Die wehrhafte Demokratie braucht die kritische Zivilgesellschaft
20 Jahre Attac: Globalisierungskritiker und Stadt Frankfurt luden zur Diskussion in der Paulskirche ein
(ffm) Nicht erst die Ereignisse in Erfurt haben gezeigt: Die Grundpfeiler der Demokratie in Deutschland sind an vielen Stellen gefährdet. Zugleich schrumpfen Handlungsspielräume für bürgerschaftliches Engagement. „Zivilgesellschaft unter Druck: Die Bedeutung von kritischem Engagement für die Demokratie“ lautete denn auch der Titel der Diskussionsveranstaltung am Samstag, 15. Februar, in der Frankfurter Paulskirche, zu der das globalisierungskritische Netzwerk Attac und die Stadt Frankfurt gemeinsam eingeladen hatten. Anlass war das 20-jährige Bestehen von Attac Deutschland.
Oberbürgermeister Peter Feldmann begrüßte die 550 Gäste in der vollen Paulskirche und betonte, diese sei der richtige Ort für eine Diskussion über die zentrale demokratische Frage „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“. „Diese Veranstaltung hat eine Vorgeschichte“, sagte das Stadtoberhaupt und erinnerte daran, dass die Paulskirche am 15. September 2018 von Attac-Aktivistinnen und -Aktivisten symbolisch besetzt wurde. „Dieser Termin war kein Zufall. Denn der 15. September wurde von den Vereinten Nationen 2007 zum Internationalen Tag der Demokratie erklärt. Das Datum soll darauf aufmerksam machen, dass Demokratie nicht einfach so besteht, sondern man sich dafür einsetzen muss“, sagte Feldmann.
Aus diesem Grund habe sich der Oberbürgermeister, welcher sich seinerzeit auf einer Dienstreise in der Türkei befand, auch dagegen entschieden, die Paulskirche räumen zu lassen, da die Besetzung friedlich verlief und sich die Aktivisten für Demokratie einsetzten. „Wir brauchen Bündnisse, Netzwerke und wache Geister, die für unsere Demokratie streiten. Attac setzt sich seit 20 Jahren für gerechte Globalisierung und Demokratisierung sowie für eine ökologische, solidarische und friedliche Weltwirtschaftsordnung ein. Daher gratuliere ich heute gerne zum Jubiläum“, sagte der Oberbürgermeister.
Es sei höchste Zeit, Antifaschismus und den Kampf gegen Ausbeutung als bürgerlichen Minimalkonsens zu begrüßen, statt sie als angeblich radikale Ideologie abzuwehren, forderte die Journalistin Ferda Ataman in ihrer Auftaktrede. Doch wer sich engagieren wolle, müsse „immer noch erklären, warum wir in Deutschland Menschenrechte und Bürgerrechte durchsetzen wollen“, kritisierte sie. „Warum ist das so? Machen wir den Minimalkonsens wieder menschenfreundlich!“
Ob durch die Kriminalisierung von Seenotrettung, verschärfte Polizeigesetze, die Aushöhlung des Rechts auf Privatsphäre oder die Aberkennung der Gemeinnützigkeit: Unbequeme zivilgesellschaftliche Akteure haben zunehmend mit so genannten Shrinking Spaces zu kämpfen. Darin waren sich Luisa Neubauer von Fridays for Future, die Netzaktivistin Katharina Nocun, Jana Ciernioch von SOS Méditerranée und die AttacAktivistin Judith Amler bei der Diskussion auf dem Podium einig.
Während sich die EU komplett aus der Seenotrettung zurückziehe, führe die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung dazu, dass die Flucht übers Mittelmeer immer gefährlicher werde und kaum noch jemand die täglichen Menschenrechtsverletzungen an die Öffentlichkeit bringe, berichtete Jana Ciernioch: „Den Preis zahlen die Menschen, die auf der Flucht ertrinken. Unsere Aufgabe ist es, weiter vor Ort zu sein – damit das Mittelmeer keine Blackbox wird.“
Anders als den Seenotrettern ist es den Schülerinnen und Schülern von Fridays for Future im vergangenen Jahr gelungen, zivilgesellschaftliche Spielräume zu öffnen und mit Leben zu füllen, betonte Luisa Neubauer. Die Aktivistin beunruhigt aber, in welche Richtung sich der Klimadiskurs verschiebt: „Wenn Aktivist*innen zu ‚Klimahysteriker*innen‘ und Wissenschaftler*innen zu ‚Apokalyptiker*innen‘ degradiert werden, macht man Türen zu, die in diesen Tagen weit aufgestoßen werden müssten.“
Je stärker die Eingriffe in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger, desto kleiner der Spielraum für zivilgesellschaftlichen Protest. Auf diesen Zusammenhang machte Katharina Nocun aufmerksam: „Das Recht, seinen ‚eigenen Raum‘ zu haben, ist ein wichtiges Fundament vernetzter Demokratie. Wenn Wirtschaft und Strafverfolgungsbehörden darauf dringen, dass man gefälligst ‚nichts zu verbergen‘ haben sollte, gerät dieses Fundament unter Druck.“
Repressionen wie in vielen autoritär regierten Staaten sind in Deutschland kaum denkbar, stellte Judith Amler klar. „Doch ein vermeintlich niedrigschwelliger erster Schritt zur Einschränkung von Rechtsstaat und Demokratie ist der Versuch, Finanzierungsquellen für nichtstaatliche Akteure auszutrocknen, etwa indem ihnen wie Attac die Gemeinnützigkeit entzogen wird. Dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren. Es gilt, die freie Meinungsund Willensbildung zu verteidigen und eine verlässliche Finanzierung auch für kritische Stimmen zu sichern. Denn die wehrhafte Demokratie ist auf aktive Bürgerinnen und Bürger und eine wache Zivilgesellschaft angewiesen.“
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