Vom Mut, konsequent links zu sein
An diesem Wochenende findet in Cottbus der 1. Parteitag der LINKEN statt. Die Delegierten würden gut daran tun, sich programmatisch zu anspruchsvollen linken Positionen zu bekennen und nicht so vorsichtig wie die alten Parteien zu werden, die ständig fürchten, durch mutige Reformideen Wähler zu verprellen. Die Linkspartei hat doch das politische Glück, noch eine kleine Gruppe in der parlamentarischen Arithmetik zu sein, also: Sie kann sich etwas trauen, statt wie die Links-Koalitionäre in Berlin durch zu viel Anpassung an die SPD sozialistische Substanz zu verlieren – was auch Stimmen kosten kann.
Glücklicherweise hat die Parteiführung nicht versucht, linke Gewagtheiten durch einen mäßigenden Leitantrag zu deckeln. Dieser fasst im Gegenteil eine Reihe zukunftsweisender, präziser Forderungen zusammen. Ich nenne nur die Forderung der Rückführung privatisierter kommunaler Unternehmen (Wasser, Gas, Strom, Krankenhäuser u.ä.) in öffentliches Eigentum, das »Zukunftsinvestitionsprogramm« mit den Schwerpunkten Bildung, Gesundheit, Umwelt, kommunale Daseinsvorsorge im Umfang von 50 Milliarden Euro pro Jahr, durch das eine Million tariflich bezahlter Arbeitsplätze geschaffen werden können, und den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan.
Dennoch sollte sich die LINKE mehr zutrauen und im Sinne der freundschaftlichen Provokation das Folgende aufnehmen. Die wirtschaftspolitische Strategie der LINKEN müsste endlich in einem obersten Zielbegriff zusammengefasst werden, der einer guten, aber leider weithin vernachlässigten Tradition des demokratischen Sozialismus folgt: der Wirtschaftsdemokratie. Diese kann in drei Prinzipien zusammengefasst werden: Erstens gehört dazu eine demokratische Wirtschaftspolitik, inklusive staatlicher Globalsteuerung, der Planung des Arbeitsmarktes (systematischer Arbeitszeitverkürzung) und der Lenkung von Investitionen. Zweitens geht es um eine Kontrolle der globalisierten Konzernmacht. Drittens geht es um Mit- und Selbstbestimmung in der Arbeitswelt.
Ein weiteres Defizit ist der mangelnde Respekt der LINKEN gegenüber dem zunehmenden Selbstbewusstsein einer großen Mehrheit der Ostdeutschen. Je länger es die deutsche Einheit gibt, desto klarer wird, dass es in der DDR nicht nur schwerwiegende staatliche Repressionen und ökonomische Defizite gab, sondern auch sehr beachtenswerte ökonomische und sozial-kulturelle Leistungen. Erwähnt seien nur die Agrargenossenschaften, die Entwicklung einer durchaus nicht »systemtreuen« expressionistischen Bildenden Kunst, das polytechnische Prinzip in der Bildung, die deutschsprachige Rockmusik, die Polikliniken, die größere Selbstständigkeit der Frauen. Die LINKE sollte sich endlich couragierter einsetzen für eine neue, konstruktiv-kritische Diskussion solcher sozial-kultureller Einrichtungen, die nicht dem autoritären Herrschaftssystem dienten, sondern einer humanistischen und sozialistischen Entwicklung der Menschen und der Gesellschaft.