung sei faktisch unvermeidlich geworden, weil der schwarz-grüne Senat ein Andienungsrecht vereinbart habe, wenn die TUI keinen anderen Abnehmer findet. Aber die Kritik zielt weiter.
Es geht um drei Argumente:
- Die Anteile seien angesichts des ruinösen Preiskampfes überhöht und Hamburg werde bei einem Weiterverkauf deutliche Preisabschläge und Verluste hinnehmen müsse;
- Auf absehbare Zeit zahle Hapag-Lloyd keine Dividende, womit die Zinskosten von jährlich knapp 15 Mio. Euro für die kreditfinanzierte Aufstockung aus dem Haushalt getragen werden müssen. Faktisch bedeutet dies – trotz »Schuldenbremse« – die Erhöhung der Schuldenquote, die Gefahr von Wertverlusten und die Finanzierung von Zinsen bei gleichzeitigen massiven Kürzungen vieler öffentlicher Leistungen.
- Und letztlich müsse das Unternehmen eine Perspektive haben, die über eine staatliche Bürokratie nicht aufgebaut und durchgesetzt werden könne. Letztlich werden über diese staatliche Intervention die Arbeitsplätze nicht gesichert.
Finanzsenator Peter Tschentscher rechtfertigt die Operation gegen diese Einwände mit der wirtschaftlichen Bedeutung der Hafenwirtschaft – auch für den Hamburger Haushalt – und den durch die TUI aufgemachten Druck. Hätte der Touristik-Konzern seine Anteile an Hapag-LLoyd an Dritte verkauft, »könnte von außen in vielen Entscheidungen Einfluss auf ein Unternehmen genommen werden, das mit seinen Partnern bisher 40% des Containerumschlags im Hamburger Hafen ausmacht. Die hafenabhängige Wirtschaft wiederum führt zu Steuereinnahmen der Stadt von 600 bis 800 Millionen Euro pro Jahr, netto nach Länderfinanzausgleich. Würden wir das zulassen, wäre das bisherige Engagement der Stadt, die seit 2008 schon mehr als 700 Millionen Euro bei Hapag-Lloyd investiert hat, vergeblich gewesen. Das können wir meiner Meinung nach nicht akzeptieren. Außerdem stärken wir Hapag-Lloyd mit unserem Verhandlungsergebnis, weil Verbindlichkeiten von 350 Millionen Euro zu zwei Dritteln in Eigenkapital umgewandelt werden. Das Unternehmen spart so 47 Millionen Euro an Zinsen, die bislang allein TUI zugute kommen.« Allerdings ist mit den bei der TUI bleibenden restlichen 22% an Hapag-Lloyd für die Zukunft neuer Streit programmiert.
Unklar bleibt weiter, wie lange Hamburg seine Anteile behalten will. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) erklärte, die Erhöhung der Beteiligung sei nicht auf Dauer angelegt. Die politische Absicht soll nicht in Zweifel gezogen werden, aber die Rückführung der staatlichen Beteiligung wird auch in den nächsten Jahren schwierig bleiben. So gibt es eine vertraglich fixierte Option, mit der der Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne weitere 5% der Reederei-Anteile Hamburg abnehmen kann. Was mit dem Rest passiert, muss die politische Führung der Stadt angesichts der anhaltenden Krisenkonstellation im Unklaren lassen.
Unterm Strich bleibt eine teure Operation mit Beigeschmack. Die kreditfinanzierte Anteilserhöhung bei Hapag-Lloyd war sicherlich angesichts der Vertragskonstellation und der Bedeutung des Netzwerks maritimer Unternehmen bis hin zum Hamburger Hafen für die Wirtschaft der Stadt alternativlos.
Gleichwohl steht das hohe finanzielle Engagement im augenfälligen Kontrast zum massiven Abbau öffentlicher Leistungen und dem Verzicht auf Investitionen in die marode Infrastruktur der Stadt. Würde der SPD-Senat seinen Übereifer bei der Erfüllung der »Schuldenbremse« ablegen, könnte die aktuell noch immer relativ günstige Haushaltskonstellation für überfällige Investitionen in den Umbau der Hamburger Wirtschaft genutzt werden, die dann auch die Abhängigkeit von der maritimen Wirtschaft mindern.
Es geht also nicht um »ordnungspolitische Gewissenlosigkeit«. Es geht darum, dass die öffentlichen Finanzen nicht auf eine Eigentumslogik festgelegt werden, mit der weder den Beschäftigten größere Beteiligungsrechte eröffnet werden, noch auf mittlere Sicht eine Verbesserung der Beschäftigung und der öffentlichen Leistungen für die BürgerInnen der Hansestadt erreicht wird.
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