Nach den Terroranschlägen in Paris
Kommentar von Johannes Angermuller aus Paris
Nach Terroranschlägen, wie die vom 13. November in Paris, müssen Erklärungen hilflos wirken - zu monströs sind die Dinge, die geschehen sind, zu tief die menschlichen Abgründe, die gezeigt wurden. Gleichwohl drängen sich Fragen auf: Wie konnte das passieren? Und was ist zu tun, damit sich solche Katastrophen nicht ein weiteres Mal ereignen?
Zahlreiche Stimmen bringen die grausamen Gewalttaten islamistischer Terroristen mit den Flüchtlingen in Verbindung, die seit einigen Monaten in großer Zahl aus Ländern wie Syrien und Afghanistan nach Europa kommen. Es werden dabei Erklärungsmuster aktiviert, die die Ursache der Gräuel außerhalb Europas verorten, und zwar in einer angeblich gewaltbereiten und rückwärtsgewandten Kultur und Religion (dem ‚Islam’). Doch der islamistische Terror ist kein kulturelles oder religiöses Problem, das gleichsam von Außen in den Westen hineinschwappt, gehen die seit 9/11 in westlichen Metropolen begangenen Terrorakte doch ganz überwiegend auf das Konto von Leuten, die in den westlichen Metropolen geboren und aufgewachsen sind und mit der westlichen Kultur mehr als nur oberflächlich vertraut sind: Der Terror gegen den Westen ist eine Frucht, die im Westen selbst gewachsen ist.
Gerade die Anschläge in Paris erinnern an die soziale Situation, in der Jugendliche und junge Erwachsene ideologisch motivierte Gewalt ausüben: sozial hoch stigmatisierte Immigranten-Kinder der x-ten Generation aus den nordöstlichen Pariser Vororten (wie etwa Drancy, Saint Denis) brauen sich eine apokalyptische Ideologie zusammen und bekommen in Syrien oder Afghanistan eine militärische Ausbildung, um unvorstellbare Verbrechen dort und dann im Westen zu begehen. Sicher war es kein Zufall, dass die Anschläge gegen die jungen, kritischen, gut ausgebildeten, in der Kreativindustrie tätigen Bobos des 11. Arrondissement gerichtet waren, in dem sich Frankreichs linkeste Wahlkreise befinden (Bobo: bourgeoisie bohémienne - das junge Hipster-Bildungsbürgertum in Paris). Um es überspitzt auszudrücken: junge verkrachte Losertypen aus den Pariser Banlieues setzen ein Zeichen gegen das junge coole linksgrüne Bobo-Modell im Pariser Zentrum. Nicht zuletzt werden mit solchen Aktionen gesellschaftliche Visionen kommuniziert: ein reaktionärer und patriarchaler Gottesstaat gegen die urban-linksliberale Postmoderne.
Die Kreise, in denen dieser Konflikt ausgetragen wird, beschränken sich nicht auf New York und London, Madrid und Paris. Diese sozialen und politischen Kämpfe haben sich mit religiösen und kulturellen Kodes zu einem globalisierten Guerillakrieg verquickt, der in den 1990er Jahren mit internationalen Terrortouristen in Algerien und Russland anfing und inzwischen v.a. in Syrien Tausende aus den Vororten der westlichen Metropologen und aus reichen arabischen Ländern wie Saudi-Arabien angezogen hat. Die Großmächte agieren in dieser Situation erstaunlich hilflos (und oft auf eine höchst problematische Weise), wobei verschiedenste Motive, Interessen und Hintergründe Konfliktdynamiken haben entstehen lassen, die sich allenfalls zum Teil durch geostrategische Kalküle erklären lassen. Dass als Reaktion auf den 13.11. Amerikaner und Franzosen in Syrien bei Luftangriffen offenbar viele Hundert Zivilisten getötet haben (die in den westlichen Medien keine Aufmerksamkeit bekommen), ist nicht weniger zu beklagen wie Terroranschläge, denen inzwischen jedes Jahr Tausende zum Opfer fallen (und zwar weiterhin größtenteils in Asien und Afrika).
In jedem Fall gilt: Will man den globalisierten Terrorismus dauerhaft bekämpfen, darf man die sozialen Verhältnisse nicht ausblenden, aus denen sich dieser immer wieder speist. Zäune, Bomben und Ausgrenzung sind nicht die Lösung, sondern eine seiner Ursachen. Unsere Antwort muss in einer Politik der internationalen Solidarität, der Offenheit und der Toleranz liegen.
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