Der Grexit - eine Debatte zur Unzeit
Aktuell schlagen Griechenland und seine Zukunft im Euro leider unnötigerweise hohe Wogen. Der IWF will Schuldenerleichterungen und keine weitere Austerität, die aber wegen seiner pessimistischen Prognosen zur Erreichung der Sparvorgaben erforderlich wäre. Die europäischen Institutionen bewerten die Wirtschaftsentwicklung optimistischer, die Eurogruppe sperrt sich aber gegen eine Lockerung der Haushaltsziele (d.h. die vom IWF geforderte Absenkung des Primärüberschuss von 3,5 auf 1,5 Prozent) und gegen substanzielle Schuldenerleichterungen. Weil solche Meinungsverschiedenheiten weniger nach inhaltlichen Kriterien sondern nach Machtaspekten entschieden werden, ist es nicht verwunderlich, wenn sich jetzt ein Deal abzeichnet, der Griechenland weitere Reformen im Bereich der Renten und der Einkommensteuer abverlangt.
Die griechische Sicht findet in diesem Streit kaum Gehör. Denn Griechenland ist als schwächster Part erpressbar (im Juli braucht die Regierung frisches Geld, um einen Milliardenbetrag zu begleichen) und wird dadurch immer wieder gezwungen, bisher abgelehnte Maßnahmen zu akzeptieren. Gleichwohl kann sich die griechische Regierung gewisse Hoffnungen auf Schuldenerleichterungen machen – quasi als Licht am Ende des Tunnels. Dass es dem IWF damit durchaus ernst ist, hat er neulich noch einmal bekräftigt.[1] Auch wenn solche Schuldenerleichterungen erst nach Ablauf des Programms 2018 eingeleitet werden würden, müssten die anderen Gläubiger eine belastbare Selbstverpflichtung abgeben, damit der IWF wieder mit an Bord kommt.
Der Grexit als Drohkulisse
Vor diesem Hintergrund ist in Deutschland die Diskussion um die Fortführung des Griechenlandprogramms neu entbrannt. Dies liegt vor allem an den reaktionären Kräften in der CDU/CSU (2015 hatte eine Vielzahl von Unions-Abgeordneten dem Programm ihre Zustimmung verweigert) und am Druck durch die AfD. So erklärt sich auch, dass Schäuble Anfang Januar in der Süddeutschen Zeitung[1] noch überlegte, den ESM allein mit der Fortführung des Programms zu betrauen und auf die Teilnahme des IWF zu verzichten, Schäuble dann aber ziemlich schnell zurückrudern musste. Den Gipfel der Unverschämtheit bildete eine Pressemitteilung des CDU-Wirtschaftsrats, der den Griechen bei einer Nicht-Teilnahme des IWF offen mit dem Rauswurf aus dem Euro drohte.[3]
Diese Entwicklung wird in Griechenland natürlich registriert. Gut ist dort auch Schäubles Vorschlag zum „Urlaub vom Euro“ in Erinnerung geblieben, mit dem Schäuble das erste Tsipras-Kabinett erpresste.
Dies ist der Hintergrund, vor dem die Äußerungen von Sahra Wagenknecht zu sehen sind. Ein Interview mit der Rheinischen Post gipfelte in der dpa-Meldung „Wagenknecht empfiehlt Griechenland Abschied vom Euro.“[4] Ausschlaggebend dafür war die Aussage: „Ob Griechenland weiterhin seine Perspektive innerhalb der für seine Volkswirtschaft viel zu harten Währung des Euro sieht, muss letztlich die griechische Bevölkerung entscheiden. Allerdings spricht einiges dafür, dass eine wirtschaftliche Erholung jenseits dieses Korsetts um einiges leichter wäre" (Rheinische Post vom 22.2.2017).[5]
In Deutschland ging das Interview mit dem eher beiläufigen Kommentar zum Euro weitgehend unter. Was sollte auch schlimm daran sein, die Bundeskanzlerin wegen ihrer falschen Rettungspolitik zu attackieren und zu kritisieren, dass die deutschen Steuerzahler für diese in Haftung genommen werden? Ist das nicht ein sinnvoller Versuch, den Unmut in WählerInnenstimmen für die LINKE zu kanalisieren, eine Alternative von Links gegen die AfD?
Doch im Unterschied zur AfD steht die LINKE für internationale Solidarität und muss daher sehr wohl Verantwortung dafür übernehmen, was ihre Forderungen für Griechenland und anderen Krisenstaaten bedeuten können.
In Griechenland schlugen die Bemerkungen ein wie eine Bombe. Große Teile der griechischen Presse und zahlreiche TV-Sender verwendeten Sahra Wagenknechts Statements auf sehr polemische Art gegen die griechische Regierung. In dieselbe Richtung gingen Presseerklärungen der Nea Dimokratia: „Sollen wir jedenfalls davon ausgehen, dass DIE LINKE nun zu den »extremen Kreisen Europas, zu den Verrätern und Unsinnigen« gehört, wie sich Herr Tsipras selber [über die neoliberalen Grexit-Befürworter] oft ausgesprochen hat?“[6]
Ähnlich die Pasok: „Was haben Herr Tsipras und Herr Papadimoulis über die Statements von SYRIZAs deutscher Schwesterpartei DIE LINKE zu sagen, die Griechenlands Austritt aus dem Euro vorschlägt?“.[7]
Wenige Stunden nach dem Statement der Fraktionsvorsitzenden erreichten uns deshalb die verunsicherten bis enttäuschten Nachrichten von griechischen GenossInnen, die zurecht um eine rasche und solidarische Klarstellung baten. Zumindest eine eindeutige Klärung, dass Sarah Wagenknechts Äußerung keine offizielle Parteiposition darstellt, war für die griechischen GenossInnen wichtig und auch für unser Image im Ausland als verlässlicher Partner notwendig. Diese Klarstellung wurde von Jens Berger auf den NachDenkSeiten als „hinterhältig“ verunglimpft und den Kritikern finstere Motive unterstellt.[8]
Warum ist ein Euro-Ausstieg keine Lösung für Griechenland?
Von dem politischen Argument abgesehen, dass der Grexit von der großen Mehrheit der griechischen Bevölkerung abgelehnt wird, ist die Forderung auch ökonomisch nicht überzeugend. Warum dies so ist, legt die von mir zusammen mit Klaus Busch, Gesine Schwan, Frank Bsirske und anderen verfasste Streitschrift in einem eigenen Kapitel zum Euro-Austritt dar.[9] Weitere Argumente liefert u.a. die RLS.[10]
In unserer Streitschrift argumentieren wir, dass erstens die nach einem Euro-Ausstieg mögliche Abwertung nur dann die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes verbessern wird, wenn sie zu einer längerfristigen Reallohnsenkung führt. Genau dies wollen die Kritiker der Euro-Rettungsprogramme aber vermeiden. Eine Abwertung der Währung ist nicht der sanfte, „schmerzfreie“ Weg, sondern lediglich der „subtilere“, aber nicht weniger einschneidende Weg der Anpassung.
Zweitens wird ein Staat nach Austritt aus dem Euro kaum eine größere Eigenständigkeit in seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik erlangen. Griechenland müsste an den internationalen Kapitalmärkten deutlich höhere Zinssätze für seine Staatsanleihen zahlen. Gleichzeitig würden die Staatsschulden – in nationaler Währung gerechnet – deutlich ansteigen. Dies gilt auch für die Kredite des Privatsektors. Griechenland würde also in eine Zins- und Schuldenfalle geraten. Die Regierung wäre dann trotzdem – unabhängig von ihrer politischen Orientierung – zu einer drastischen Austeritätspolitik gezwungen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre sie dann auf Kredite internationaler Institutionen wie dem IWF angewiesen und müsste im Gegenzug weitere Auflagen und Kürzungen vornehmen.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen auch Flassbeck/Lapavitsas (auch wenn sie in anderen Punkten nicht mit mir konform gehen) in ihrer Euro-Studie von 2013, wenn sie schreiben: „Die Aussicht, den IWF um Hilfe bitten zu müssen, schon bald nachdem die Troika nicht mehr über das Land zu bestimmen hätte, wäre ein Alptraum. Aber diese Aussicht könnte nicht ausgeschlossen werden, da die Unwägbarkeiten eines Austritts und die Unsicherheit hinsichtlich der Zukunft des Landes die Nachfrage nach seiner Währung kurzfristig stark verringern kann. Um ein derart schlechtes Ergebnis auszuschließen, wäre es sogar angebracht, ein von den anderen EU-Ländern bereitgestelltes Sicherheitsnetz in Erwägung zu ziehen."[11]
Ein Bruch mit der Troika und ein Ausstieg aus dem Euro ist demnach also möglich, muss aber von anderen EU-Partnern flankiert werden. Wie aber hat man sich einen solchen Ausstieg vorzustellen – wer sollte heute den Griechen unter die Arme greifen? Das taumelnde Portugal, das nur von dem Urteil einer kanadischen Rating-Agentur vor einem neuen Hilfsprogramm bewahrt wird?[12] Spanien, dessen Ministerpräsident vor Jahren die Auflagen eines ESM-Programms umgesetzt hat und seinen politischen Gegnern bestimmt den Gefallen tut, sich davon abzusetzen? Italien mit seiner extrem hohen Staatsverschuldung, den angeschlagenen Banken und seiner schweren Staatskrise? Frankreich, um dem Front National möglichst noch mehr WählerInnen zuzutreiben? Die Niederlande, mit dem erstarkenden Geert Wilders? Das erzreaktionäre Kaczyński-Polen, das Ungarn Viktor Orbans, Österreich mit der FPÖ, …? Wo sollen also die Partner sein, die Griechenland in der Stunde der Not stützen sollen? Die Idee von einem kooperativen Euro-Ausstieg Griechenlands ist eine pure Fiktion.
Vor diesem Hintergrund ist es mehr als leichtfertig, den Griechen eine Empfehlung zum Ausstieg aus dem Euro zu geben, wohl wissend, dass sie mit den desaströsen Folgen allein gelassen werden. Aber das gilt nicht nur für die Griechen. Ein Grexit würde sofort neue Spekulationen über den Ausstieg von anderen Euro-Staaten befeuern, Portugal mit ziemlicher Sicherheit in ein neues Hilfsprogramm treiben (oder aus dem Euro) und eventuell auch Italien in die Knie zwingen. Dies ist keine Politik, die ich verantworten kann.
Solidarität mit Griechenland – ein gelebtes Beispiel
Von deutscher Seite aus (aber auch von griechischer) wird viel zu oft über die anderen geredet als mit ihnen. Doch wissen wir wirklich besser als Syriza, welche realistische linke Politik unter diesen aufgezwungenen Bedingungen möglich ist? Oder besser als die griechische Bevölkerung, ob sie im Euro bleiben sollte? Oder weiß Syriza besser als wir LINKEN, wie man Druck gegen den Europa-zerstörerischen Kurs der deutschen Bundesregierung ausübt? Oder besser, wie wir LINKEN den geschürten antigriechischen Ressentiments in Deutschland begegnen sollen? Sicherlich nicht. Aber wir können Wissen und Erfahrungen unserer Kämpfe austauschen und uns gegenseitig unterstützen.
Ich habe es mir seit Anfang 2015 zur Aufgabe gemacht, die Regierung in Griechenland nach besten Kräften zu unterstützen. Denn was ist internationale Solidarität wert, wenn man sich nach der Niederlage vom Sommer 2015, bei der die rebellische Regierung brutal niedergerungen wurde, enttäuscht abwendet und die früheren Hoffnungsträger im Regen stehen lässt?
Ich habe über die letzten beiden Jahre bei mehreren Arbeitstreffen in Griechenland Kontakte zu meinen fachlichen Bereichen (den Ministerien für Finanzen, Wirtschaft, Arbeit, etc. sowie den Leitern verschiedener staatlicher Fonds) vertieft und gegenseitiges Vertrauen aufgebaut. Daher bekomme ich die Sorgen der GenossInnen ungefiltert mit und kann sie auch sehr gut nachvollziehen. Und ich kann nur meinen Respekt betonen, den ich vor dem unermüdlichen und zähen Ringen der linken Regierung gegen „die Institutionen“ habe. Klar ist, dass die GenossInnen meiner praktischen Solidarität sicher sein können – auch wenn ich es leider nicht für alle aus meiner Partei garantieren kann und ich nicht verhindern kann, dass viele unserer und auch der griechischen Erwartungen am Ende aufgrund der neoliberalen Gegenwehr enttäuscht werden können.
Wir müssen die Kooperation mit linken Projekten in Europa verstärken, pragmatische und verlässliche Kommunikations-Kanäle aufbauen. Dazu braucht es (neben bestehenden Präsenzen der RLS und progressiven Stiftungen wie dem Nikos-Poulantzas-Institut etc.) gegenseitige Besuche und regelmäßige Arbeitstreffen, vor allem auf Fachebene. Nur so sind ein gegenseitiges Verständnis und eine fruchtbare fachliche Zusammenarbeit möglich und lassen sich solche Missverständnisse und Kollateralschäden vermeiden.
Echte Solidarität zeigt sich erst in schlechten Zeiten
Natürlich ist es erlaubt und lehrreich, sich über Ausstiegs-Szenarien Gedanken zu machen. Etwas anderes ist es aber, eine solche Diskussion anderen aufzunötigen. Zumal dies nicht leichtfertig geschah – ähnliche Diskussionen mussten wir in der LINKEN schon 2015 führen. Gregor Gysi, Dietmar Bartsch, Bernd Riexinger, Katja Kipping – sie alle haben sich wie ich damals schon gegen Grexit-Phantasien gewandt.[13, 14, 15, 16] Die Empfehlung zu einem Abschied vom Euro ist ein gefährlicher Alleingang und nicht die Position der LINKEN und ich erlaube es mir, dazu auch öffentlich Stellung zu beziehen.
Die Wut und die Perspektivlosigkeit angesichts der Verhältnisse im neoliberalen Europa dürfen uns nicht dazu verleiten, in Scheinlösungen zu flüchten. Und auch wenn die mühsamen und in weiten Teilen vergeblichen Kämpfe für eine linke Politik in Deutschland oft frustrieren, sollten wir uns davor hüten, unsere Frustration auf linke Projekte in anderen Ländern zu projizieren oder uns auf abstrakte Ratschläge zu beschränken. Und keinesfalls dürfen wir den Konservativen dabei helfen, einen von griechischer Seite gefürchteten „Grexident“ herbeizuschreiben oder politisch auszulösen.[17]
Wir LINKE kämpfen für den politischen Wandel in Deutschland, einem Land, das treibende Kraft für die Ausbreitung des neoliberalen Wirtschaftsmodells in Europa ist. Wir dürfen nicht gleichzeitig denjenigen in den Rücken fallen, die sich in Südeuropa in einem – auch von „unserem“ Land auferlegten Korsett – um einen Gegenentwurf bemühen, so verzweifelt dieser manchmal auch wirken mag. Damit werden wir sicher den einen oder die andere verirrte WählerIn wieder zurück ins linke Boot holen, andere dafür aber auch sicher verlieren. Dafür öffnen wir aber auch nicht die nationalistische Büchse der Pandora. Griechenland kann es nicht alleine schaffen. Wir aber auch nicht.
[1] Pressestatement von IWF-Sprecher Gerry Rice vom 23.2.2017
[2] SZ: „Gabriels Argumentation ist gefährlich“, 13.1.2017
[3] Pressemitteilung vom 30.1.2017: „Wirtschaftsrat: IWF als Rettungspartner wichtiger als Griechenland im Euro“
[4] www.zeit.de
[5] www.rp-online.de
[6] Meldung der Nea Dimokratia vom 22.2.2017
[7] Meldung der PASOK vom 22.2.2017
[8] Beispielsweise wurde mir parteischädigendes Verhalten unterstellt („die Partei unter die 5% zu drücken“) und meine öffentliche Kritik als „Heckenschützen-Aktionen“ und „Dolche zücken“ verbrämt; vgl. Jens Berger (27.02.2017): Wer solche Parteifreunde hat, braucht keine politischen Gegner www.nachdenkseiten.de
[9] Klaus Busch/Axel Troost/Gesine Schwan/Frank Bsirske/Joachim Bischoff/Mechthild Schrooten/Harald Wolf: „Europa geht auch solidarisch. Streitschrift für eine andere EU“, 11/2016, VSA-Verlag, Hamburg, siehe auch www.axel-troost.de
[10] Mario Candeias: „No Exit – Falsche Gegensätze in der Euro-Debatte“, RLS-Standpunkte 7/2013
[11] Heiner Flassbeck/Costas Lapavitsas: „Die systemische Krise des Euro – wahre Ursachen und effektive Therapien“; 2013, Übersetzung aus dem Englischen: Deutscher Bundestag, Seite 81
[13] www.welt.de
[14] www.n-tv.de
[15] www.stuttgarter-zeitung.de
[16] www.presseportal.de
[17] Die Gefahr ist real. Auch in Deutschland ist die über Jahre hinweg mit nationalistischen Ressentiments beschallte Mehrheit der Menschen bereits für einen Grexit, siehe Spiegel (13.03.2015): Mehrheit der Deutschen für Grexit, www.spiegel.de