Im Jammertal der Steuerzahler
Zur Verteilung von Steuerersparnis und Steueraufkommen: aufschlussreiche Einkommensteuerstatistik
Der Vorwahlkampf hat begonnnen – und mit ihm die Debatte um Steuern und Abgaben. Die soeben erschienene Einkommensteuerstatistik des Statistischen Bundesamtes eröffnet, wenn auch nachträglich für das Jahr 2004, aufschlussreiche Einsichten in die steuerpolitischen Tendenzen des letzten Jahrzehnts der Bundesrepublik.
Steuerersparnis betrifft vor allem Einkommensmillionäre
2004 ist gegenüber 2001 insgesamt ein Einkommensteuerrückgang zu verzeichnen: 2004 lag die gesamte Einkommensteuerquote bei nur 20,3 Prozent – im Vergleichsjahr 2001 waren es noch 21,6 Prozent. Wem die Ersparnis zu Gute kommt, ist je nach Höhe des persönlichen Einkommens sehr unterschiedlich ausgeprägt: Wer sich in der Einkommensgruppe von über einer Million Euro Jahreseinkommen wieder findet, konnte im Vergleich zu 2001 jährlich im Schnitt 127.000 Euro zusätzlich auf seinem Konto verzeichnen, während die durchschnittliche Ersparnis aller Steuerpflichtigen mit nur 341 Euro im Jahr – weniger als 30 Euro monatlich – zu Buche schlug. Die unteren Einkommensgruppen mussten sich mit gerade einmal 80 Euro jährlich begnügen. Bezieher niedrigster Einkommen von maximal 10.000 Euro jährlich hatten sogar Mehrbelastungen in Kauf zu nehmen.
Mit anderen Worten: Für Einkommensmillionäre ist die Einkommensteuerquote von 42,9 Prozent 2001 auf 38 Prozent 2004 gefallen. Oder: 0,02 Prozent der Steuerpflichtigen erhielten mehr als zehn Prozent der gesamten Einkommensteuerersparnis des Jahres 2004 gegenüber dem Jahr 2001.
Elektronische Lohnsteuerbescheinigungen verändern die Statistik
Vor 2004 hing der Nachweis der Lohnsteuerkarten davon ab, ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer die Karten ausgefüllt dem zuständigen Finanzamt übermittelt hatten. Das gelang nur unvollständig. Mit der kompletten Einführung der elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen erscheinen im Jahr 2004 rund sechs Millionen mehr Steuerpflichtige in der Einkommensteuerstatistik als noch 2001. Höchst bemerkenswert dabei ist, auf welche Einkommensgruppe die damit verbundene Mehrarbeit der Steuerbehörden entfällt: Fast vier Millionen der zusätzlich Registrierten beziehen ein Jahreseinkommen von maximal 10.000 Euro.
Die Auswirkung auf die Interpretation der Einkommensteuerdaten ist erheblich. Zum einen ermöglicht die nun vervollständigte Datenlage, das Ausmaß von Niedrigeinkommen in der Bundesrepublik realitätsnah darzustellen: Von den insgesamt 35 Millionen Steuerpflichtigen verfügen über ein Viertel lediglich über Jahreseinkünfte von bis zu 10.000 Euro – der überwiegende Teil stammt aus nichtselbständiger Tätigkeit. Einen überdurchschnittlichen Anteil an Niedrigeinkommen verzeichnen neben den neuen Bundesländern auch die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg.
Zum anderen überzeichnet die Aufnahme von mehreren Millionen Steuerpflichtigen aus dem untersten Bereich der Einkommensskala mit einem sehr geringen Steueraufkommen die vermeintliche Überbelastung hoher und höchster Einkommensbezieher. Obwohl eine bedeutende Steuerentlastung der obersten Einkommensgruppen 2004 gegenüber 2001 erfolgte, kann bei einem oberflächlichen Vergleich beider Jahre behauptet werden, dass die Steuerbelastung für die obersten Einkommensgruppen zugenommen habe: Während 2001 90 Prozent der gesamten Einkommensteuer von 43 Prozent der Steuerzahler getragen wurden, waren es drei Jahre später nur noch 37 Prozent. Zu erwartende neue Klagelieder über die wachsende Asymmetrie der Einkommensteuerverteilung zu Lasten der hoch und höchst Bezahlten fußen lediglich auf einem statistischen Effekt.
Kapitaleinkommen: konzentrierte Vermögen, geringe Steuerlast
Die am ersten Januar 2009 einsetzende Abgeltungsteuer von 25 Prozent entlastet all jene, deren persönlicher Einkommensteuersatz höher liegt. Doch schon bisher leisten die Einkommensbezieher mit einem Jahreseinkommen von über 125.000 Euro einen unterproportionalen Beitrag zum Steueraufkommen aus Kapitalvermögen: Während sie 40 Prozent des zu versteuernden Kapitalvermögens besitzen, tragen sie nur 25 Prozent des Steueraufkommens.
Gefühlte und tatsächliche Steuer- und Abgabenquote
Behauptungen einer überhöhten Belastung Hoch- und Höchstverdienender führen in die Irre und sind kontraproduktiv. Sie blenden aus, dass die Einkommen selbst extrem asymmetrisch verteilt sind und verwechseln die Einkommensteuer mit dem Gesamtsteueraufkommen. Das öffentliche Wehklagen der Wohlhabenden erinnert an Molières Komödie „Der Geizige“. Vor allem: Es verstärkt die gefühlte Steuer- und Abgabenbelastung. Und die liegt ohnehin, wie auch das Bundesfinanzministerium feststellt, über der tatsächlichen Steuer- und Abgabenquote, welche sich im unteren europäischen Mittelfeld bewegt.
Steuern und Abgaben sind etwas Gutes. Sie sind die dringend benötigten Einnahmen für Bildung und Gesundheit sowie für energieeffiziente Sanierungen und Investitionen in die Infrastruktur. Die Wachstums- und Wohlstandsverluste durch unterlassene Verkehrsinfrastrukturinvestitionen sind massiv: Eine vom Bundesverband der Deutschen Industrie in Auftrag gegebene Studie beziffert allein die volkswirtschaftlichen Schäden durch Straßenverkehrsstaus auf 102 Milliarden Euro pro Jahr. Wir brauchen beschäftigungswirksame Investitionen – statt Millionen Niedrigverdienende hinzunehmen und weitere Millionen von Menschen, die vom Einkommenserwerb ausgeschlossen und somit nicht in der Lage sind, Einkommensteuer zu entrichten.
Für all diese Aufgaben benötigen wir eine Finanzpolitik, die die Stabilisierung der öffentlichen Einnahmen in den Vordergrund rückt. Die mit Rot-Grün begonnenen und von Schwarz-Rot fortgesetzten Steuerreformen haben Spitzenverdienende, Unternehmen und Kapitaleigner massiv entlastet: durch das Senken der Steuersätze und durch Steuerbefreiungen. Die erhöhte Mehrwertsteuer und Gebühren für öffentliche Leistungen haben die positiven Entlastungen im unteren Bereich der Einkommensteuer zunichte gemacht. Die Steuer- und Abgabenpolitik muss positiv gewendet werden. Schauplätze hierbei sind neben der progressiven Einkommensteuer die Besteuerung von Vermögen und Erbschaften ebenso wie von Finanztransaktionen und die paritätische Finanzierung von Sozialabgaben bei erhöhtem Bruttoeinkommen.
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