Rentenbeitragssenkung: Ein vergiftetes Wahlkampfgeschenk
Von Annelie Buntenbach, DGB-Bundesvorstandsmitglied
Die Senkung des Rentenbeitragssatzes ab Januar 2013 wird die ArbeitnehmerInnen nur scheinbar entlasten. Tatsächlich verbirgt sich hinter der geringen Entlastung von heute eine kräftige Belastung der RentenbeitragszahlerInnen von morgen. Wenn das Rentenniveau sinkt, müssen die Beschäftigten die Verluste durch noch mehr private Vorsorge auszugleichen versuchen. Und wenn die Rücklagen der Rentenversicherung geschmolzen sind, sind kräftige Beitragserhöhungen schon ab 2018 vorprogrammiert.
Die Bundesregierung hat beschlossen, dass der Rentenbeitrag zum 1. Januar 2013 von 19,6 Prozent auf 18,9 Prozent sinkt. Beschäftigte in Westdeutschland mit einem Durchschnittseinkommen von 2.700 Euro (Bezugsgröße Rentenversicherung) müssen dadurch 9,45 Euro pro Monat weniger Beitrag in die Rentenversicherung einzahlen. Im Osten (2.300 Euro) sind es im Schnitt 8 Euro weniger. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden aber effektiv gar nicht entlastet, weil das Rentenniveau (aktuell: 49,6 Prozent) weiter sinkt und die Beschäftigten zusätzlich vorsorgen müssen, um die Verluste halbwegs ausgleichen zu können. Sollte das Rentenniveau auf 43 Prozent sinken, müssten Durchschnittsverdienende in heutigen Werten Einbußen von 150 Euro im Monat hinnehmen. Die Entlastung beim Beitragssatz steht also in keinem Verhältnis zu den Einbußen durch das sinkende Rentenniveau.
Die scheinbare Entlastung beim Beitrag ist auch nur vorübergehend. Durch die Beitragssatzsenkung wird die Nachhaltigkeitsrücklage der Rentenversicherungin den nächsten Jahren drastisch abgeschmolzen. Die Rücklagen sinken – bei einer günstigen Wirtschaftsentwicklung – von 26,6 Milliarden Euro im Jahr 2013 bis zum Jahr 2019 auf 5,5 Milliarden Euro (Mindestrücklage). Bei einer problematischen Beschäftigungsentwicklung würde die Rücklage bereits innerhalb von vier Jahren auf das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß absinken.
Das bedeutet, dass ungefähr ab dem Jahr 2018 Beitragserhöhungen erforderlich sein werden, um die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung zu sichern. Nach den Schätzungen der Bundesregierung soll der Beitrag im Jahr 2019 auf 19,3 Prozent und im Jahr 2020 auf 19,7 Prozent steigen. Die Belastungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steigen dann innerhalb eines Jahres bei einem Durchschnittseinkommen (West) um 10,80 Euro, in Ostdeutschland im Schnitt um 9,20 Euro. Es ist also schon heute absehbar, dass die scheinbare Entlastung nicht lange anhält.
Der entscheidende Negativ-Effekt der Beitragssatzsenkung 2013 ist, dass die Rentenversicherung trotz der späteren permanenten Beitragserhöhungen keine Rücklage mehr bilden kann. Die Nachhaltigkeitsrücklage bleibt lediglich auf dem Mindestniveau von 0,2 Monatsausgaben. Die notwendige Verbesserung der Rentenleistungen wie die Stabilisierung des Rentenniveaus ist damit ebenfalls nicht mehr möglich. Im Gegenteil: Das Rentenniveau soll bis zum Jahr 2030 bis auf 43 Prozent sinken.
Um die Folgen des sinkenden Rentenniveaus bis auf 43 Prozent halbwegs ausgleichen zu können, sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mindestens vier Prozent des Einkommens für die zusätzliche Altersvorsorge aufwenden. Beschäftigte in Westdeutschland mit einem Durchschnittseinkommen von 2.700 Euro (Bezugsgröße Rentenversicherung) müssten 95 Euro aufwenden, Durchschnittsverdienende in Ostdeutschland 79 Euro. Trotz staatlicher Förderung liegt die Belastung ungleich höher als die – ohnehin nur vorrübergehende – Entlastung beim Beitragssatz.
Was würde ein Rentenniveau von 43 Prozent bedeuten?Würde das abgesenkte Rentenniveau von 43 Prozent heute schon gelten, würde der ‚Eckrentner’ (mit 45 Beitragsjahren und dem durchschnittlichen Entgelt von zurzeit ca. 2.700 Euro) statt ca. 1.263 Euro nur noch ca. 1.095 Euro erhalten. Ein Minus von 168 Euro im Monat.
Durchschnittsverdienende müssten dabei mindestens 33 Jahre ununterbrochen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein, um eine Rente in der Höhe der Grundsicherung im Alter zu bekommen. Beschäftigte mit einem Einkommen mit 2.000 Euro würden mehr als 43 Jahre arbeiten müssen, um eine höhere Rente zu bekommen als ein/e Grundsicherungsbezieher/in.
Der ‚Eckrentner’ wird jedoch immer mehr zum Auslaufmodell. Das Normalarbeitsverhältnis liegt nur bei 66 Prozent. Fast die Hälfte der Frauen ist atypisch beschäftigt, und 70 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor sind Frauen. Dabei ist die Zahl der Beschäftigten im Niedriglohnsektor insgesamt von 16 auf 22 Prozent gestiegen. Unter den 63- und 64-Jährigen arbeiten nur elf Prozent in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. So gingen im Jahr 2011 48,2 Prozent der Neurentner/innen frühzeitig in den Ruhestand – mit Abschlägen von ca. 109 Euro.
Die durchschnittliche Altersrente betrug 2011 bei Männern im Westen wie im Osten etwas weniger als 870 Euro. Bei einem Rentenniveau von 43 Prozent wäre dies eine Durchschnittsrente für Männer von ca. 752 Euro. Für Frauen würde die Rente im Westen durchschnittlich 422 Euro betragen (heute 487 Euro), im Osten 603 Euro (heute 696 Euro).
Bei einem jetzt schon geltenden Rentenniveau von 43 Prozent läge die Durchschnittsrente bei den Männern nur noch knapp oberhalb der Höhe der Grundsicherung im Alter und bei den Frauen deutlich darunter. Ein solches Absinken des Rentenniveaus ist unverantwortlich und würde für viele zu Altersarmut führen.
FazitDie Beitragssatzpolitik der Bundesregierung erzwingt die weitere Senkung des Rentenniveaus und fördert damit Altersarmut. Durch das DGB-Modell kann dagegen zumindest das Rentenniveau auch in Zukunft auf dem heutigen Stand stabilisiert werden.
Der DGB fordert deshalb, dass die Beitragssenkung im nächsten Jahr korrigiert wird und die Reserven nicht verjubelt werden, sondern eine Demographie-Reserve aufgebaut wird. Eine Demografie-Reserve kann das Problem der demographischen Entwicklung lösen, selbst ohne die politische Zielsetzung der Bundesregierung in Frage zu stellen, nach der der Rentenversicherungsbeitrag bis zum Jahr 2030 auf 22 Prozent begrenzt werden soll. Wenn der Rentenbeitrag jährlich um 0,2 Prozentpunkte angehoben wird, kann das heutige Rentenniveau gehalten werden. Gleichzeitig bleibt genug finanzieller Spielraum, um die Erwerbsminderungsrente aufzubessern und die Rente mit 67 auszusetzen.
Die Finanzierungslast beginnt wegen der demographischen Entwicklung ab dem Jahr 2020 zu steigen. Ab dann wird die Zahl der Erwerbspersonen sinken und der Anteil der über 50jährigen deutlich ansteigen. Denn insgesamt gilt: Die Gesellschaft in Deutschland wird im Durchschnitt älter. Und das kostet Geld. Doch diese Kosten können nicht einfach wegreformiert werden, sondern es geht darum, wie sie gerecht verteilt werden. Dafür ist es notwendig, umgehend mit dem Aufbau der Demografie-Reserve zu beginnen.
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