Überschrittene Abgaswerte in Kommunen zum Anlass nehmen für eine sozialökologische Investitionsoffensive
Angesichts der massiven Kritik an hoher Stickoxidbelastung in mehreren deutschen Städten hat Kanzlerin Merkel angekündigt, den Mobilitätsfonds für Kommunen auf eine Milliarde aufzustocken. Mit dem Geld aus dem Mobilitätsfonds sollen Kommunen die Infrastruktur für E-Mobilität verbessern und öffentliche Nahverkehrsangebote sowie den Fahrrad- und Fußgängerverkehr attraktiver machen. Das zusätzliche Geld stehe bereits im laufenden Haushalt zur Verfügung und zu den Förderberechtigten zählten alle Kommunen, in welchen die Grenzwerte für Luftverschmutzung überschritten seien. Zudem solle laut Merkel „sehr kurzfristig“ eine Koordinierungsstelle eingerichtet werden.
Viele KommunalpolitikerInnen begrüßten die Aufstockung als einen ersten Schritt – dagegen sprach die Umweltschutzorganisation BUND von einem „Beruhigungsmittel in der heißen Wahlkampfzeit“. Ich halte diese finanzielle Unterstützung der Kommunen durch den Bund für sinnvoll und dringend geboten, da viele kommunale Haushalte de facto ausgeblutet sind. Gleichzeitig sehe auch ich diesen kleinen Schritt als unzureichend an, sofern dieser keine Trendwende einleitet. Denn die Lage kommunaler Infrastruktur ist vielerorts weniger rosig, als die Verlautbarungen der Bundesregierung glauben machen wollen.
Bei Investitionen hinken Staat und Wirtschaft unseren Nachbarn hinterher
In der Summe investierten der deutsche Staat und die Privatwirtschaft zusammen seit 2002 relativ konstant zwischen 19,1 und 20,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zur Relation: Im vergangenen Jahr investierten die Unternehmen etwa 560 Mrd. Euro, der Staat nur etwa ein Zehntel davon – die gesamtwirtschaftliche Investitionsquote betrug exakt ein Fünftel der deutschen Wirtschaftsleistung. Im internationalen Vergleich ist das wenig: Im vergangenen Jahr investierten unsere neun Nachbarstaaten Dänemark, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Schweiz, Österreich, Tschechien und Polen durchschnittlich immerhin 1,5 Prozentpunkte ihrer Wirtschaftsleistung mehr – bei teilweise deutlich weniger guten Konjunkturdaten.
Das liegt auch, aber nicht nur, an den unterdurchschnittlich ausfallenden privaten Investitionen: Die deutsche Privatwirtschaft hat ihre Investitionsquote im Vergleich zu den meisten europäischen Nachbarstaaten zurückgefahren. Bis zur Finanzkrise 2008 ließen die Investitionen in Deutschland deutlich nach, während in vielen anderen EU-Ländern der Bauboom für eine Zunahme sorgte. Nach der Krise stabilisierten sich die Investitionen wieder, allerdings auf niedrigem Niveau. Zwar sind die privaten Investitionen in Deutschland zuletzt gestiegen, aber es fehle ihnen an Dynamik, insbesondere im Vergleich zu anderen Industrieländern - wie selbst das Wirtschaftsministerium bemängelt. Zwischen 1990 und 2005 waren die Investitionen stark rückläufig, seither stagnieren sie bei zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dabei wären beispielsweise allein für den Ausbau der digitalen Infrastruktur (Internet-Breitband, etc.) private Investitionen von 70 bis 100 Mrd. Euro bis zum Jahr 2025 erforderlich.
Private Investitionen hängen jedoch stark von den Konjunkturaussichten und der Nachfrageerwartung ab – welche von staatlichen Investitionen beeinflusst werden. Und obwohl momentan genug Geld da wäre: Hier setzt die Bundesregierung zu wenige und zu kleine Impulse – entgegen aller Wahlkampfreden und symbolischem Aktionismus. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist mächtig stolz auf seine Politik der „Schwarzen Null“: Dank guter Konjunktur und als vielfältiger Profiteur der Euro-Krise schwimmt Deutschland im Überschuss: fast 24 Mrd. Euro hat der Staat 2016 auf allen Ebenen – Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherung – mehr eingenommen als ausgegeben. Es ist der höchste Haushaltsüberschuss seit der Wiedervereinigung. Aber es wird nicht für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes genutzt.
Vor allem bei den Kommunen erschreckender Sanierungsstau und abgebaute Planungskapazitäten
Zwar sind die Investitionsquoten von Bund und Ländern relativ stabil, aber bei den Kommunen ist das Bild düster. Die eingebrochenen Investitionsquoten erhalten nicht einmal den Bestand. Vom jahrelangen Aufschwung, der vor allem Bund und strukturstarken Bundesländern gestiegene Steuereinnahmen bescherte, haben die Kommunen unterproportional profitiert, sodass in vielen Regionen der Republik zu wenig Geld in die kommunale Infrastruktur gesteckt werden kann. Dies ist besonders verheerend, sind doch gerade die Kommunen für den größten Teil der öffentlichen Infrastruktur verantwortlich.
Seit Jahren wurde in vielen Kommunen Personal abgebaut und die öffentliche Infrastruktur auf Verschleiß gefahren. Das Ergebnis sind gesperrte Brücken, marode Straßen, langsames Internet. Als sanierungsbedürftig gilt auch die Hälfte aller Schulen, in denen oft buchstäblich der Putz von den Wänden bröckelt. Laut jüngstem KfW-Kommunalpanel, für das die Staatsbank KfW jährlich eine repräsentative Zahl von Kämmereien in Städten und Gemeinden ab 2000 Einwohnern sowie in Landkreisen befragen lässt, ist der Sanierungsstau im letzten Jahr zwar um zehn Milliarden Euro leicht gesunken, verharrt jedoch weiterhin bei der unglaublichen Summe von 126 Mrd. Euro (am größten bei den Straßen, dicht gefolgt von den Schulen). Vor diesem dreistelligen Milliardenbetrag sind die niedrigen ein- bis zweistelligen Maßnahmenpakete der Bundesregierung als reine Notpflaster einzuordnen.
Im neuen Kommunalen Finanzreport der Bertelsmann-Stiftung lautet die Kernaussage: „Trügerische Ruhe bei den Kommunalfinanzen“. Alle zwei Jahre veröffentlicht die Organisation einen detaillierten Überblick über die Haushaltslage der deutschen Städte, Gemeinden und Landkreise. Das Fazit für 2016: Im Durchschnitt erzielen die Kommunen endlich wieder deutliche Haushaltsüberschüsse von insgesamt 4,5 Mrd. Euro. Wie jedoch treffend formuliert, trügt das Bild, denn die momentanen Überschüsse sind keinesfalls als Entwarnung oder gar als Trendwende zu sehen:
Erstens ergeben sich diese durchschnittlichen Überschüsse vor dem Hintergrund einerseits konjunkturell bedingt guter Steuereinnahmen sowie andererseits des drastisch zusammengestrichenen, nicht einmal mehr den Bestand sichernden Investitionsvolumens und vielerorts quasi völlig eingestampfter Planungskapazitäten in den kommunalen Bauämtern. Das aktuelle Plus in den Kassen ist vielerorts nicht mehr als ein Tropfen auf einem schon lange glühenden Stein.
Zweitens fallen, wenn dieser Durchschnittswert näher betrachtet wird, die großen Unterschiede zwischen den Kommunen auf. Vielen deutsche Städte können von diesen 4,5 Mrd. Euro nur träumen, denn diese Überschüsse entstanden vor allem in Bayern und Baden-Württemberg. In anderen Bundesländern bleiben viele Kommunen zurück, einige drohen regelrecht erdrückt zu werden von der immensen Schuldenlast. Das gilt vor allem für Kommunen im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen. Das Gefälle zwischen Arm und Reich wächst auch zwischen den Städten, nicht nur bei den Menschen, die in ihnen leben.
Bringen 18 Mrd. Euro die Trendwende? Leider wenig Licht am Horizont angesichts kommunaler Schuldenlasten
Die Bundesregierung hat erst im Laufe dieses Jahres, pünktlich zu den Bundestagswahlen, umgeschaltet und 18 Mrd. Euro direkt in die kommunalen Haushalte gegeben, vor allem für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit. Das ist viel Geld und endlich ein Schritt in die richtige Richtung – aber angesichts des jahrzehntelangen Aushungerns der Kommunen, ihrem daraus resultierenden Investitionsstau sowie teilweise erdrückenden Schuldenlasten reicht dies bei weitem nicht.
Das verdeutlicht insbesondere ein Vergleich der kommunalen Gesamtschulden nach Bundesländern. Während die kommunale Pro-Kopf-Verschuldung in Baden-Württemberg bei 744 Euro je EinwohnerIn liegt, beträgt sie im Saarland 3.733 Euro – mehr als das Fünffache! Auch viele Kommunen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen kämpfen mit Schuldenbergen: alle 17 am höchsten verschuldeten Kommunen Deutschlands liegen in diesen beiden Bundesländern.
Um die eigene Gestaltungskraft nicht vollends zu verlieren, greifen viele Kommunen zu einem Mittel, das mittlerweile als einer der Hauptindikatoren für eine kommunale Haushaltskrise gilt: Kassenkredite. Diese dienen eigentlich nur zur Überbrückung kurzfristiger Engpässe. Ähnlich den zumeist hohen Überziehungszinsen auf dem privaten Girokonto ist der Rückgriff auf diese Kredite teuer und führt durch höhere Zinslasten dazu, dass klamme Kommunen noch weiter hinter den Bundesdurchschnitt zurückfallen.
Während also manche Kommunen in Gebieten mit viel Wirtschaftskraft tatsächlich recht gut dastehen, gleicht die Situation in vielen strukturschwachen Regionen einem Teufelskreis: Hier sind Kommunen weiterhin im Minus und können sich nur noch über vergleichsweise teure Kredite finanzieren. Weil darüber wiederum jährlich große Summen in die Zinszahlungen und Schuldentilgung fließen, bleibt ihnen umso weniger Spielraum mehr für Investitionen. Dadurch geraten sie immer weiter ins Hintertreffen und haben keine Chance, aus eigener Kraft wieder zu den strukturstärkeren Regionen aufzuschließen. Denn um ihre Schulden aus eigener Kraft wieder abzubauen, bräuchten sie höhere Einnahmen, vor allem aus der Gewerbesteuer, die für Kommunen die wichtigste Einnahmequelle darstellt. Unternehmen durch gute öffentliche Infrastruktur sowie niedrige Gewerbesteuerhebesätze anzulocken, können sich jedoch nur die bereits wohlhabenden Kommunen leisten.
Der Bund dominiert die Rahmenbedingungen, darf sich daher nicht aus der Verantwortung stehlen
Bundesfinanzminister Schäuble sieht vor allem die Bundesländer in der Pflicht, die Ungleichheit unter den Kommunen zurückzudrängen. Da finanzschwache Kommunen jedoch überwiegend in finanzschwachen Bundesländern liegen, können die bundesweiten Strukturunterschiede nicht einmal annähernd nivelliert werden durch Landesbeihilfen oder kommunalen Finanzausgleich innerhalb der Bundesländer.
Immerhin hat der Bund in der zu Ende gehenden Legislaturperiode einiges getan: Die Kommunen wurden 2014 bis 2018 um insgesamt 26 Mrd. Euro entlastet. Allein sieben Milliarden Euro gingen an finanzschwache Kommunen. Diese wurden allerdings nur langsam abgerufen. Im vergangenen Jahr standen daher insgesamt noch 36 Mrd. Euro unabgerufen zur Verfügung, 45 Prozent mehr als zu Beginn der Legislaturperiode.
Auf dieser Basis propagiert der Finanzminister, es liege gar nicht am Geld, die Finanzmittel seien ja da, würden nur eben von den Planungsbehörden in Ländern und Kommunen zu langsam abgerufen. Selber Schuld also? Keineswegs, diese Schlussfolgerung wäre schlicht zynisch: Zwar ist es ein leichtes, die aufwändigen Standards gründlicher deutscher Projektplanungen zu kritisieren, aber diese stellten ja in der Vergangenheit auch kein unüberwindbares Hindernis dar. Das eigentliche Problem ist: Gerade in strukturschwächeren Regionen haben die ärmsten Kommunen nicht einmal mehr die personellen Planungskapazitäten, um die verfügbaren Investitions-Beihilfen und sonstigen Finanzierungsmittel vom Bund abrufen zu können. Dass die vorhandenen Mittel nicht abgerufen werden können, liegt daran, dass die dafür nötigen kommunalen Kapazitäten schon vorher kaputt gespart wurden. Hier müsste ebenfalls angesetzt werden, durch eine Wiederaufstockung der kommunalen Planungskapazitäten und ggf. Konzepte für eine öffentliche Beratungs- und Umsetzungsbehörde, die in Kooperation mit den Kommunen für diese größere Infrastrukturprojekte zeitnahe umsetzen kann.
Aber auch wenn alle vorhandenen Investitions-Töpfe abgerufen würden, müsste deutlich mehr Geld in die Hand genommen werden. Beispielsweise für die größte Baustelle: eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur, auch zur zeitnahen Reduktion der Abgasbelastung in deutschen Innenstädten. Die Bundesfinanzierung für den Öffentlichen Personennahverkehr liegt jährlich derzeit bei rund 340 Mio. Euro. Das reicht bei weitem nicht aus, um in Bahnen zu investieren und um zukunftsfähige Elektrobus-Systeme einzurichten. Wir brauchen mindestens eine Verdreifachung pro Jahr, ein Engagement des Bundes im Bereich von 1,0 bis 1,5 Milliarden Euro jährlich, und die Planungs- und Durchführungs-Kapazitäten, um diese auch sinnvoll zu verausgaben.
Schließlich könnte der Bund gegen die hohen Zinslasten überschuldeter Kommunen leicht etwas tun, ohne selbst auch nur einen Cent zu riskieren: Würden Bund, Länder und Kommunen endlich gemeinsam Anleihen aufnehmen, könnten endlich auch Länder und Kommunen von den einmalig Nullzins-Konditionen des Bundes profitieren. Natürlich müssten alle Gebietskörperschaften weiterhin für ihre eigenen Schulden gerade stehen, jedoch eben zu den gleichen einmalig niedrigen Nullzinsen.
Alle genannten Ausflüchte der Bundesregierung können somit nicht überzeugen. Zusammen mit den Ländern müsste dringend eine flächendeckende und nachhaltige Investitionsoffensive der Kommunen eingeleitet werden. Kommunen müssen endlich einen ihren Leistungen angemessenen Steueranteil erhalten, die gleichen günstigen Zinskonditionen wie der Bund, und zudem die entsprechenden Investitions-Töpfe angemessen aufgestockt und durch Unterstützung der Planungskapazitäten für alle Kommunen zugänglich gemacht werden.
In den letzten zwei Jahrzehnten und besonders seit der Bankenkrise 2007/2008 sind viele Menschen sozial verunsichert. Eine große Herausforderung bilden die sich verbreiternde Schere zwischen den finanzschwache Kommunen, Regionen und Ländern sowie den reichen Kommunen, Landesteilen sowie der Bundesinfrastruktur. Nur mit einer vernünftigen regionalen Angleichung der Lebensverhältnisse wird Deutschland auch künftig seine Stabilität, Sicherheit und Wohlstand erhalten können.
_______________
Die aktuelle Kolumne von Axel Troost finden Sie nachfolgend auch als PDF zum download. Weiter Kolumnen finden Sie auf www.die-linke.de
Ähnliche Artikel
- 17.02.2017
- 02.05.2016
- 19.10.2012
- 26.04.2012
- 25.10.2011
GREGOR GYSI: 90 Prozent unserer Zeit darauf verwenden, Politik zu machen