Vorwärts Genossen, zurück zum Kapitalismus?
Der Abgeordnete der Linken im Europäischen Parlament, André Brie fordert innerparteiliche Opposition zu Lafontaine. (PR-Sozial vom 28.7.2007, Spiegel, Denken in Schwarz-Weiß) Doch macht das Sinn und wem nützt es unter den gegenwärtigen Bedingungen?
Die Linken haben sich vereinigt. Aus der ehemaligen jüngeren WASG und der viel mehr älteren Linkspartei.PDS ist DieLinke. geworden. Auf ihrem Bundesparteitag gerierte sich die Partei als eine der fortschrittlichen im Parteiensystem der Bundesrepublik, quasi als oppositionelle Kraft, als parteipolitische Option mit der Fähigkeit zum Gegenmaß im Ausgleich zur bestehenden neoliberalen Politik, deren wiederum zahlreiche Facetten der Ausbeutung bis hin zur verdeckten wirtschaftspolitischen Diktatur einerseits für die Bürger kaum mehr nachvollziehbar sind und andererseits aber irgendwie eingedämmt werden müssten.
Das Irgendwie führte dann im Verlaufe des Bundesparteitages der Linken (ihr Gründungsparteitag im Juni 2007) zur ‚Freiheit durch Sozialismus' und zum ‚Systemwechsel'. Immer wieder starten Redner der Linken revolutionäre Medienballons, um zu sehen, wo und wie (irgendwie) sich die Bürger zur Gegenwehr bemühen. Das ist auch wünschenswert und notwendig.
Die politischen Gewichtungen und Strömungen der Partei selbst sind dabei höchst unterschiedlich und finden im öffentlichen Interessenraum wenig Beachtung durch die Bürger, so dass Bries Botschaft einen Brandgeruch in sich trägt, der an Ausgrenzung erinnert. Brie ist gewiss einer, der die Stromlinien innerhalb der Linken zu bewerten weiß.
«Wir stellen Forderungen und denken zu wenig darüber nach, welche realistischen Lösungsmöglichkeiten es gibt. Wir sind in der Gefahr, eine reine Protestpartei zu werden.», lies André Brie vermelden.
Indes, so vermeldet auch Bries Büro aus Brüssel, sei die Welt und in ihr Europa und da Deutschland auf dem realistischen Wege in eine sozial ungerechte und damit dramatische Zukunft für bestimmte, ausgegrenzte Bevölkerungsschichten.
Eine Variante, eine flächendeckende davon ist – inzwischen unumstritten – die Privatisierung großer Teilbereiche der öffentlichen Daseinsfür- und vorsorge, so beispielsweise auch der kommunale Verkauf der WOBA Dresden an den Hedgefonds „Fortress Ltd" im vergangenen Jahr. Dieser Verkauf, wie ebenso weitere Ausverkäufe und drohende Privatisierungen der Bereiche des ‚öffentlichen Sektors' (Telekom, Deutsche Bahn, Post) mit hohem regulativen Grundanspruch sind die Ergebnisse von Kapitalismus, seine Ziele schlechthin.
In der Auseinandersetzung mit der SPD ist Lafontaine weniger auf Feindschaft eingestellt, als Brie es ihm vorwirft und als die SPD es in Bezug auf die neue Linke selbst ist. Natürlich wird auch Oskar Lafontaine von einer potenziellen Allianzpartnerin wie der SPD (man könnte sich ja ändern) verlangen dürfen, politische Ziele klar zu benennen und auch danach zu handeln oder sich andernfalls als Koalitionspartnerin aus dem Rennen zu nehmen.
Brie fordert auf, zu überlegen, ob eine strategische Allianz mit der SPD auf Bundesebene nicht doch ratsam sei – so bereits 2009.
Dabei ist es von Brie eigentlich eher ungeschickt, eine psychische Abhängigkeit vom Kampf gegen die SPD aus persönlichen Gründen bei Oskar Lafontaine ausmachen zu wollen:
„Lafontaine sei «nach dem Bruch mit der SPD psychologisch in einer schwierigen Situation«. Er könne aber nicht »die gesamte Linkspartei in eine radikale Feindschaft zur SPD zu führen, nur weil er selbst diesen Bruch schwer verarbeiten kann»." (ebd.)
Die Linkspartei ist inzwischen Geschichte, als Struktur ist sie verschwunden und ebenfalls Teil einer neuen Partei – DieLinke.. Lafontaine selbst hat in mehreren Interviews und öffentlichen Beiträgen dargetan, nicht mehr nur allein im Widerstand gegen die SPD, gegen ihre Politik zu agieren, sondern darüber hinaus gegen unsoziale Politik der Regierenden überhaupt aufzutreten. Nichts anderes ist erkennbar in seinem Reden und in seinem Handeln. Man mag geschmacklich darüber streiten, welches System nach dem Wechsel bei Lafontaine eine Rolle spielen soll, doch Geschmack ist bekanntlich wenig streitbar. Was also möchte André Brie sagen und wen ruft er zur innerparteilichen Opposition auf?
Die beispielsweise jüngst in Dresden zugenommene Auseinandersetzung zwischen Teilen der Regierungssozialisten und der so bezeichneten Fundamentalopposition in der Fraktionsfrage (neue Linke oder alte PDS im Stadtrat Dresdens) lässt erkennen, dass in weiten Teilen der neuen Linkspartei eine Meinung herrschen soll, wonach der Kapitalismus das nächste Ziel sei, wenn man den realpolitischen Ansätzen der Befürworter von Privatisierung der öffentlichen Daseinsfürsorge Glauben schenkt. Hingegen ist nach außen und an der Parteibasis vom Demokratischen Sozialismus die Rede. Das ist den Bürgern kaum noch vermittelbar – gerade im Osten nicht! Die Basis der Partei weiß mit einem ‚kapitalistischen Sozialismus' nichts anzufangen.
Überhaupt lassen zahlreiche Funktionäre der ehemaligen Linkspartei in der neuen Linken die Vermutung durch ihre Äußerungen entstehen, es könne vielleicht doch einseitig verstanden werden, nur eine Protestpartei zu sein oder sich ‚nur gegen Armut' einzusetzen. Man will schließlich salonfähig werden – also mitmischen.
Unter dem gleichen Fieber litt die SPD in den 1990er Jahren. Sie vergaß darüber – sowohl in der Landes- und Kommunalpolitik als auch auf der Bundesebene die Tradition einer Opposition selbst innerhalb einer Regierungskoalition im Auftrag ihrer Klientel. Sollte die von André Brie eingespielte Momentaufnahme Lafontaines am Anfang der Jahrtausendwende eine allgemeine Gültigkeit für ideologisch handelnde Funktionäre besitzen, so müsste umgekehrt sich Brie ebenfalls damit zufrieden geben, dem Trauma einer bundespolitisch unattraktiven Partei, der PDS in den 1990er Jahren, unterworfen zu sein.
Beide, bisher aus anderen Parlamentslagern kommenden Behauptungen (zu Lafontaine und zur PDS als Nachfolgerin der SED) waren und sind die Argumente für die Neugründung der Partei, nachlesbar in den Programmatischen Eckpunkten und beschlossen auf dem Gründungsparteitag der Linken in Berlin im Juni 2007. Es ist also unverständlich, weshalb in Zeiten des rasant zunehmenden Imperialismus als einer höheren Etappe des Realkapitalismus die alternative Vision nicht zunächst vom Protest her aufbereitet sein soll. Das wäre angesichts einer solch bösartigen Realität doch nur folgerichtig und aussichtsreich für das Erreichen der Überwindung des Systems. Es ist kaum vorstellbar, dass danach die CDU oder die Liberalen freiwillig eine Regierungsmehrheit bilden würden, um sozialistisch zu regieren.