Angeklagt: Die Bundesregierung
Die Ministerien haben Akten von Gesprächen Angela Merkels mit der Atomindustrie dem Untersuchungsausschuss Gorleben vorenthalten
Es war noch nie so turbulent wie an diesem Donnerstag. Diesmal stand die Bundesregierung unter Beschuss. Selten war die Empörung unter den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses so groß. Ein Zeuge besaß Akten, die der Untersuchungsausschuss seit Monaten dringend angefordert, aber nie erhalten hat. Darin geht es um weichenstellende Gespräche Angela Merkels mit der Atomwirtschaft. Immer hatten die Ministerien behauptet, man habe dergleichen nicht.
Dr. Matting, ehemaliger Ministerialbeamter aus dem Bundesumweltministerium (BMU), ahnte möglicherweise nicht einmal, welche Brisanz die Akten hatten, die er bei sich trug. Mehrfach hatte der Untersuchungsausschuss zwei Protokolle zu wichtigen Gesprächen angefordert, die um den Jahreswechsel 1996/97 die damalige Bundesumweltministerin Merkel mit den Vorständen der Atomindustrie geführt hatte. Inzwischen lieferte die Energiewirtschaft ihrerseits angefertigte Protokolle dieser Treffen. Nicht so die Bundesregierung. Dass nun ein Zeuge im Besitz eines der gesuchten Behörden-Protokolle war, ist ein Skandal, der seinesgleichen sucht.
Doch damit nicht genug. Danach befragt, wo er, Matting, diese Unterlagen denn herhabe, erklärte dieser auf mehrfaches Drängen, der BMU-Mitarbeiter Walter Kühne habe sie ihm vor etwa 14 Tagen überreicht. Dass ist pikant, denn Kühne, der selbst vor kurzem Zeuge im Untersuchungsausschuss war, wäre dazu gar nicht befugt gewesen. Das hätte ihm und dem Ministerium unbedingt klar sein müssen.
Die Vertreter der Bundesregierung standen folglich mit dem Rücken zur Wand. Sie haben dem Untersuchungsausschuss mindestens ein wichtiges Dokument vorenthalten, das statt dessen in die Hände eines Zeugen gelangt ist. Dass dies nicht gerade eine Vertrauen schaffende Situation ist, kann man sich vorstellen. Niemand weiß, welche Dokumente die Bundesregierung dem Untersuchungsausschuss noch vorenthält. Offenbar soll ja die Bundeskanzlerin geschützt werden.
Auf Nachfrage von Dorothée Menzner, Obfrau der LINKEN im Untersuchungsausschuss, wird klar, dass Walter Kühne aus dem BMU dem Zeugen Matting noch ein weiteres Dokument überreicht hat, das dieser nicht hätte haben dürfen. Es handelt sich um einen Brief Kühnes an die Ausschussvorsitzende Flachsbarth, in dem er sich über seine Behandlung als Zeuge im Januar diesen Jahres empörte. Hintergrund ist eine handschriftliche Notiz, die auch Gegenstand der Befragung Mattings sein sollte. Auf diese Weise hat Walter Kühne den Zeugen Matting in völlig unzulässiger Weise auf seine Befragung vorbereitet. Eine Zeugenvernehmung wird auf diese Weise ad absurdum geführt. Der Zeuge ist damit voreingenommen. Nach weiterer Befragung Mattings stellte sich zudem heraus, dass dieser sich auch mit den bereits befragten Zeugen Schneider und Bloser (beide ehemals BMU) besprochen hatte.
Nach der Aufdeckung dieser Vorfälle mimte anfänglich auch der CDU-Obmann Grindel Empörung. Doch die schlug ziemlich schnell um in eine Verharmlosung der Vorgänge. Grindel ist ein gutes Beispiel für einen typischen Loyalitätskonflikt, den ein Parlamentarier – zumal in einer Funktion im Untersuchungsausschuss - nie haben dürfte. Er versagt mit seiner Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren durch das Bemühen, seinen Parteifreunden aus der Bundesregierung das Leben nicht allzu schwer zu machen. Das ist ein durchschaubares und schäbiges Verhalten, das nie offensichtlicher war als an diesem Donnerstag. Als ernsthafter Ermittler im Untersuchungsausschuss hat Reinhard Grindel nie brilliert, aber diese Unverfrorenheit zu decken, macht ihn vollständig zum Büttel der Bundesregierung. Kontrolle von Regierungshandeln kann nur schwer gelingen, solange die Mehrheit im Untersuchungsausschuss ihre Macht benutzt, um die Dinge zu verklären.
Es ist dies eine beispiellose Missachtung des Parlaments und zumal eines Untersuchungsausschusses, die sich hier zugetragen hat. Die Vertreter der Bundesregierung geben sich ahnungslos, sind sichtlich betroffen, scheinen aber noch nicht einmal die gesetzlichen Grundlagen zu respektieren. Es wird dies nicht folgenlos bleiben. Für den kommenden Donnerstag wird nun außerplanmäßig der Zeuge Kühne erneut geladen.
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