Rückkehr zur Akkumulationsdynamik um jeden Preis - Japans Notenbank verdoppelt Geldbasis
Von Joachim Bischoff
IWF-Chefin Christine Lagarde hat sich – sehr zum Unbehagen der Deutschen Bundesbank – hinter die neue Qualität der Interventionspolitik der Bank of Japan (BoJ) gestellt: »Maßnahmen der Geldpolitik – einschließlich unkonventioneller Maßnahmen – haben geholfen, die fortgeschrittenen Volkswirtschaften zu stützen und damit auch das globale Wachstum.« Die von der japanischen Zentralbank angekündigten Maßnahmen seien ein weiterer Schritt in diese Richtung.
Mit der völligen Neuausrichtung ihrer Geldpolitik folgt die BoJ den Forderungen von Ministerpräsident Shinzo Abe, endlich die mehr als zehn Jahre anhaltende Phase der Deflation im Land zu beenden, die Investitionen und Wirtschaftswachstum bremst. Die mit früheren Programmen verknüpfte Hoffnung, dass ein tiefes Zinsniveau, eine expansive Geldpolitik und ein umfangreiches Konjunkturpaket Japan aus der aktuellen Rezession herauskatapultieren würde, hat sich allerdings nicht erfüllt. Das Bruttoinlandsprodukt ist im vierten Quartal 2012 um 0,1% gegenüber dem Vorquartal geschrumpft. Dies war der dritte Rückgang in Folge, sodass sich die Volkswirtschaft unverändert in einer Rezession befindet.
Die japanische Notenbank hat angekündigt, dass sie bis Ende 2014 die Geldbasis verdoppeln will, die sich aus Bargeld sowie den Einlagen der Banken bei der Notenbank zusammensetzt. Dazu pumpt sie mehr Geld in die Wirtschaft, um die Konjunktur zu fördern. Sie hat die Ankündigung zügig umgesetzt und ihre Geldpolitik weiter massiv gelockert. Künftig sollen auch länger laufende Staatsanleihen aufgekauft werden. Pro Monat will die BoJ künftig Anleihen für sieben Bio. Yen (umgerechnet rund 58 Mrd. Euro) kaufen, bisher waren es 3,8 Bio. Yen. Unter Berücksichtigung auslaufender Staatstitel würden jährlich netto 50 Bio. Yen gekauft. Derzeit hält die Bank Staatsanleihen für 89 Bio. Yen, Ende dieses Jahres sollen es 140 Bio. Yen, Ende 2014 dann 190 Bio. Yen sein. Auch riskantere Anlageklassen wie börsengehandelte Indexfonds oder Anteile börsennotierter Immobiliengesellschaften sollen erworben werden.
Japan ist bereits mit knapp 240% seines Bruttoinlandprodukts (BIP) verschuldet, sieht aber offenbar kein Probleme darin, dass die Neuverschuldung jährlich um fast 10% des BIP weiter steigt. Die Aussage der BoJ, dass die Anleihenkäufe geldpolitischen Zielen dienten – und nicht der Finanzierung der Staatsschulden – ist wenig überzeugend.
Die Notenbank weist diese Politik als »neue Phase monetärer Lockerung« aus. Auch der japanische Finanzminister unterstreicht, dass die Geldpolitik auf eine qualitativ neue Ebene gehoben werde. Ausdrücklich wird das Ziel herausgestrichen, die seit Jahren leicht unter der Nulllinie pendelnde Inflationsrate binnen zweier Jahre auf das Niveau von rund 2% zu heben. Der neue Notenbankchef Kuroda und Ministerpräsident Abe betrachten die leichte Deflation, in der Japan seit dem Platzen seiner gigantischen Immobilienblase Ende der 1980er Jahre gefangen ist, als Kernproblem für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Ihre Grundthese lautet: Konsumenten und Unternehmen würden dazu verleitet, größere Anschaffungen und Investitionen in Erwartung weiter sinkender Preise ständig aufzuschieben.
Dass diese neue Geldpolitik Wirkungen auf die Segmente des Finanzüberbaus hervorbringt, kann nicht bestritten werden. Die spannende Frage lautet allerdings, ob das Sinken der Renditen für Staatsanleihen und der deutliche Anstieg der Aktienpreise sich mittelfristig in einer Beschleunigung des Wirtschaftswachstums niederschlagen. Die unmittelbare Konsequenzen der jüngsten Intervention: Anstieg der Vermögenspreise und Verstärkung der Abwertungstendenz des Yen. Zwar ist die teilweise vorgebrachte Einschätzung von der anstehenden Eröffnung eines Währungskrieges stark übertrieben. Richtig bleibt aber: Die japanische Währung verliert gegenüber Dollar und Euro signifikant an Wert.
Die Renditen japanischer Staatsanleihen sanken nach der Ankündigung der neuen Geldpolitik auf das niedrigste Niveau seit zehn Jahren. Innerhalb der wirtschaftlichen Elite Japans gibt es gleichwohl Zweifel, ob dieser neue Griff ins geldpolitische Arsenal ausreichen wird, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Die Ausweitung der Finanzierung der Staatsschulden durch die Notenbank verbilligt die Renditen der Staatspapiere und befördert die Aktienpreise und Industriebonds. Doch damit ist keineswegs gewährleistet, dass Banken mehr Kredite vergeben und über eine Ausweitung der Wertschöpfung auch die Nachfrage stimuliert wird.
Kaufprogramme, wie sie jetzt Tokio beschlossen hat, sind in den USA unter dem Namen »Quantitative Easing« erfunden geworden. Banken und Investoren sollen ermutigt werden, Staatsanleihen an die Zentralbank zu verkaufen und das Geld dann für Investitionen zu verwenden. Fraglich ist, wie weit diese Rechnung in Japan aufgehen wird. Viele Unternehmen scheuen Investitionen im Inland, weil in Japan die extrem schwache Konjunktur, die steigende Arbeitslosigkeit und deflationäre Tendenzen daraufhin weisen, dass das Land immer noch von einem massiven Ausfall der Binnennachfrage betroffen ist. Auch mittelfristig sieht die Lage düster aus, sollten die Ursachen für die krisenhafte Entwicklung nicht rasch behoben werden. Die BoJ rechnet selbst damit, dass die Banken einen Großteil der neuen Liquidität gleich wieder bei ihr hinterlegen werden.
Gleichwohl: Ohne wirkliche Veränderung in der gesellschaftlichen Wertschöpfung zeigt sich an den japanischen Finanzmärkten eine deutliche Aufwärtsbewegung. Bemerkenswert ist ferner, dass der Yen gegenüber Euro und US-Dollar nach den starken Kursverlusten seit September weiter zurückgegangen ist. Die Maßnahmen sollen tief verankerte deflationäre Erwartungen brechen, Liquidität in Umlauf bringen und die Binnen- sowie die Exportindustrie stimulieren. Die Wirtschaft werde angeregt, bis ein Inflationsziel von 2% erreicht sei, so die Zielsetzung. An den Finanzmärkten ist ihre Wirkung beachtlich: Der Yen ist gegen den Dollar seit September vergangenen Jahres um 20% schwächer geworden. Das mag dazu beitragen, dass japanische Exportunternehmen nach Umrechnung im Ausland erzielter Erträge künftig höhere Gewinne ausweisen können.
Allerdings müsste die Währung noch weiter an Wert verlieren, um die Preise in Japan selbst in Bewegung zu bringen. Eine politisch verstärkte Yen-Schwäche dürfte in der gegenwärtigen labilen Konstellation nicht ohne weiteres toleriert werden. Der Ausweg in Japan aus der Deflation enthält das Risiko eines Absenkungswettbewerbs der Währungen. Sollte sich bei japanischen Anlegern der Eindruck verdichten, die Yen-Schwäche sei beabsichtigt, könnten sich viele zu einer Verlagerung ihrer Vermögenswerte entscheiden.
Die deutsche Regierung mahnt, Japan müsse sich an die Verabredungen der G-20-Staaten halten. Danach solle die Geldpolitik nicht eingesetzt werden, um sich »irgendwelche wirtschaftspolitischen oder exporttechnischen Vorteile« zu verschaffen. Auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann kritisierte die expansive japanische Geldpolitik. Man sei sich einig gewesen, zur Lösung der Probleme nicht mit einem Abwertungswettlauf zu beginnen, der nur Verlierer kenne, sagte Weidmann. Die Probleme des Landes lägen nicht in einer mangelnden Versorgung mit Liquidität. Schuld an der Deflation seien vielmehr die demografische Entwicklung und die hohe Staatsverschuldung. »Und da muss meines Erachtens eine sinnvolle Politik ansetzen.«
Damit sind wir beim Kern des Problems: Japan laboriert seit Jahrzehnten an einer Wachstums- und Akkumulationsschwäche und die zahllosen Impulsprogramme haben die öffentliche Verschuldung befördert, aber weder eine Ausweitung der Nachfrage noch eine durchgreifende Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit der japanischen Unternehmen auf den Weg gebracht. Wenn aber die Politik der Strukturreformen ausscheidet, also eine Absenkung der Arbeitseinkommen und eine Erhöhung des Arbeitsdrucks, dann ist entgegen allen Beteuerungen der verbleibende Ausweg die politisch beförderte Absenkung der Währung. Wenig deutet darauf hin, dass Japans Unternehmen mehr investieren werden.
Gleichzeitig wächst die Gefahr, dass Politik einer Ausweitung der Monetarisierung der Staatsschuld in eine Auslagerung von Vermögenswerten umschlagen könnte. Das Land ist hoch verschuldet, der Staatshaushalt wird seit Jahren nur noch zur Hälfte über laufende Steuereinnahmen finanziert. Für die andere Hälfte werden Anleihen ausgegeben, und die kauft jetzt in einem noch nie da gewesenen Umfang die BoJ. Und dies mit der fragwürdigen Perspektive, dass der neuen Qualität der Geldpolitik eine neue Akkumulationsdynamik nachfolgen wird.
Der Kollateralschaden wird demnächst die internationalen Beratungen prägen. Der Yen verliert gegenüber Dollar und Euro weiter an Wert. Und das hilft Japans Exportfirmen, die auch wegen der seit Jahren verschleppten Strukturreformen an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Die BoJ behauptet, der schwache Yen sei nur ein Nebeneffekt der neuen Geldpolitik. Dies werden die anderen Notenbanken und Finanzminister anders bewerten.
Auch im Kontext der Eurozonen-Krise wird immer wieder die segensreiche Wirkung einer Abwertungspolitik gefeiert. Staaten, die in Schwierigkeiten geraten sind, sollten ihre Währung schwächen und sich auf Basis der auf diese Weise verbesserten internationalen Wettbewerbsfähigkeit »aus der Krise exportieren« und wieder wachsen. Das sei besser, einfacher, schneller und politisch »weniger schmerzvoll«, als Schuldenprobleme durch Abschreibungen und Umverteilung der Lasten deutlich zu vermindern und dann die Wirtschaftsstruktur eines Landes umzubauen und die nationale Ökonomie auf ein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell auszurichten.
Eine solche politische Strategie verkennt, dass die Wirkung zum einen daran hängt, dass es keine Ausweitung der Abwertungswettlaufes gibt, und dass die damit verbundene gesellschaftspolitische Rosskur von der breiten Bevölkerung geduldiger ertragen wird. Es finden sich gerade in Europa aber auch Beispiele, mit denen belegt werden kann, dass eine Abwertung der nationalen Währung eben nicht rasch eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und eine Ausweitung des nationalen Verteilungsspielraumes mit sich bringt. Eine schwache Währung verteuert die importierten Waren und Dienstleistungen. Eine Reorganisation der Wertschöpfung auf Basis einer höheren Produktivität ist an weitere Bedingungen der Infrastruktur und des »Bildungs«kapitals des gesellschaftlichen Arbeitskörpers geknüpft.
Die Entscheidung der Bank of Japan, massiv Geld in die Wirtschaft zu pumpen, von einer Zinspolitik auf die Kontrolle der monetären Basis umzusteigen und eine höhere Inflation anzustreben, stellt sich eher als ein wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Blindflug dar. Die Notenbanken haben mit ihren diversen Formen der quantitativen Lockerung in den zurückliegenden Monaten den Übergang in eine Abwärtsspirale verhindert; ein Übergang in eine neue Wachstums- oder Akkumulationsphase ist aber nicht in Sicht.
Mit der Politik der japanischen Notenbank wächst die Gefahr von nachhaltigen Kollateralschäden; denn die Notenbanken haben bislang nirgendwo erkennen lassen, wie sie den Kurswechsel zu einer kontrollierten Geldpolitik einleiten wollen. Die Zentralbanken haben massiven Einfluss und werden entgegen den positiven Absichten zu Risikozentren, d.h. Gefahrenquellen von finanzieller Instabilität. Ungeachtet der öffentlichen Schönrednerei läuft das »Quantitative Easing« auf den Versuch hinaus, die nationale Währung zu schwächen, um die Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen. Die Ausweitung der Geldversorgung allein bringt weder höhere Inflation noch ein Rückkehr zu einem höheren Wirtschaftswachstum.
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