Der vermiedene Sturz in den Abgrund
Von Lucas Zeise
Ach, war das prickelnd! Würden es die Amis schaffen, den drohenden Sturz in den fiskalischen Abgrund zu vermeiden? Jetzt, da sie es im gemeinsamen Bemühen beider Parteien, beider Häuser der Kongresses und aller sonstigen Politiker, Journalisten und anderer Klugschwätzer geschafft haben, kann man das Ganze mit der Ruhe, die das Erlebnis eines Silvesterfeuerwerks und eines Politkrimis psychisch erzeugen, noch einmal Revue passieren lassen.
Zum Absturz wäre es gekommen, wenn vom US-Parlament beschlossene Gesetze wirksam geworden wären. Die Katastrophe hätte darin bestanden, daß die US-Bürger höhere Steuern zahlen und der Staat seine Ausgaben dramatisch hätte kürzen müssen. Der Absturz vom »fiscal cliff«, wie die Medien den Vorgang in den USA nennen, war selbst Ergebnis eines politischen Kompromisses, ganz so wie das Vermeiden des Absturzes ein solcher war. Der geplante Crash ist das, was bei uns in ähnlich verdrehter Namensgebung »Schuldenbremse« genannt wird. So wie hier die staatstragenden Parteien mit satter, das Grundgesetz ändernder Mehrheit einen Beschluß gefaßt hatten, der die Entscheidungen künftiger Parlamente vorfestlegen soll, so hatten auch die US-Parlamentarier mit satter, parteiübergreifender Mehrheit einen Automatismus in die Budgetentscheidung von Regierung und Parlament eingebaut. Das war damals eine reife politische Leistung. In der Neujahrsnacht bestand die reife Leistung der politischen Elite des Landes darin, den Automatismus zu umgehen.
Kräftige Steuererhöhungen und zügige Ausgabenkürzung (also genau die Politik, die Angela Merkel dem europäischen Süden vorschreibt) sind nun vermieden. Sie hätten, folgt man der US-amerikanisch geprägten Meinungsbildung, zum Absturz der Wirtschaft geführt. Die Bürger, reich und arm gleichermaßen, hätten noch weniger Geld zum Ausgeben zur Verfügung gehabt, zudem hätte der Staat auch weniger ausgegeben und verteilt. Kurz, die effektive Nachfrage wäre um einige zehn oder auch hundert Milliarden eingebrochen. Noch immer sind – trotz ihrer Wirtschaftskrise – die USA der bei weitem größte Absatzmarkt des Globus. Ganz wie 2007/08 hätte ein solcher Einbruch der Nachfrage zum Absturz der meisten Volkswirtschaften geführt. Das ist eine einfache Rechnung. Und weil sie so einfach ist, begreifen diesen Zusammenhang in den USA selbst Tea-Party-Anhänger und ihre Geldgeber. Auch die wirklich Reichen hatten kein Interesse daran, dies stattfinden zu lassen.
Harmlos war und ist das Ganze dennoch nicht. Es ist auch kein Trost, daß in Europa die Lage noch schlimmer ist. Was das Wandeln am Abgrund, den Umgang mit Schuldenbremse und Fiskalpakt und die befohlene Kürzung von Ausgaben betrifft, ist die herrschende Truppe im deutsch dominierten Europa so schlimm wie der rechte Flügel der Republikaner.
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