Erst angelockt, dann abgezockt!
Bundestagsrede von Matthias W. Birkwald am 10.03.2017
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Auf der Besuchertribüne begrüße ich den Vorsitzenden des Vereins der Direktversicherungsgeschädigten, Herrn Kieseheuer, und zehn seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter sehr herzlich.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie kämpfen gegen die Doppelverbeitragung Ihrer Betriebsrenten mit Krankenkassenbeiträgen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Kampf.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, vor 17 Jahren haben SPD, Grüne, Union und FDP das Rentenniveau gemeinsam in den Sinkflug geschickt und Lücken in die gesetzlichen Renten von Millionen von Menschen gerissen. Seitdem gilt: Jahr für Jahr hinken die Renten den Löhnen hinterher, Jahr für Jahr gibt es immer mehr ältere Arme, und Jahr für Jahr wird der Riester-Unsinn offensichtlicher.
Und was tun Union und SPD dagegen? Nichts. Sie sagen gebetsmühlenartig: Wir müssen die Rente zukunftsfähig machen. – Ich sage dazu: Sie wollen die Alterssicherung für die Unternehmen billiger machen. Sie wollen die Alterssicherung für die heute Beschäftigten teuer, kompliziert und unberechenbar machen. – Dazu sagt die Linke klar und deutlich Nein.
(Beifall bei der LINKEN)
Beim neuen Stern der SPD zeigt unsere Kritik der Linken Wirkung. Martin Schulz sagte am 20. Februar 2017 – Zitat –:
… es gibt keine sozial gerechtere Form der Absicherung für das Alter als die gesetzliche Rentenversicherung. Deswegen wollen wir zuallererst die erste Säule der Altersvorsorge stärken.
Und was tut die SPD? Arbeitsministerin Andrea Nahles legt heute kein Gesetz für eine Anhebung des Rentenniveaus vor, sondern nur ein sogenanntes Betriebsrentenstärkungsgesetz.
(Ralf Kapschack [SPD]: Darum geht es heute nicht, Matthias!)
Mit einem Rentenniveau von 53 Prozent könnte man den Lebensstandard aber wieder sichern. Genau das tun Sie nicht, liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Das ist schlecht.
(Beifall bei der LINKEN)
Nein, gegen den Verfall des Rentenniveaus helfen keine Sonntagsreden von Martin Schulz.
(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)
Gegen die immer weiter anwachsende Rentenlücke von vielen hart arbeitenden Menschen hilft nur ein Gesetz, mit dem endlich die Kürzungsfaktoren aus der Rentenanpassungsformel gestrichen werden.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Sag doch mal was zum Gesetzentwurf! – Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, lassen Sie Zwischenfragen zu?
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Bitte. Präsident
Dr. Norbert Lammert: Bitte sehr.
Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sehr geschätzter Herr Kollege Birkwald, danke schön, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sind Sie bereit, zu akzeptieren und anzuerkennen, dass Frau Ministerin Andrea Nahles zu Beginn ihrer Rede eindeutig gesagt hat, dass die Altersversorgung natürlich im Kern durch die gesetzliche Rente abgesichert wird? Das waren die Eingangsworte der Ministerin. Ihre Polemik hier bezog sich auf ein anderes Thema, nämlich die betriebliche Altersvorsorge. Das ist ein anderer Punkt, der on top kommen soll, wie in dieser Debatte eindeutig geäußert wurde. Sind Sie bereit, das anzuerkennen?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geschätzte Kollegin Wolff, ich kann zitieren: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. – Es wird zwar gesagt, die gesetzliche Rente solle gestärkt werden. Aber was wird gemacht? Es geht um die Betriebsrente.
Wir haben heute, Frau Kollegin Wolff, auch einen Antrag der Fraktion Die Linke auf der Tagesordnung, in dem wir aufgenommen haben, was Martin Schulz gesagt hat. Wenn Sie unseren Antrag umsetzten, dann erhielten heutige und künftige Rentnerinnen und Rentner deutlich höhere Löhne, und vor allem die Menschen mit niedrigen Löhnen würden deutlich bessergestellt und vor Altersarmut geschützt werden. Darum muss es doch gehen, Frau Kollegin Wolff.
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Koalition, was machen Sie denn mit Ihrem Betriebsrentenstärkungsgesetz? Sie sagen heute mit diesem Gesetz zu einer Geringverdienerin: Mit deinem Lohn landest du einmal in der Altersarmut; denn du verdienst zu wenig für eine armutsfeste gesetzliche Rente. Du riesterst zu wenig. Du gibst von deinem kargen Lohn zu wenig Geld für eine Betriebsrente aus, und du sorgst zu wenig für dein Alter vor. – Ich sage: Das ist Zynismus pur.
(Beifall bei der LINKEN – Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, lassen Sie noch eine weitere Zwischenfrage zu?
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Ja, selbstverständlich.
Dr. Martin Rosemann (SPD): Herr Kollege Birkwald, ich weiß ja, dass Ihnen die Beantwortung von Zwischenfragen Spaß macht. Deswegen will ich Ihnen gerne einen Gefallen tun und noch eine stellen.
Herr Birkwald, würden Sie vielleicht zwei Dinge zur Kenntnis nehmen?
Erstens. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass Frau Ministerin Nahles in ihrem Gesamtkonzept zur Alterssicherung Vorschläge zur Stabilisierung des Rentenniveaus der gesetzlichen Rente gemacht hat?
Zweitens. Würden Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, dass auch das Thema betriebliche Altersvorsorge unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten eine zentrale Rolle spielt? Denn – Frau Ministerin hat es ausgeführt – wir haben in Deutschland viele Beschäftigte, die Ansprüche aus betrieblicher Altersvorsorge erwerben, teilweise sogar sehr hohe. Es gibt aber auch sehr viele, vor allem in kleineren und mittleren Betrieben in bestimmten Branchen, beispielsweise im Einzelhandel, Geringverdiener, die keine Anwartschaften aus der betrieblichen Altersvorsorge haben. Damit haben wir, egal wie hoch das Niveau in der gesetzlichen Rentenversicherung ist, bei der Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge in Deutschland eine riesige Gerechtigkeitslücke zwischen denjenigen, die Ansprüche haben, und denjenigen, die keine haben. Deswegen ist die Politik genau an dieser Stelle gefragt, sich eben nicht nur um die gesetzliche Rente zu kümmern, sondern sich gleichermaßen auch um diese Gerechtigkeitslücke im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge zu kümmern.
(Beifall bei der SPD)
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geschätzter Kollege Dr. Rosemann, zunächst: Ja, die Ministerin hat einen Vorschlag gemacht, um das Rentenniveau zu stabilisieren. Das reicht aber überhaupt nicht. Wir haben heute ein Rentenniveau von 48,2 Prozent. Die Rente sollte den Lebensstandard wieder sichern. Dafür brauchen wir aber ein Rentenniveau von 53 Prozent. Das wäre heute und auch im Jahr 2030 finanzierbar.
Sie waren doch mit mir gemeinsam in Österreich und haben gesehen, wie man ein Rentensystem aufbaut, in dem die Männer das Doppelte an Rente bekommen und auch eine Bäckereifachverkäuferin und eine Floristin im Alter eine Rente bekommen, von der sie leben können. Das ist hier heute nicht der Fall, auch nicht mit Betriebsrente. Das ist der erste Punkt.
Nun zu Ihrer zweiten Frage. Man muss schon noch einmal sagen, worum es hier geht. Denn hier wird alles vermuschelt. Hier wird von bAV, von betrieblicher Altersversorgung gesprochen, obwohl es sich nur um betriebliche Altersvorsorge handelt. Was ist der Unterschied? Betriebliche Altersversorgung ist, wenn Ihr Arbeitgeber sagt: Martin, du machst einen guten Job. Ich gebe dir 200 Euro Betriebsrente bis an dein Lebensende.
(Rüdiger Veit [SPD]: Martin macht einen guten Job!)
Das ist betriebliche Altersversorgung. Da wird gehaftet, da wird zugesagt, dass man das Geld bekommt. Was ist betriebliche Altersvorsorge?
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Das habe ich nicht gefragt!)
–Das kann ich mir vorstellen; aber das ist genau der Punkt, um den es hier geht. – Sie fördern doch nur Vorsorge. Vorsorge von wem? Von Menschen, die häufig mit Entgeltumwandlung – das geschieht mittlerweile überwiegend – ihr eigenes Gehalt zur Betriebsrente machen.
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Wir fordern Arbeitgeberfinanzierung!)
Die Menschen, die dort oben auf der Tribüne sitzen, müssen, wenn sie ihre Betriebsrente bekommen, dann auch noch doppelt Krankenversicherungsbeiträge zahlen.
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Arbeitgeberfinanzierte betriebliche Altersvorsorge!)
Ich sage Ihnen: Wenn man Entgeltumwandlung macht und der Arbeitgeber nicht mindestens 50 Prozent oder mehr dazugibt, tut man besser daran, das Geld in ein Sparkästchen oder unter das Kopfkissen zu stecken. Sie führen die Leute hier hinter die Fichte.
(Beifall bei der LINKEN)
Echte betriebliche Altersversorgung ist gut. Betriebliche Altersvorsorge mit weniger als 50 Prozent der Beiträge der Arbeitgeber ist schlecht.
(Beifall bei der LINKEN)
Jetzt geht es weiter. Sie sagen einem Beschäftigten mit Ihrem Gesetz: Sorry, die gute alte Zeit der betrieblichen Altersversorgung ist endgültig vorbei. Dass deine Beiträge später einmal mit Zins und Zinseszins ausgezahlt werden, muss dir dein Arbeitgeber genauso wenig garantieren wie eine Mindestrente. Er garantiert dir in Zukunft überhaupt nichts mehr. Er zahlt künftig nur noch ein bisschen Beitrag, und das war es. Eine Einstandspflicht, eine Haftung des Arbeitgebers, das feste Versprechen einer ordentlichen und verlässlichen Betriebsrente ist den Chefs einfach zu teuer. Das darf doch alles gar nicht wahr sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Union und SPD sagen den Menschen mit diesem Gesetz: Gib den Versicherungskonzernen und den Versorgungswerken noch mehr von deinem Lohn, und lass uns dann mal sehen, was die Aktienmärkte in Zukunft hergeben. Wenn es gut läuft: okay. Wenn es schiefläuft: Pech gehabt.
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Schon mal was von Risiko beim Sparen gehört?)
„Zielrente“ nennen Sie das. Sagen Sie „Pokerrente“. Das wäre ehrlicher.
(Beifall bei der LINKEN)
Wozu verpflichten Sie die Arbeitgeber? Frau Nahles hat es gesagt: zu 15 Prozent. 15 Prozent des Gehalts muss die Chefin oder der Chef zukünftig für die betriebliche Altersvorsorge der Beschäftigten dazubezahlen. Frau Nahles, auf meine Frage, wie viel der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin an Sozialversicherungsbeiträgen wirklich spart, wenn die Beschäftigten eine Entgeltumwandlung vornehmen, also ihre Betriebsrente überwiegend selbst finanzieren, haben Sie geantwortet: insgesamt 20,7 Prozent. Wir Linken sagen: Die Arbeitgeber dürfen keinen einzigen Cent an der betrieblichen Altersvorsorge ihrer Beschäftigten verdienen.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Gegenteil: Die Chefinnen und Chefs sollen sich an der Altersversorgung ihrer Mitarbeitenden beteiligen. Sie sollen sie finanzieren. Die Arbeitgeber sollen zeigen, dass ihnen ihre langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwas wert sind. Deshalb würde ein linkes Betriebsrentenstärkungsgesetz in § 1 feststellen: Um betriebliche Altersversorgung handelt es sich nur, wenn der Arbeitgeberanteil der Beiträge zwischen 50 und 100 Prozent liegt.
(Beifall bei der LINKEN)
Alles andere ist Vorsorge, und da gilt: Vorsicht an der Bahnsteigkante!
(Beifall bei der LINKEN)
In § 2 würden wir die sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung abschaffen. Sie ist genau das Gegenteil von dem, was Martin Schulz fordert, verehrte Frau Nahles. Sie stärkt nämlich die gesetzliche Rente nicht, sondern sie schwächt die gesetzliche Rente, und zwar doppelt: Die Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung senkt die eigenen gesetzlichen Rentenansprüche, und sie senkt die Renten aller Versicherten, völlig egal, ob sie über den Betrieb vorsorgen oder nicht. Dazu sagt die Linke: Das geht gar nicht.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Bundesregierung schätzt die Beitragsausfälle für die Entgeltumwandlung auf 3 Milliarden Euro – Herr Meister widerspricht nicht –,
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das war aber auch keine Bestätigung! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
und hinzu kommen die Steuerausfälle. Was machen Sie, Frau Ministerin Nahles? Sie führen grundsätzlich die automatische Entgeltumwandlung per Tarifvertrag ein. Sie wollen dieses schädliche Instrument auch noch mehr fördern. Was gilt denn nun, liebe SPD? Schulz oder Nahles? Gesetzliche Rente oder private Vorsorge?
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Na ja, mehr als Zwischenfragen zur Aufklärung zu stellen, können wir auch nicht machen! Jeder ist nur so gut informiert, wie er das selber sein will!)
Sie, Frau Nahles, stärken ja auch noch die private Vorsorge; denn Sie erhöhen mit diesem Gesetz die Riester-Zulage. Dabei wären die 3 Milliarden Euro pro Jahr an staatlicher Riester-Förderung in der Rentenkasse viel besser angelegt, statt in den Töpfen der Versicherungswirtschaft zu versickern.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Frau Ministerin, Sie haben eben vorgetragen: Sie führen Freibeträge bei der Grundsicherung im Alter ein. Auch hier die Frage: Schulz oder Nahles? Gesetzliche Rente stärken oder private Vorsorge erzwingen?
(Dr. Carola Reimann [SPD]: Das ist doch gar kein Widerspruch!)
Das sozialdemokratisch geführte Ministerium führt Freibeträge für die betriebliche Vorsorge und für die RiesterRente bei der Grundsicherung ein. Freibeträge für die gesetzliche Rente führen Sie nicht ein. Das ist ungerecht.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, zum Schluss noch ein deutliches Wort zu dem ganz besonderen Skandal der Doppelverbeitragung von den Betriebsrenten der Direktversicherten. Wer vor 2002 eine Direktversicherung abgeschlossen hat, muss dank Horst Seehofer, CSU, und Ulla Schmidt, SPD, seit dem Jahr 2004 rückwirkend doppelte Krankenversicherungsbeiträge zahlen. Der Bundesrat, der DGB, die IG Metall, die Arbeitgeber, die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung, die Sozialverbände und die Linke sind sich alle einig: Alle Betriebsrenten dürfen nur einmal und auf gar keinen Fall zweimal oder dreimal verbeitragt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Kollege Weiß, was bieten Sie den Betroffenen denn konkret an? Sie wurden erst mit Steuervorteilen in die Direktversicherung gelockt und dann rückwirkend und ohne Bestandsschutz abgezockt. Für die betrieblichen Riester-Renten ändern Sie das – gut. Aber ich fordere Sie auf: Schaffen Sie diese große Ungerechtigkeit für alle Betriebsrentnerinnen und Betriebsrentner ab!
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)
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