»Wir brauchen eine Schufa für Banken«
DGB-Chefvolkswirt Dierk Hirschel sieht in der Finanzkrise in erster Linie die Politik gefordert
Dringend nötig ist eine striktere Finanzmarktregulierung auch in Deutschland, meint Dierk Hirschel, Referatsleiter für Makropolitik und Konjunkturanalyse beim DGB-Bundesvorstand. Er sieht die Finanzpoli-tik aber auch gefordert, den Einbruch der Konjunktur durch ein 25-Milliarden-Euro-Programm aufzufangen. Mit dem Volkswirt (geb. 1970) sprach Kurt Stenger.
ND: Wer muss sich in Deutschland angesichts der verschärften Finanzkrise mehr Sorgen machen – der Bank-, der Versicherungskunde oder eher der Arbeitnehmer?
Hirschel: Bei den Banken schützt die Kunden ein Einlagensicherungsfonds, der zumindest Geldanlagen bis 20 000 Euro absichert. Versicherungskunden schauen allerdings in die Röhre. Die Renditen der Lebensversicherungen, der Riester- und Rürup-Renten-Verträge mit hoher Aktienquote werden in den Keller gehen. Und natürlich schwächt die Finanzkrise die Konjunktur. Wenn Banken Liquidität horten und ihr Eigenkapital schmilzt, werden Unternehmenskredite teurer, weshalb weniger investiert wird. Die Folge ist ein schwächeres Wirtschaftswachstum, was auch abhängig Beschäftigte betrifft – durch Arbeitslosigkeit und schlechtere Lohnentwicklung.
Für die Versicherungsbranche ist das unwahrscheinlich. Das Anlegeverhalten von Versicherungen ist hierzulande streng reguliert. Aber das ist ein Relikt aus einer Zeit, in der Regulierung noch großgeschrieben wurde. Zudem helfen die besten Regeln nichts, wenn die Aufsicht schläft.
Die Bankenregulierung hat aber heute große Lücken.
Das Schattenbankensystem – ausgegliederte Zweckgesellschaften tätigten in Dublin Geschäfte, die nach deutschen Regeln unmöglich gewesen wären – ist auf das Versagen der Aufsichtsbehörden zurückzuführen. Zudem hat der unregulierte Derivate-Handel zugenommen. Wir wissen nicht, wo sich die Risiken befinden und wie hoch sie sind. Darüber hinaus agierten Hedge-Fonds und Finanzinvestoren im nahezu rechtsfreien Raum. All dies war Folge der Deregulierung der vergangenen Jahre.
Welche Lehre ist zu ziehen?
Die Selbstregulierung des Marktes funktioniert nicht. Wir brauchen eine stärkere Rolle des Staates. Natürlich lässt sich nicht verhindern, dass Spekulationsblasen entstehen, aber, dass sie so häufig entstehen und so groß werden wie zuletzt. Es geht darum, den Sumpf der Schattenbanken trocken zu legen. Zudem darf der Handel mit Kreditderivaten nur noch reguliert über Terminbörsen laufen. Kredite an Hedge-Fonds sollten für die Banken durch schärfere Eigenkapitalvorschriften erheblich teurer werden. In der Eurozone brauchen wir ferner eine Art Schufa für Banken – ein internationales Kreditregister, das aufzeigt, wo die Kreditrisiken liegen. Und ein ganz wichtiger Punkt ist für uns, dass die Haftungsfrage im Bankenbereich endlich vernünftig geregelt wird.
Derzeit haftet am Ende der Steuerzahler für Verluste.
Richtig. Das ist zwar gegenwärtig alternativlos, da die Folgeschäden sonst noch viel größer wären. Aber künftig müssen wir Regeln finden, damit die Haftung der Finanzakteure gewährleistet ist. Die privaten und öffentlichen Banken der Eurozone müssten einen Haftungsverbund, schaffen, der einspringt, wenn sich jemand verzockt hat. Hier sind die USA weiter als wir.
Ist die Rezession unvermeidbar?
Wir befinden uns bereits im Abschwung. Die Frage ist nur, wie lange und wie tief dieser wird. Im Schnitt dauert ein Abschwung in Deutschland 28 Monate oder zweieinhalb mal so lang wie in den USA. Der Grund: In den USA gibt es eine aktive Wirtschaftspolitik, die versucht, Konjunkturabschwünge abzufedern. Der deutsche Finanzminister weigert sich aber auch jetzt, den Abschwung abzufedern. Und die Europäische Zentralbank senkt nicht die Zinsen. Beides führt dazu, dass der Abschwung länger und tiefer wird als nötig.
Wie lautet Ihre Botschaft für die laufenden Haushaltsberatungen?
Wir fordern ein 25 Milliarden Euro schweres Konjunkturprogramm mit öffentlichen Investitionen in die Bereiche Bildung, Gesundheit und Klimaschutz. Dies entspräche einem Prozent des Sozialproduktes und damit dem Umfang, den die US-Amerikaner in die Hand genommen haben.
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