Altersarmut

Von Dr. Jürgen Glaubitz

21.12.2015 / www.verdi-bub.de, Dezember 2015

Im Oktober dieses Jahres gab es innerhalb einer Woche wichtige Neuigkeiten für die deutschen Rentner/-innen – wie sie wohl unterschiedlicher kaum ausfallen können. Ein deutsches Boulevardblatt titelte im Abstand von nur drei Tagen:

  • „Renten-Hammer – Größte Erhöhung seit mehr als 20 Jahren“
  • „Altersarmut: 70 Prozent der Frauen-Renten unter Hartz-IV-Niveau“
    (Bild-Zeitung vom 8.10.2015 und vom 11.10.2015)
Während es also im Jahr 2016 deutliche Rentenerhöhungen in Ost und West geben wird, kommen nun auch immer mehr Informationen über das Ausmaß der Mini-Renten ans Tageslicht. Das Thema ist von großer Bedeutung, weil die deutsche Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten rasch altert und somit immer mehr Menschen betroffen sein werden.

Jede/-r siebte Rentner/-in betroffen
Ein aktueller OECD-Bericht („Renten auf einen Blick 2015“; OECD-Pressemitteilung vom 1.12.2015) hatte zuletzt für Schlagzeilen gesorgt. Deutsche Rentner bekommen danach im Alter deutlich weniger von ihrem früheren Nettoeinkommen als Rentner in anderen Ländern. Zwar sei das deutsche Rentensystem solide finanziert, so die OECD, es biete aber immer weniger Beitragszahlern echten Schutz vor Altersarmut. Die Rentenzahlung liegt bei nur 53,4 Prozent des früheren Netto-Einkommens. Dass immer mehr Rentnern Altersarmut droht, sei zum einen die Folge des sinkenden Rentenniveaus. Weitere Gründe sind die hohe Zahl an Geringverdienern und die gebrochenen Erwerbsbiographien vieler Beschäftigter.

  • „Deutschland auf dem Weg in die Altersarmut“ (Deutschlandfunk vom 1.12.2015)
Erst vor Kurzem hatte die Bertelsmann-Stiftung ermittelt, dass immer mehr Senioren in Deutschland von Armut bedroht sind. Waren es 2006 noch 10,4 Prozent der Ruheständler, so stieg die Zahl 2013 auf 14,3 Prozent. Jeder siebte Rentner ist demnach betroffen! Besonders trifft es Frauen (in den alten Bundesländern), Alleinstehende, Geringqualifizierte und Menschen mit Migrationshintergrund. Die Altersarmut ist zudem regional sehr unterschiedlich verteilt (Bertelsmann-Stiftung, Pressemitteilung vom 12.10.2015).

Altersüberschuldung steigt
Laut aktuellem Schuldneratlas gelten derzeit 9,9 Prozent aller Privatpersonen als verschuldet. Fast jeder zehnte Deutsche hat demnach mehr Schulden als Vermögen. Die Studie hat auch ermittelt, dass auch Senioren immer öfter in Zahlungsschwierigkeiten geraten. 150.000 Menschen über siebzig Jahre müssen derzeit als überschuldet eingestuft werden. Gemessen an der Gesamtzahl der verschuldeten Deutschen noch eine geringe Menge – allerdings weisen die Forscher darauf hin, dass die Zahl der überschuldeten Alten rapide ansteigt (Creditreform, Schuldneratlas 2015, Pressemitteilung vom 10.11.2015).

  • „Schuften bis zum Schluss“ – Arme Rentner im reichen Deutschland (ZDF-Reportage, Juli 2015)

Immer mehr Alte sind auf Grundsicherung angewiesen
Noch ist die Zahl der von Altersarmut Betroffenen relativ gering – aber sie wird sich in den nächsten Jahren drastisch vergrößern. Ein deutlicher Hinweis dafür sind die stark steigenden Ausgaben für Grundsicherung im Alter. Im März 2015 bezogen 512.000 Menschen im Rentenalter Grundsicherung im Alter. 61 Prozent davon sind Frauen. 2005 betrug die Zahl der Empfänger noch 343.000 (Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 6.8.2015).


Grundsicherung im Alter

2003 hat die damalige rot-grüne Bundesregierung die Grundsicherung im Alter eingeführt. Damit soll älteren Menschen mit nicht auskömmlichen Renten das Existenzminimum garantiert werden. Diese Grundsicherung ist ein eine steuerfinanzierte, bedarfsorientierte Basisleistung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Gesetzliche Grundlage ist das Sozialgesetzbuch XII. Die Höhe ist identisch mit den Leistungen nach den Hartz-IV-Gesetzen.


Ursachen und Hintergründe

Unter den heutigen Rentnerinnen und Rentnern ist Altersarmut noch nicht sehr verbreitet. Allerdings wird das Armutsrisiko künftiger Rentnerinnen und Rentner deutlich steigen. 2012 hatte die damalige Bundesarbeitsministerin von der Leyen für einiges Aufsehen gesorgt, als sie das konkrete Beispiel eines Arbeitnehmers mit einem Bruttolohn von 2.500 Euro publik machte. Dieser wird bei einer 35-jährigen Vollzeitbeschäftigung im Jahre 2030 auf eine Rente in Höhe von 688 Euro kommen ... Diese Entwicklung kommt nicht überraschend, Altersarmut hat handfeste Ursachen: In den letzten 15 Jahren gab es massive Umbrüche am Arbeitsmarkt. Zwar ist die Arbeitslosenquote gesunken und die Zahl der Beschäftigten gestiegen. Aber diese Zahlen sagen nichts über die Art der Beschäftigung: Ein Viertel der Beschäftigten muss sich heute mit Teilzeit oder Minijobs begnügen. Prekäre, sozialversicherungsfreie Beschäftigungsformen werden zu Lasten des Normalarbeitsverhältnisses ausgeweitet. Berufsunterbrechung durch Kindererziehung und Pflege mindern die Rentenansprüche. Zudem ist im Zuge der Rentenreform 2001 das Rentenniveau deutlich abgesenkt worden. Das Leistungsniveau der Renten wird weiter drastisch abgesenkt: Das sogenannte Standardrentenniveau (Verhältnis Rente zu Nettolohn) wird aufgrund verschiedener Reformen von derzeit rund 50 Prozent auf 43 Prozent im Jahre 2030 sinken. Fakt ist, dass immer mehr Rentenanwartschaften zukünftig das Niveau der Grundsicherung bzw. die Armutsrisikoschwelle unterschreiten werden.
  • „Altersarmut wird auch Normalverdiener treffen“ (ZEIT online vom 2.9.2012)

Auch Normalverdiener betroffen

Die Rente ist ein Spiegelbild des Erwerbslebens. Wer im Erwerbsleben nur ein geringes Einkommen erzielt und entsprechend wenig in die Rentenversicherung einzahlen kann, sitzt später in der Armutsfalle. Aber auch wer sein gesamtes Berufsleben über Vollzeit beschäftigt war und relativ gut verdient hat ist im Alter nicht auf Rosen gebettet. Denn die sogenannte Standardrente fällt alles andere als üppig aus:
  • Standardrente: Die Standardrente (oft auch Eckrente) ist die gesetzliche Altersrente eines Beschäftigten, der 45 Jahre immer das Durchschnittsentgelt (dieses betrug 2015 34.999 Euro) erzielt und Rentenbeiträge entrichtet hat. Die Eckrente betrug 2015 in Westdeutschland 1.301 Euro brutto, und 1.163 Euro netto vor Steuern (Quelle: Deutsche Rentenversicherung, Oktober 2015).
nWer im Niedriglohnsektor arbeitet, wer nicht immer vollzeitbeschäftigt ist oder nicht genügend Beitragsjahre zusammenbekommt, kann von der Standardrente nur träumen und hat es im Alter besonders schwer. Insbesondere Frauen in Westdeutschland sind von Altersarmut bedroht, denn sie haben die mit Abstand kürzesten Beitragszeiten zur Rentenversicherung und auf Grund von Teilzeitarbeit und geringen Löhnen auch die geringsten Beiträge eingezahlt.

Maßnahmen gegen Altersarmut
Der Kampf gegen die Altersarmut ist eine wesentliche Herausforderung des demografischen Wandels. ver.di fordert in diesem Zusammenhang, das aktuelle Rentenniveau nicht weiter abzusenken und bezieht sich dabei auf das DGB-Rentenkonzept von 2013. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat darin skizziert, wie das Sicherungsniveau der Gesetzlichen Rentenversicherung auch in Zukunft gewährleistet werden kann. Im Mittelpunkt steht dabei eine Erhöhung des Rentenbeitrages in kleinen Schritten, um eine Demografie-Reserve aufzubauen. Weitere Maßnahmen sind dabei u.a. die Bekämpfung der Erwerbsarmut, also die Eindämmung des Niedriglohnsektors, und die Stärkung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Der DGB plädiert für die Rente nach Mindesteinkommen. Niedrigrenten sollten dabei bis auf 75 Prozent der Durchschnittsrente durch Steuermittel angehoben werden. Zudem könne die betriebliche Altersversorgung eine sinnvolle Ergänzung darstellen. Allerdings müsste deren Verbreitung deutlich verbessert werden.