Wird das Saarland kommunistisch?
RÜCKEROBERUNG SOZIALER SOUVERÄNITÄT (2*) - Was Oskar Lafontaine von Peter Müller (CDU) und Heiko Maas (SPD) unterscheidet
Gerade weil es nicht postmodern affiziert ist, sondern noch zwischen Design und Sein unterscheiden kann und die Fragen aufwirft, die eine Mehrheit der Menschen umtreiben, lohnt es, Lafontaines Programm zu studieren. Um über den Kapitalismus, der sich tot gesiegt hat, aber nicht sterben kann, hinauszukommen, schlägt er vor allem eines vor: die öffentliche Daseinsvorsorge auszubauen und zu verteidigen.
Rosa Luxemburg hatte Unrecht, als sie das Akkumulationsregime des Kapitalismus an Grenzen der inneren Landnahme stoßen sah, die er durch den Imperialismus oder durch eine krisenhafte Binnenrationalisierung zu überwinden trachtet. Dass er seine Kampfzone durch den Zugriff auf die öffentliche Daseinsvorsorge ausweiten würde, war für sie nur schwer vorstellbar. Gerade die galt - auch wenn die Begrifflichkeiten zu Luxemburgs Zeiten andere waren - als Bedingung für das Funktionieren dieser Wirtschaftsordnung. Doch inzwischen bemächtigt sich - hereingelassen durch die Politik - das Kapital mehr und mehr der staatlichen Domänen. Die gesellschaftliche Infrastruktur - von öffentlichen Unternehmen hergestellt - wird zum Objekt seiner Einflussnahme. Das Gemeinwesen wird nach den gleichen betriebswirtschaftlichen Kriterien gemessen wie ein kapitalistischer Betrieb. Und wenn es diesen nicht genügt, dann stehen Privatisierung, "Public Private Partnership" und "Cross Border Leasing" an.
Dass durch eine private Bahn, ein Outsourcing kommunaler Dienste, eine börsennotierte Telekom, eine Transformation der Post in einen globalen Logistikkonzern, einen Verkauf kommunaler Wohnungen an so genannte Reits (Immobiliengesellschaften) irgendetwas besser würde, glauben heute nur noch die Profiteure des Ausverkaufs. Der Gebrauchswert öffentlicher Dienstleistungen lässt nach, wenn sie unter das Profitkalkül gestellt werden. Lafontaine hat messerscharf erkannt: Daraus ergibt sich heute eine der maßgebenden sozialen Konflikte - der lokale Staat, die Kommune, ist verteidigenswert. Ja, sogar die Energieversorgung muss den privaten Monopolen wieder entrissen werden (s. Freitag 48/07).
Den Beschäftigten ihre Würde wieder zurückgeben
Einer solchen Parteinahme für die "Gemeinwirtschaft" auf den Feldern der Daseinsvorsorge werden rituell die leeren Kassen der klammen Kommunen, der Länder und des Staates entgegengehalten. Lafontaines zweites Projekt will da Abhilfe schaffen. Ihm will nicht einleuchten, dass der unermessliche private Reichtum einer Minderheit für die Finanzierung der Staatsaufgaben weitgehend unangetastet bleibt. Die Geldeliten, die andere mit der andauernden Beschwörung des Leistungsprinzips nerven, nehmen sich davon großzügig aus. Ihr Reichtum kann unmöglich durch Leistung verdient sein. Die Konsequenz, die Lafontaine zieht, lautet, leistungsgebundenes Einkommen mäßig und das einem qua Zufall oder Glück (Erbe) zugefallene Vermögen scharf - ja, ab einer bestimmten Höhe mit 100 Prozent (!) zu besteuern.
Der Kapitalismus tendiert dazu, die Arbeitskraft wie eine Ware zu behandeln. Er kauft sie, wendet sie an, vernutzt sie, drückt ihren Preis, wirft sie weg, wenn er sie nicht mehr braucht. Dagegen ist die Arbeiterbewegung aufgestanden und hat Mindeststandards bei Bezahlung, Behandlung und Schutz der Arbeitskraft durchgesetzt. Diese Standards erodieren heute zusehends. Die Stichworte lauten: Prekarisierung, Niedriglohnsektor, Arbeiten ohne Ende, Leiharbeit. Im Kern will das neoliberale Projekt die Arbeit verbilligen und flexibilisieren, sprich: gefügig für alle Launen des Marktes machen. Ein mächtiger Katalysator hierfür sind die Hartz-Reformen, deren hidden curriculum die Erpressung der Noch-Beschäftigten, die Senkung des Werts der Arbeitskraft ist. Deshalb müssen diese Gesetze nicht nur korrigiert, sondern ganz zurückgenommen werden, sagt Lafontaine. Gegen die radikale Kommodifizierung der Arbeit stellt er - mit den Gewerkschaften - das Vorhaben "Gute Arbeit": qualifizierte Arbeit mit auskömmlichen Löhnen, mit guten Arbeitsbedingungen und einer fairen Behandlung durch das Management, Mindestlöhne, Nein zur Rente mit 67, kein Übermaß an Überstunden - all diese Forderungen zielen darauf ab, den Beschäftigten ihre Würde wieder zurückzugeben, die ihnen ausgerechnet die modernen Sozialdemokraten genommen haben. Lafontaine ist es bitterernst mit diesem Vorhaben, er drückt die Stimmung großer Teile der Belegschaften aus. Er scheut sich nicht, dafür den Generalstreik in Erwägung zu ziehen und damit an die großen Debatten innerhalb der alten Sozialdemokratie über den Massenstreik anzuknüpfen.
Ein erster Schritt gegen das zynische Portfoliomanagement der Finanzmärkte
Lafontaine war schon einmal "der gefährlichste Mann Europas", als er 1998 den liberalisierten Finanzmärkten den Kampf ansagte. Die Abscheu vor dem Casino-Kapitalismus, vor der Macht der Analysten und Rating-Agenturen, vor dem Treiben der Hedge-Fonds und Privat Equity-Gesellschaften ist eine Konstante in seinem Denken. Dass sich heute der Wert eines Unternehmens nicht mehr nach seiner Leistungsbilanz bemisst, sondern danach, wie es die Spielregeln der Finanzmärkte befolgt, erbost ihn zutiefst. Wenn er den Interessenvertretungen wie den Betriebsräten ein Veto-Recht gegen das Outsourcing von Unternehmensteilen einräumen will, ist das ein erster kleiner Schritt gegen das zynische Portfoliomanagement, das die Finanzmärkte den Unternehmen aufherrschen wollen.
Der Kapitalismus treibt Raubbau mit dem Arbeiter wie mit der Natur und untergräbt damit die Springquellen des gesellschaftlichen Reichtums, wusste schon Marx, der die Morgenröte dieses Systems analysiert hat. Was er nicht bedachte, war die Lernfähigkeit des Kapitalismus, der selbst den Widerstand gegen ihn zu einem Geschäft machen, der Protest in Pop, das ökologische Desaster in Photovoltaik und Bionade verwandeln kann.
Der Klimawandel aber überfordert offenkundig die Intelligenz des Kapitalismus. Lafontaine meint, mit ihm stelle sich die Systemfrage. Denn bei all seiner Geschmeidigkeit und Integrationsfähigkeit ist und bleibt der Kapitalismus ein Steigerungsspiel, das vom Ressourcenverzehr lebt. Entschleunigung, Nachhaltigkeit, Langfristigkeit, geschonte Ressourcen und eine verringerte Mobilität, Regionalisierung statt Globalisierung - diese einzig wirksame Medizin gegen eine weiter aufgeheizte Atmosphäre schmeckt ihm gar nicht (er bevorzugt die "Effizienzrevolution", um nichts an seiner Funktionsweise ändern zu müssen).
Der Klimawandel überfordert die Intelligenz des Kapitalismus
Ob all diese Gebote jetzt Inkubationsprojekte für den Sozialismus sind oder sich eignen, einen zusehends aus dem Lot geratenden Kapitalismus noch einmal zur Vernunft zu bringen, wird sich zeigen. So viel ist sicher: Der Antritt Lafontaines bringt die Saarländer in die - demokratietheoretisch gesehen - glückliche Lage, eine Wahl zwischen zwei wirklichen Alternativen zu haben. Was Lafontaine von den Peter Müllers und Heiko Maases unterscheidet, das ist der Umstand, dass er ein Ende des Kapitalismus denken kann und das für ihn nicht das Ende, sondern eine Chance für unsere Zivilisation ist, mit den großen Herausforderungen der Zukunft vernünftig umgehen zu können.
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